"Provozieren und amüsieren" mit Atommüll

02.06.2020 | Jochen Stay

Wie zukünftig Kritiker*innen der Standortsuche die Gemeinwohlorientierung abgesprochen werden soll – von Sinn und Unsinn einer millionenschweren PR-Kampagne des Atommüll-Bundesamtes

 

Scholz und Friends
Foto: Scholz & Friends
Werbekonzept von Scholz & Friends: Lindner weigerte sich, Baerbock wusste von nichts

 

Mit viel Steuergeldern will das Atommüll-Bundesamt (BASE) dafür sorgen, dass Kritiker*innen der Standortsuche zukünftig die Gemeinwohlorientierung abgesprochen wird: Die Werbeagentur Scholz & Friends hat der Behörde den Auftrag erhalten, sie „bei der Konzeptionierung, Gestaltung und Umsetzung von Info-Aktionen zum Thema Endlagersuche“ zu unterstützen. Auftragsvolumen: Fünf Millionen Euro. Da stockt kurz der Atem. Wofür bitte das viele Geld?

Doch nicht nur die hohe Summe lässt aufhorchen, sondern auch, was konkret mit diesem Geld geschehen soll. Dies wird vom Bundesamt unverhohlen detailliert in der Leistungsbeschreibung aufgeführt und ist Dank der Anfrage von endlagerdialog.de nun öffentlich geworden: Scholz & Friends soll gezielt eine „Reframing-Strategie mit geeigneten Counter-Frames“ entwickeln. Klingt kriegerisch? Ist es auch. Es ist schlicht der Krieg um die öffentliche Deutungshoheit. Das Amt fühlt sich von Kritik angegriffen, sieht sein Projekt in Gefahr und schlägt nun zurück.

Womit genau hat das Bundesamt Scholz & Friends beauftragt?

In einem ersten Schritt soll die Werbeagentur eine „Awareness-Kampagne“ entwickeln, „die bundesweit Aufmerksamkeit für das Thema schafft“. Soweit wäre erst einmal nicht grundsätzlich etwas dagegen einzuwenden, wenn das BASE nicht gleichzeitig ausdrücklich darauf hinweisen würde, dass diese bitteschön an den beiden missglückten Kampagnen „Schatz, bringst du mal den Müll runter?“ und „Anbrüllen zwecklos“ anknüpfen möge.
Es ist schon erstaunlich, dass trotz umfassender, fundierter Kritik an diesen Kampagnen die Behörde weiterhin diesen „neuen Spin“ und „die ironische Brechung des Themas“ wünscht und ausdrücklich „provozieren und amüsieren“ möchte.

Sorry, aber da bleibt mir das Lachen wirklich im Hals stecken. Potenziell Betroffene wollen weder bespaßt noch lächerlich gemacht werden! Niemand braucht eine PR-Kampagne mit schmissigen Slogans und bunten Bildchen, die die immensen Probleme mit dem Atommüll verschweigt. Was es im Verfahren braucht, sind vielmehr ehrliche, neutrale und fachlich fundierte Sachinformationen – und dies wiederum von unabhängigen Fachexpert*innen, denen die Menschen in den potenziell betroffenen Regionen vertrauen können. Dafür hätte beispielsweise sinnvoll Geld ausgegeben werden können.

In einem zweiten Schritt „soll, immer noch bundesweit, umfassend über das Verfahren und die Beteiligungsmöglichkeiten informiert werden, um die Bevölkerung zur aktiven Beteiligung zu motivieren.“ So heißt es in der Ausschreibung. In der Leistungsbeschreibung wird es noch deutlicher:

Die Menschen auf die im Verfahren verankerte Beteiligung vorzubereiten und zu aktivieren ist ein Ziel der zu entwickelnden Kommunikationsstrategie. Ein unmittelbares Mitbestimmungsrecht besteht dabei jedoch nicht.

Hier geht es somit um medial inszeniertes Cheerleading für Pseudobeteiligung. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Potenziell Betroffene sollten jedoch eigentlich erwarten können, dass ihre Kritik ernst genommen wird. Sie sollten außerdem erwarten können, dass Konflikte im Verfahren aufrichtig mit Ruhe und Zeit geklärt werden.

Und alle dürfen zu Recht erwarten, dass bitteschön tragfähige Lösungen für die gravierenden Probleme bei der Lagerung gesucht und gefunden werden und nicht nur irgendein Standort, der den gefährlichen Atommüll wegen des enormen gesellschaftlichen Drucks am Ende zähneknirschend aufnimmt. Auch dafür braucht es jedoch keine PR-Kampagne mit Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die Betroffene in ein „Glaube miiiiiiiiiiiiir!“ einlullt, sondern vielmehr Mitwirkung auf Augenhöhe dieser Betroffenen in den potenziellen Regionen.

Nachdem nun die Menschen in den ausgewählten Gebieten bereits nichts zu sagen haben und dies als richtig und wichtig verkauft werden soll, wird der letzte Teil des Auftrags für Scholz & Friends für die Betroffenen besonders gefährlich

In einem dritten Schritt wird sich der Fokus auf die Zielgruppe der Bevölkerungsgruppen verschieben, in deren Region Untersuchungen und Erkundungen für einen Endlagerstandort durchgeführt werden sollen. In dieser Phase wird man mit konkreten Sorgen und Ängsten der Bevölkerung umgehen müssen, aber auch mit Interessengruppen, die die emotionale Lage für ihre jeweils eigenen Ziele nutzen werden.

Bundesamt will Solidarität verhindern

Während .ausgestrahlt darauf drängt, Kritik ernstzunehmen, um auf Fehler in einem Verfahren hinzuweisen und damit schlussendlich ein weiteres Desaster wie in der Asse zu vermeiden, während .ausgestrahlt dafür streitet, dass tatsächliche Mitbestimmung der Betroffenen möglich wird, möchte das Atommüll-Bundesamt mittels Scholz & Friends dafür sorgen, dass die breite Bevölkerung bitte folgendes glaubt:

  • Das aktuelle Suchverfahren ist alternativlos.
  • Wer sich im Sinne des BASE an der Endlagersuche beteiligt, handelt gemeinwohlorientiert und im Sinne künftiger Generationen. Wer dagegen Kritik  an der geplanten Pseudobeteiligung übt, handelt egoistisch, unsolidarisch und verantwortungslos gegenüber der Allgemeinheit und künftigen Generationen.
  • Die Bürger*innen „in der zukünftigen Endlagerregion sind Helden, die Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen“ Das steht da tatsächlich. Menschen, die blindes Held*innentum dagegen ablehnen, handeln verantwortungslos gegenüber der Gemeinschaft.

Der Behörde geht es darum, zu verhindern, dass einem ungeeigneten Standort zukünftig die gleiche bundesweite Solidarität entgegengebracht wird, wie jahrzehntelang Gorleben. Der dortige untaugliche Salzstock ist trotz aller fachlichen Belege eben nicht an seinem Mangel an Eignung als Lagerstätte gescheitert – ja er ist noch immer im Verfahren. Gorleben ist in der Vergangenheit politisch ausgebremst worden, weil viele Menschen bundesweit mit den Wendländer*innen gemeinsam in den Widerstand gegen ein verfehltes Atommüll-Lager-Projekt gegangen sind.

Das Bundesamt versucht nun mit einer gigantischen PR-Kampagne bereits im Vorfeld einer Standortbenennung jeglichen solidarischen Widerstand gegen einen potenziell ungeeigneten Standort zu verhindern. Die Behörde möchte erreichen, dass am Ende die benannte Region völlig isoliert dasteht und nur noch entscheiden kann, ob sie zum „Helden der Nation“ oder zum „Deppen der Nation“ werden möchte.

Dies gilt es zu verhindern. Mit Sachverstand und Solidarität.

Nachtrag: An Pfingsten meldete die „Bild am Sonntag“ unter der Schlagzeile „Gaga-Kampagne für Atommüll-Endlager“, niemand wolle bei der Idee von Scholz & Friends mitmachen, gegensätzliche Paare von Politiker*innen im Netz und auf Plakaten für die Standortsuche werben zu lassen (siehe Foto oben). Wolfgang Schäuble lehnte genauso ab wie Christian Lindner. Dessen Begründung: „Wir haben momentan andere Sorgen als Werbekampagnen.“ Die Grünen waren über die Idee erst gar nicht informiert worden. Der Präsident des „Bundes der Steuerzahler“, Reiner Holznagel, kritisierte das Atommüll-Bundesamt: „Ich bin über solche Ausgaben fassungslos! Wir haben gerade wichtigere Fragestellungen, als bunte Werbekampagnen mit Steuergeldern zu finanzieren.“

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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