Atommüll-Tetris in Würgassen

06.05.2020 | Jochen Stay

Um das geplante Atommüll-Lager in Schacht Konrad juristisch nicht zu gefährden, soll der Strahlendreck zunächst ins 90 Kilometer entfernte Würgassen rollen – was keinen Sinn macht, die Zahl der Atom-Transporte aber verdoppelt.

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Foto: BI „Gegen atomaren Dreck im Dreiländereck“

Als „Logistikzentrum“ stellte sie es vor, als wolle hier in Zukunft ein Discounter Lebensmittel oder ein Möbelhaus Küchen in einer Halle lagern und verladen. Doch was die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) in Würgassen plant, im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, ist die größte Atommüll-Drehscheibe Deutschlands – und ein politisch-juristischer Trick, den schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aus der ganzen Republik doch noch in die ehemalige Eisenerzgrube Schacht Konrad kippen zu können.

Schacht Konrad liegt bei Salzgitter, Würgassen 90 Kilometer weiter südwestlich. Die Mitteilung der BGZ, das zentrale Zwischenlager für Schacht Konrad ausgerechnet hier, auf dem Gelände des 1994 stillgelegten AKW Würgassen errichten zu wollen, kam völlig unerwartet. Weder Politik noch die Behörden vor Ort waren vorab an der Entscheidung beteiligt. Wie so oft in der Atommüllpolitik fiel sie vielmehr intransparent in Hinterzimmern, die Betroffenen sehen sich vor vollendete Tatsachen gestellt. Nach dem Willen der BGZ soll der gesamte für Schacht Konrad bestimmte Strahlenmüll von 2027 an gleich zweimal auf die Reise gehen: erst in das neue zentrale Zwischenlager nach Würgassen und von dort dann irgendwann nochmal nach Salzgitter. Die Zahl der Atomtransporte würde sich damit verdoppeln.

Da reibt sich Mensch natürlich zu Recht die Augen: Wie bitte kann die Bundesregierung auf eine solche Idee kommen, wo doch beim Strahlenschutz das Minimierungsgebot für die Bevölkerung gilt und somit überflüssige Atomtransporte zu vermeiden sind?

Natürlich gibt es, wenn man Schacht Konrad für ein geeignetes Atommülllager hält – was es nicht ist –, genau einen Ort, an dem ein „Eingangslager“ Sinn machen würde: nämlich in unmittelbarer Nähe zum tiefengeologischen Lager! Dass die BGZ diese Sortieranlage nun gerade nicht bei Schacht Konrad bauen möchte, sondern weit davon entfernt, lässt aufhorchen. Und wie immer, wenn Institutionen nicht nach dem offensichtlichen gesunden Menschenverstand handeln, sondern wissentlich die Strahlenbelastung und das Risiko von Unfällen für die Anwohner*innen an der Transportstrecke unverantwortlich verdoppeln, gibt es dafür Gründe.

Genehmigung in Gefahr

Die BGZ schreibt: „Am Endlager Konrad ist laut Planfeststellungsbeschluss kein Bereitstellungslager vorgesehen“. Was nun wirklich kein Argument ist, denn das gilt selbstverständlich für Würgassen genauso. Ein solches zentrales Zwischenlager jedoch braucht ein Genehmigungsverfahren, und eben dieses würde, wenn die Halle in Salzgitter entstünde, mit großer Wahrscheinlichkeit das ganze Projekt Schacht Konrad massiv gefährden: Das tiefengeologische Lager, zu dem der Bund das ehemalige Bergwerk seit Jahren umbaut, entspricht nämlich, was die Sicherheit angeht, längst nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik. Alte Bergwerke gelten heutzutage zu Recht als völlig ungeeignet für die Lagerung strahlender Abfälle. Eine Atommüllkippe Schacht Konrad wäre nach heutigen Maßstäben also niemals mehr genehmigungsfähig. Eine bereits erteilte Genehmigung zur Einlagerung aber – die gibt es für Schacht Konrad – behält ihre Rechtsgültigkeit. Deshalb kann der Bund die Stollen unter Salzgitter weiter zur Atommülllagerstätte ausbauen.

Ein Eingangslager in Salzgitter, sozusagen direkt am Schacht, wäre juristisch gesehen eine „wesentliche Änderung“ der Atomanlage. Das Genehmigungsverfahren für Schacht Konrad müsste neu aufgerollt werden. Das will die BGZ unter allen Umständen vermeiden. Unterm Strich ist die Auslagerung des zentralen Zwischenlagers an einen anderen Standort somit schlicht der verzweifelte Versuch, das ungeeignete Projekt Schacht Konrad irgendwie zu retten – zum Preis einer Verdopplung der Atomtransporte und ihrer Gefahren für die Bevölkerung.

In der riesigen Stahlbetonhalle – den Plänen nach soll sie 325 Meter lang, 125 Meter breit und 16 Meter hoch werden – sollen nach und nach 303.000 Kubikmeter strahlender Abfall gelagert und wieder abtransportiert werden. Die BGZ spricht gern verharmlosend von „Schutzkleidung“ oder „medizinischen Abfällen“, die hier in Fässern gelagert und sortiert werden sollen. Tatsächlich machen diese Stoffe nur einen minimalen Teil des Mülls aus. Insgesamt soll dieser beispielsweise 900 Kilo Plutonium enthalten – ungefährlich ist was anderes.

Salopp formuliert soll in der Halle für die Dauer von etwa 30 Jahren „Atommüll-Tetris“ gespielt werden, und auch das hat einen Grund: Die heute ebenfalls nicht mehr genehmigungsfähigen Radioaktivitäts-Obergrenzen in Schacht Konrad sollen maximal ausgenutzt werden. Es gilt, Chargen mit hoher und niedrigerer Strahlung im Hinblick auf bestimmte Nuklide derart zusammenzustellen, dass am Ende in jeder unterirdischen Kammer die maximal zulässige Belastung voll ausgeschöpft wird.

Anforderungen missachtet

Während generell zu kritisieren ist, dass irgendein Standort nicht in unmittelbarer Nähe der Lagerstätte als Eingangslager ausgewählt wird, ist die Wahl des Standorts Würgassen nochmals besonders kritikwürdig. In einer Stellungnahme der Entsorgungskommission (ESK) steht nachvollziehbarer Weise zu den Anforderungen an ein Eingangslager: „Die Bahnstrecke muss zweigleisig ausgeführt sein, da (…) täglich bis zu drei Vollzüge mit Abfallgebinden (…) hin und leer wieder zurück transportiert werden müssen.“ Doch alle Strecken nach Würgassen sind zumindest teilweise nur eingleisig.

Darüber hinaus ist Würgassen der einzige Standort von 29 untersuchten, bei dem der von der ESK geforderte Abstand von 300 Metern zur Wohnbebauung nicht eingehalten werden kann. Dies bereitet den Anwohnener*innen nachvollziehbarerweise schlaflose Nächte.

In der Geschichte der Anti-Atom-Proteste sind schon so einige absurde Projekte mit phantasievollem Protest und Sachverstand verhindert worden. Nun gilt es, das unsinnige Atommüllzentrum Würgassen zu verhindern und mit ihm endlich auch den völlig ungeeigneten Schacht Konrad.

Es braucht endlich eine grundlegend neue gesellschaftliche Verständigung über den Umgang mit allen Arten von Atommüll auf Basis des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik. Erst wenn diese gelungen ist, macht es Sinn, über konkrete Standorte zu reden. Dabei müssen die Betroffenen ergebniswirksam einbezogen werden, statt hinter verschlossenen Türen zu entscheiden, wie jetzt wieder beim Eingangslager in Würgassen. Und noch immer gilt: Die Produktion von immer mehr strahlendem Atommüll in den sechs noch laufenden AKW muss sofort beendet werden!

Dieser Artikel erschien zuerst im .ausgestrahlt-Magazin Ausg. 47 (Mai/Juni/Juli 2020)

 

weiterlesen:

  • Zentrales Atommüll-Zwischenlager in Würgassen geplant
    Am 06. März 2020 verkündete die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) völlig unerwartet, in Würgassen am alten AKW-Standort ein zentrales Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle zu errichten. Das Bundesumweltministerium habe dem Vorhaben bereits zugestimmt, so die BGZ. weitere Infos hier.

  • Schwach- und mittelradioaktiver Müll – Illusionen der Lösung
    An verschiedenen Orten in Deutschland ist schwach- und mittelradioaktiver Atommüll bereits eingelagert - mit zahlreichen ungelösten Problemen. Bundesregierung und Atomwirtschaft versuchen nichtsdestotrotz den Eindruck zu erwecken, sie hätten alles im Griff.

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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