25 Jahre nach Merkels Backpulver-Vergleich

23.04.2020 | Jan Becker

Ein Satz unserer derzeitigen Bundeskanzlerin sorgte vor 25 Jahren für große Empörung unter Atomkraftgegner*innen. Damals stand der erste Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben an.

Castor 1995 Gorleben
Foto: G. Zint / Gorleben Archiv

Am 24. April 1995 um kurz nach acht Uhr abends startete der erste Transport mit hochradioaktivem Abfall mit Ziel Zwischenlager Gorleben seine Fahrt aus dem Atomkraftwerk Philippsburg. Bundesweit protestierten etwa 4.000 Atomkraftgegner*innen gegen die Gefahren durch den Castor, die ungelöste Atommüllfrage und für den Atomausstieg. Es war ein Neustart der Anti-Atom-Bewegung. Ihnen gegenüber stand der bis dahin größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik: 15.000 Beamt*innen sicherten Schienen und Straßen bis nach Gorleben. Am Ende kostete jeder gefahrene Kilometer umgerechnet 50.000 Euro.

Dem Transport vorausgegangen waren Skandale und Pannen. Schon 1993 sollte die Lieferung stattfinden, scheiterte aber aufgrund von fehlerhaften Schweißverfahren beim Aufbringen eines Ersatzdeckels im Falle einer Undichtigkeit. Im Jahr 1994 folgte der nächste auf Bundesebene angeordnete Anlauf; der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen, Gerhard Schröder (SPD), sprach von einer „Kriegserklärung Bonns“ und nannte den Atommüllzug eine „unverständliche Provokation“. Doch dann verkantete einer der beiden Deckel beim Beladen des Castors in Philippsburg. Eine Dichtung war danach defekt. Der Behälter wurde zunächst im AKW zwischengeparkt. Ende 1994 hieß es in einem Artikel in der ZEIT, das sei „Deutschlands meistdiskutierter Abfalleimer“.

Der Backpulver-Vergleich

Angela Merkel, seit November 1994 neue Bundesumweltministerin, nannte damals den aufgekommenen Widerstand gegen die Atommülltransporte „unverständlich“: Es werde geradezu so getan, „als wenn die Welt untergeht“. In einem Pressegespräch hatte sie gerade über die Probleme beim Beladen des Castorbehälters in Philippsburg gesprochen, als sie einen bemerkenswerten – und zumindest in kritischen Kreisen geschichtsträchtigen – Vergleich nachschob: Es fielen die Worte „Kuchenbacken“ und „Küche“, und dass dabei schließlich auch „Backpulver“ daneben gehe.

„In jeder Küche kann beim Kuchenbacken mal etwas Backpulver daneben gehen.“ (Angela Merkel, 1994)

Merkel sagte außerdem Sätze wie „Gorleben spielt eine zentrale Rolle. Mit ihr ist die Zukunft der Kernenergie verbunden“ oder mit Blick auf die Erderwärmung und auf die CO2-Emissionen, dass die Atomenergie in Deutschland „verantwortbar, ökologisch sauber und technisch hochstandardisiert“ sei. Im Wendland erhielt Merkel nach diesem Auftritt den Beinamen „Merkelnix“.

„Wir stellen uns quer“

Castor 1995 Gorleben
Foto: G. Zint / Gorleben Archiv

Im Zusammenhang mit den Castortransporten wurde auch das Protestmotto „Wir stellen uns quer“ populär. Nachdem Bundes- und Landesregierung grünes Licht für den ersten Castor gaben, kündigten Atomkraftgegner*innen an: „Wir verweigern dem Atomstaat den Gehorsam“. In Gorleben entstand daraufhin das Protest-Hüttendorf „Castornix“.

Bis November 2011 rollten dann fast regelmäßig Transporte mit hochradioaktiven Abfällen ins Gorlebener Zwischenlager. Gemäß der 2013 von der Bundesregierung mit den Energiekonzernen ausgehandelten Vereinbarung sind sie mittlerweile verboten. Ziel neuer angekündigter Rücktransporte aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield sind vier Atomstandorte: Biblis, Philippsburg, Isar und Brokdorf. Der erste Transport nach Biblis wurde Mitte März wegen der Corona-Pandemie verschoben. Wann er nachgeholt wird, ist noch unklar.

weiterlesen:

  • Rückblick: Die Gorleben-Protest-Chronik (Gorleben Archiv)

  • #castor2020 wegen Corona abgesagt!
    19.03.2020 - Die Vorbereitungen waren schon sehr konkret: Rund um Nordenham und entlang von Eisenbahnabschnitten zum Atomkraftwerk Biblis wurde für Ende März und Anfang April ein Flugverbot erlassen, tausende Polizisten sollten die Transportstrecke schützen. Wegen der Infektionsgefahr wurde der Termin nun abgesagt.

  • Atommüll-Behälter: „Es braucht neue Konzepte“
    13.02.2020 - Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Behälter für hochradioaktiven Atommüll deutlich kürzer halten könnten, als bisher gedacht. Die bisher gängigen Lagerungskonzepte seien „nicht ausreichend“, warnt ein US-Expertenteam.

Quellen (Auszug): Gorleben Archiv; Bilder: Günter Zint / Gorleben Archiv

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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