Atomares Business-as-usual in Krisenzeiten

25.03.2020 | Jan Becker

Alle Menschen sind dazu aufgerufen, zuhause zu bleiben. Das öffentliche Leben steht weitestgehend still. Die Atomindustrie hingegen macht trotz aller Risiken einfach weiter wie bisher.

AKW Emsland
Foto: Smial / Wikipedia
Hauptsache der Laden läuft...

Die vom Coronavirus ausgehenden Risiken seien „von Beginn an sehr ernst genommen“ worden, schreibt die staatliche BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH. Eine wegen des neuen Atommüllprojekts am AKW Würgassen geplante Informationsveranstaltung wurde beispielsweise abgesagt. Auch wurde der Rücktransport von Atommüll aus England zum Zwischenlager am AKW Biblis verschoben.

Und die Bedenken sind ernst zu nehmen: In der Schweiz melden aktuell zwei Atomkraftwerke, dass es unter der Belegschaft einzelne Corona-Fälle gebe. Es sei in den AKW Leibstadt und Gösgen vergeblich „mit allen Mitteln“ versucht worden, eine Ansteckung zu verhindern. Betrifft die Erkrankung einen größeren Teil der Belegschaft, dann müssen die Meiler vom Netz. Wieviele Mitarbeiter*innen für die Abschaltung fehlen müssen, ist geheim. In Großbritannien ist der Betrieb der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield bereits unterbrochen worden, nachdem 1.000 Mitarbeiter*innen in Quarantäne geschickt worden waren.

Nicht so eindeutig bewerten offenbar die Atomkonzeren Urenco, RWE und PreussenElektra die Lage: Am 12. April soll das Atomkraftwerk Grohnde für die jährliche Revision heruntergefahren werden. Für diese umfangreichen Wartungen und Reparaturen sind neben der Belegschaft rund 1.000 zusätzliche Spezialist*innen von Fremdfirmen, oft sogar aus dem Ausland, nötig. Es sei „noch nicht entschieden”, ob die Wartung stattfindet, heißt es vom Grohnde-Betreiber PreussenElektra. Die niedersächsische Atomaufsicht hat Bedenken: Wo sollen die Arbeiter*innen untergebracht werden, wo derzeit viele Hotels geschlossen sind bzw. der Betrieb drastisch eingeschränkt ist? Wie soll ein Kontakt zwischen den vielen Menschen auf ein Minimum reduziert werden?

AKW nicht systemrelevant: Revision mit über 1.000 Menschen befeuert Pandemie
Stromversorgung auch ohne AKW gesichert / Pandemie eingrenzen heißt, auf unnötige Industrieanlagen verzichten. zur Presseerklärung vom 24. März 2020

 

Kraftwerks-Revisionen werden langfristig geplant, auch in Rücksprache mit der Bundesnetzagentur, damit nicht etwa alle Meiler gleichzeitig vom Netz sind. Neben dem Austausch von Brennstoff werden allerdings oft auch Reparaturarbeiten, die nur bei abgeschalteten Reaktor ausgeführt werden können, monatelang vorausgeplant und in diesen Zeitraum verschoben.

Es drängt sich daher die Frage auf: Wenn verschoben wird, wie lange? Derzeit kann niemand verbindlich voraussagen, ob der Ausnahmezustand in Deutschland noch Monate anhalten wird. Aus dem französischen AKW Penly wurde gemeldet, dass es dort wohl eine Verschiebung der Revision um „mindestens ein bis zwei Monate“ geben werde.

Abschalten statt verschieben!

Wäre es vertretbar, den Meiler in Grohnde über Monate weiterzutreiben, ohne Wartungsarbeiten durchzuführen? Mit Sicherheit nicht. Außerdem sind regelmäßige Checks durch die Atomaufsicht Auflage für den Weiterbetrieb. Ein schwerer Atomunfall, der durch ausbleibende Reparaturarbeiten auch noch provoziert würde, könnte das Corona-Chaos potenzieren. Nötig ist deshalb die sofortige Abschaltung des Reaktors!

Diese Forderung erheben auch Aktivist*innen aus Lingen. Das dortige AKW Emsland soll ebenfalls ab April für die Revision vom Netz gehen. Dort bestünde möglicherweise konkreter Reparaturbedarf: Die letztjährigen Überprüfungen des weitgehend baugleichen AKW Neckarwestheim-II zeigten eine sprunghafte Vermehrung von Wanddickenschwächungen (Rissen) in den Rohren des Dampferzeugersystems auf, die Rohre mussten daraufhin bei abgeschalteter Anlage verschweißt werden. Es sei zu erwarten, dass sich diese Schäden, analog zu den Entwicklungen in Neckarwestheim, auch bei der Anlage in Lingen ausgeweitet haben, warnen die Kritiker*innen. Eine schlichte Verschiebung der Revision „birgt somit neue Gefahren für die Bevölkerung“, so das „Bündnis AgiEL – Atomkraftgegner*innen im Emsland“.

„Wenn die ständigen Beteuerungen der RWE, dass Sicherheit oberste Priorität habe, nicht als leere Worthülsen und schlichte Beruhigungsversuche enttarnt werden sollen, muss RWE auf Worte auch Taten folgen lassen und den Betrieb des AKW Emsland umgehend einstellen“, fordert Heide M. Kuhnert vom Bündnis AgiEL.

Neuer Uranmülltransport aus Gronau geplant?

Anti-Atomkraft-Initiativen im Münsterland appelieren an den Betreiber der Urananreicherungsanlage Gronau sowie die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Bundesregierung, in den dramatischen Corona-Zeiten „verbindlich auf zusätzliche und vollkommen vermeidbare Belastung der Öffentlichkeit zu verzichten“. Hintergrund ihrer Forderung ist die Vermutung, dass schon am kommenden Montag erneut Uranabfall aus der Anlage in Gronau abtransportiert werden könnte.

Aktualisierung: Der Transport ist inzwischen abgesagt.

„Die gesamte Gesellschaft wird derzeit aufgerufen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Dazu gehören dann auch Proteste gegen gefährliche Atomtransporte. Es kann deshalb nicht sein, dass ausgerechnet jetzt ein Konzern wie Urenco mit seinen deutschen Anteilseignern RWE und EON mehrere Hundert Tonnen Atommüll unter Einsatz der Polizei und unter Vorhaltung von Schutzmaßnahmen durch die örtlichen Feuerwehren und Krankenhäuser auf die Reise schickt”, fordern die Initiativen.

Neue Brennelementeexporte genehmigt

Der Gipfel kommt zum Schluss: In höchsten politischen Kreisen wird ein Verbot von Brennelement-Exporten an alte Atomkraftwerke nahe der deutschen Grenze diskutiert. Selbst Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) strebt wegen Sicherheitsbedenken bei den alten Reaktoren ein entsprechendes Gesetz an. Doch seit Monaten „prüft“ das Bundeswirtschaftsministerium die Vorgabe. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Am vergangenen Mittwoch wurden nun Exportgenehmigungen für das französische AKW Dampierre 2 und die belgischen AKW Doel 1 und 2 erteilt, heißt es aus dem Bundesumweltministerium.

Wegen des Corona-Kontaktverbotes ist jetzt nötiger öffentlicher Protest gegen diese Transporte nicht möglich. Es macht den Eindruck, dass Atomkonzerne und ihre Lobby diese Situation ausnutzen.

weiterlesen:

  • #castor2020 wegen Corona abgesagt!
    19.03.2020 - Die Vorbereitungen waren schon sehr konkret: Rund um Nordenham und entlang von Eisenbahnabschnitten zum Atomkraftwerk Biblis wurde für Ende März und Anfang April ein Flugverbot erlassen, tausende Polizisten sollten die Transportstrecke schützen. Wegen der Infektionsgefahr wurde der Termin nun abgesagt.

  • Anti-Atom-Arbeit in Zeiten von Corona
    19.03.2020 - Das öffentliche Leben wird wegen des Themas Coronavirus gerade runtergefahren – die alten und störanfälligen Atomkraftwerke jedoch nicht. Auch die Arbeit von .ausgestrahlt ist von der Pandemie betroffen - deshalb soll es statt der abgesagten Veranstaltungen demnächst mehr Podcasts und Webinare geben.

Quellen: ndr.de, montelnews.com, bi-luechow-dannenberg.de, bgz.de, tagesanzeiger.ch

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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