Die Vorbereitungen waren schon sehr konkret: Rund um Nordenham und entlang von Eisenbahnabschnitten zum Atomkraftwerk Biblis wurde für Ende März und Anfang April ein Flugverbot erlassen, tausende Polizisten sollten die Transportstrecke schützen. Wegen der Infektionsgefahr wurde der Termin nun verschoben.
Am Donnerstag Abend (12. März) meldete Spiegel Online, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer den Atommülltransport aus England abgesagt hat. Die Lieferung sei für die erste Aprilwoche geplant gewesen und sei nun „mit sofortiger Wirkung suspendiert“, heißt es in einem Schreiben von Bundespolizeichef Dieter Romann. Der Einsatz sei wegen der aktuellen Ausbreitung des Corona-Virus „nicht zu verantworten“. Das Infektionsrisiko für das Großaufgebot von 6.000 Bundespolizisten, die die Gleise sichern sollten, müsse vermieden werden.
Corona stoppt Castor - nicht die Zweifel an der Sicherheit
Nun war es also nicht etwa die massive Kritik, sondern der Corona-Virus, der für den Castor-Stopp sorgte. Der Widerspruch gegen die hochradioaktiven Lieferungen ist umfassend - der Protest wäre entsprechend ausgefallen. Aktivist*innen warnen nicht nur vor schweren Unfällen beim Transport. Es ist auch grundsätzlicher Protest gegen den Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke und Brennstofffabriken sowie die Blockade der Energiewende.
„Das ist nicht unser Müll“, sagt zudem der Aktivist Ralf Peters aus Hessen, der gemeinsam mit dem Bündnis „Castor stoppen“ die Proteste gegen die Atommülllieferung organisiert. „Es waren Energiekonzerne, die damit einen Haufen Geld verdient haben.“
Peters Kritik zielt auf den „Atommüllfonds“ ab, mit dessen Hilfe sich die Betreiber der AKW durch die Einmalzahlung von etwa 24 Milliarden Euro „freigekauft” und die Verantwortung für die Atommülllagerung an den Staat übertragen haben. In letzter Konsequenz bedeutet das: Reichen diese 24 Milliarden Euro nicht aus, was bei diesem Mammutprojekt, für das niemand auf der Welt bisher eine Lösung hat, wahrscheinlich ist, zahlt der Staat drauf.
Die Bundesregierung setzt auf Verständnis und argumentiert mit völkerrechtlichen Verträgen. Der Abfall, der nun in sechs Behältern aus der Wiederaufarbeitungsanlage im britischen Sellafield nach Deutschland zurückkommen soll, sei schließlich vor Jahren von deutschen Meilern dorthin geliefert wurde. Atomkraftgegner*innen erwidern, dass bisher völlig unklar ist, wo in Deutschland ein endgültiges Atommülllager entstehen soll. Dorthin muss der Müll vom neuen Standort Biblis erneut transportiert werden - diese Anlieferungen sind also wegen des enormen Aufwandes logistischer Unsinn.
Massive Kritik an Sicherheitskonzept
Außerdem wirft der Atomexperte Wolfgang Neumann der Genehmigungsbehörde „BASE“ in einem Offenen Brief mangelhafte Sicherheitsregelungen für die Zwischenlagerung des in Glaskokillen verpackten hochradioaktiven Atommülls vor. Neumann nennt 26 Sicherheitsmängel, die vor einer Einlagerung in Biblis behoben werden müssten. Hochproblematisch ist vor allem, dass es keine Reparaturmöglichkeit für beschädigte Castor-Behälter am Standort Biblis gibt. Der BUND-Landesverband Hessen legte Widerspruch gegen die Einlagerungsgenehmigung ein.
Die BUND-Bundesgeschäftsführerin Antje von Broock legte wenige Tage später nach: „Bei Transport und anschließender Lagerung muss aber größtmögliche Sicherheit herrschen, die im Zwischenlager Biblis eindeutig nicht gegeben ist.“
Neuer Transporttermin?
Die Mitte Februar erteilte Transportgenehmigung gilt bis zum 31.12.2020. Wie lange die Vorsorgemaßnahmen gegen das Infektionsrisiko nun gelten und ob es realistisch ist, dass der Castor-Transport noch dieses Jahr stattfinden wird, darüber lässt sich natürlich nur spekulieren.
Eines ist aber durch die Veröffentlichungen des Innenministeriums deutlich geworden: Unsere Protestankündigungen gegen die hochradioaktive Lieferung wird ernst genommen. Sonst bräuchte es wohl keine 6.000 Polizisten zum Schutz der Gleise... Wobei die Gesamtzahl der geplanten Beamt*innen noch höher liegen müsste (Wasserschutz etc.). Diese Dimension bedeutet aber auch, dass mit einiger Sicherheit kurz vor dem Transport „Allgemeinverfügungen“ oder besser: generelle Demoverbote erlassen werden, die Grundrechte aushebeln. In den betroffenen Regionen wird in den Tagen vor dem Transport eine Dauerbelagerung durch die Polizei vorherrschen, mit Kontrollen und Verboten - so wie damals in und um Gorleben.
Somit kommt also nicht nur der Atommüll zurück - sondern auch der Polizeistaat...
Das Bündnis „Castor stoppen“ kündigt unterdessen an, weiter „am Ball zu bleiben“. Man wolle an den Protestaktionen planen, Kritikpunkte vorbringen und informieren, sobald es Neuigkeiten zum Transport gibt.
- weiterhin aktuelle Infos zum #castor2020: www.castor-stoppen.de
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