Aus „geostrategischen Gründen“ soll in direkter Nähe zum Atomkraftwerk Brunsbüttel an der Elbe ein Erdgasterminal errichtet werden. Das Projekt ist sicherheitstechnisch unverantwortlich, weil neben dem abgeschalteten AKW hochradioaktiver Atommüll gelagert wird - in einer Halle, die wegen Sicherheitsrisiken ihre Aufbewahrungsgenehmigung verloren hat.
Das Wirtschaftsministerium bezeichnete LNG (Liquified Natural Gas) als „Energieträger der Zukunft“. Als Treibstoff im Verkehrssektor für Lkw und Schiffe würde das verflüssigte Gas für „bedeutende Senkungen sowohl beim Kohlendioxid-Ausstoß als auch bei weiteren Schadstoffen“ sorgen. Auf Druck der USA sollen in Deutschland mehrere Flüssiggasterminals errichtet werden, um große Lieferungen per Schiff aus Amerika zu ermöglichen. Die Planungen sehen mindestens zwei Orte im Norden Deutschlands als Terminals mit Hafenanschluss vor.
Der tatsächliche Hintergrund ist eine geostrategische US-Politik gegen russische Gaslieferungen über die Pipeline „Nordstream 2“. In Brunsbüttel sind die Pläne für ein „Import- und Verteilungsterminal für Flüssiggas“ (LNG-Terminal) schon sehr weit fortgeschritten. Bundes- und Landespolitiker*innen machen sich für den Standort stark. Investitionen von 500 Millionen Euro wurden in Aussicht gestellt.
Atommüllzwischenlager in der Nachbarschaft
In direkter Nachbarschaft zum avisierten LNG-Terminal von Brunsbüttel befindet sich das seit 2011 abgeschaltete AKW. Neben dem AKW stehen im Standortzwischenlager derzeit 20 Behälter mit hochradioaktiven Abfällen. Diese Lagerhalle hat nach von Atomkraftgegner*innen angestrengten Gerichtsprozessen ein Problem: „Aktuell keine gültige Aufbewahrungsgenehmigung“, beschreibt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) die prekäre Situation. Wegen erheblicher Mängel nicht nur beim Terrorschutz kassierten höchste bundesdeutsche Gerichte Anfang 2015 die atomrechtliche Genehmigung. Die schleswig-holsteinische Regierung reagierte mit einer „Notverordnung“, die die weitere Lagerung des Atommülls bis zum Erhalt einer neuen Genehmigung ermöglichen sollte. Der Betreiber Vattenfall strengt seit Jahren ein Neugenehmigungsverfahren an, doch bisher konnten die nötigen Sicherheitsnachweise nicht geliefert werden. Ende 2018 wurde die Ausnahme-Anordnung erneuert, seit Januar 2020 gilt sie sogar „zeitlich unbefristet“.
„Es ist für keinen der Beteiligten gewinnbringend Fristen zu setzen, die dann immer wieder neu verlängert werden“, rechtfertigt das der grüne Umweltminister Jan Philipp Albrecht die Entscheidung.
Das BASE kann zur Dauer des laufenden Genehmigungsverfahren „keine Angabe machen“. Schließlich müsse der Antragsteller zur Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen nachweisen, „dass bei möglichen Störfällen der erforderliche Schutz gewährleistet ist“. Dabei seien „alle in Frage kommenden Ereignisse zu betrachten“.
Die Pläne für das LNG-Terminal sind relativ neu, sie spielten im Rahmen des Erörterungstermins zur Neugenehmigung des Atom-Zwischenlagers im Juni 2017 (also der Öffentlichkeitsbeteiligung und offizieller Möglichkeit zur Kritik) keine Rolle. Aktuell blockieren sie offenbar das weitere Genehmigungverfahren für das Zwischenlager: Das BASE wirft dem Antragsteller vor, wichtige Unterlagen zur Sicherheit bis heute nicht erbracht zu haben. Dabei geht es um Unterlagen zum Castor-Behälter aber wohl auch um Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dem Flüssiggas-Terminal.
„Störfallbetrieb“ neben Atommülllager ausgeschlossen
Explosionsdruckwellen aus der Gas-Anlage könnten für das Atommüll-Zwischenlager katastrophale Auswirkungen haben, warnte 2019 die Berliner Juristin Cornelia Ziehm in einem Gutachten für die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Wegen des hohen Risikos handle es sich bei dem Terminal um einen so genannten „Störfallbetrieb“, die Betreiber müssen verschärfte Sicherheitsvorkehrungen einhalten. Laut Ziehm ist ein „Störfallbetrieb“ wegen zu geringem Abstands zu den atomaren Anlagen ausgeschlossen: „Nach dem geltenden europäischen und nationalen Störfallrecht scheidet eine Realisierung des geplanten LNG Terminals im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel aus.“
Das LNG-Betreiberkonsortium plant die Errichtung von zwei großen Tanks mit einer Kapazität von jeweils 220.000 Kubikmetern. Der jährliche Durchsatz soll fünf bis acht Milliarden Kubikmeter betragen - eine spätere Expansion ist möglich. Als Reaktion auf das Rechtsgutachten verspricht das Konsortium, Störfälle und deren mögliche Auswirkungen „zu verhindern und zu begrenzen“.
Trotz der juristischen Bedenken sollen die Chancen gut sein, dass Brunsbüttel den Zuschlag für das Terminal erhält. Für den Betreiber ist der Standort wegen der Voraussetzungen für Anlandung und Weiterverteilung attraktiv. Und der politische Wille massiv.
Atomkraftgegner*innen warnen: Neben der sehr zweifelhaften Zwischenlager-Situation würde das bereits bestehende Risiko durch die hochradioaktiven Abfälle durch das LNG-Terminal „massiv potenziert“. Das LNG-Projekt ist „sicherheitstechnisch unverantwortlich und rechtlich unzulässig“.
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Quellen: sueddeutsche.de, duh.de, umweltfairaendern.de, base.bund.de, ndr.de