Ein wichtiger, lang versprochener Anfang ist gemacht: Block 1 des französischen Atomkraftwerks Fessenheim ist seit Samstag endgültig vom Netz. Block 2 soll Ende Juni folgen. Damit beginnt eine neue Ära: die des Atommüll-Desasters.
Das jahrzehntelange Ringen um die beiden Meiler am Rhein hat ein Ende. Das 1977 ans Netz gegangene und damit bis Samstag dienstälteste AKW in Frankreich, befindet sich in einer Erdbebenzone. Schwere Erschütterungen hatten im Mittelalter die 34 Kilometer entfernte Stadt Basel heimgesucht. Außerdem liegt Fessenheim unterhalb der Wasserlinie des Rheinkanals, also in einem Überschwemmungsgebiet.
Fessenheim befindet sich direkt an der deutsch-französischen Grenze. So kamen vor allem aus dem angrenzenden Baden-Württemberg seit Jahren die Forderungen, die beiden Reaktoren zu schließen. Argumentiert wurde immer wieder mit verschiedenen Sicherheitsdefiziten wie mangelhaftem Schutz gegenüber Flugzeugabstürzen oder den unzähligen gefährlichen Pannen. Denn allein zwischen 1989 und 2008 kam es zu über 200 leichten und schwereren Zwischenfällen. Fessenheim sei „der Reaktor mit den niedrigsten Sicherheitsstandards in Europa“, heißt es aus kritischen Expertenkreisen. 2014 hatte es einen Störfall gegeben, bei dem sich der Reaktor „zeitweise nicht mehr steuern“ ließ. Im Zusammenhang mit Brennstofflieferungen aus Deutschland wurde die Sicherheit in Fessenheim vom Bundesumweltministerium als „zweifelhaft“ eingestuft.
Das endgültige Ende war nicht nur sicherheitstechnisch überfällig, es war auch schon lange versprochen. Der damalige Präsident François Hollande zog 2012 in den Wahlkampf mit der Aussage, das AKW schließen zu wollen. Unter Macron wurde die Stilllegung an die Inbetriebnahme des „neuen” Reaktors in Flamanville gekoppelt, weil auf den Strom aus Fessenheim „nicht verzichtet“ werden könne.
Doch die Fertigstellung in Flamanville verzögert sich weiter. Präsident Macron löst nun trotzdem sein Wahlversprechen ein - dies ist allerdings auch das Ergebnis jahrelangen, politischen Drucks aus Deutschland und der Schweiz. Sogar Bundeskanzlerin Merkel setzte sich für ein Betriebsende ein. Die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks forderte 2016 wegen der „berechtigten Sorgen der Bevölkerung in der deutsch-französischen Grenzregion“ ein Ende der Meiler, ihre Nachfolgerin Schulze schloss sich der kritischen Einschätzung an.
Doch von Atomausstieg ist nicht die Rede
Die französische Energieministerin Elisabeth Borne bezeichnete am Wochenende gemeinsam mit anderen Regierungsvertretern und Experten die Schließung von Fessenheim als ein „historisches Ereignis“, das in Frankreich eine „Revolution der Stromproduktion“ einleite. Bis 2035 soll der Nuklear-Anteil am Strommix von heute 72 Prozent auf 50 Prozent gesenkt werden. Dafür müssen rechnerisch 14 Reaktoren stillgelegt werden.
Doch diese „Revolution“ ist anders als in Deutschland gar nicht als „Atomausstieg“ geplant. Im letzten Jahr war bekannt geworden, dass Präsident Macron den Bau von insgesamt sechs neuen Atomkraftwerken „beauftragt” habe (Anfang Januar 2020 hieß es, die Pläne seien „um zwei Jahre verschoben worden“). Und das trotz des Debakels von Flamanville: Der bisher einzige „neue Reaktor“ soll nach aktuellen Prognosen nicht mehr wie einst versprochen 2012, sondern frühestens 2023 ans Netz gehen und könnte dann über 12 Milliarden Euro gekostet haben. Geplant waren 3,3 Milliarden - kurz: ein wirtschaftliches Desaster.
In Fessenheim beginnt die Ära Atommüll
Mit der Abschaltung beginnt in Fessenheim die Nachbetriebsphase. Die Brennelemente müssen aus dem Reaktor entladen werden und im Abklingbecken abkühlen. Der Betreiber EdF will die Brennstäbe bis 2025 abtransportiert haben. Der eigentliche Abriss der Anlage soll 15 Jahre dauern. Dabei werden etwa 380.000 Tonnen Altmaterial anfallen, zu 94 Prozent „Stahl und Beton“, so EdF. In Deutschland wird dieses Material „freigemessen“, heißt: schwach radioaktives Material wird vermischt und vermengt bis Grenzwerte unterschritten werden, um es dann dem Stoffkreislauf wieder zuzuführen. „Recycling“ statt Atommülllagerung. Geplant ist am Standort Fessenheim als „Restrukturierungsmaßnahme“ eine Art „AKW-Recyclinghof“ für abgebrannte Brennstäbe - was vermutlich Anlieferungen von hochradioaktivem Atommüll aus dem ganzen Land nach sich ziehen wird.
In Frankreich nahmen zwischen 1956 und 2002 über 60 Nuklear-Anlagen den Betrieb auf. Seit 1968 sind 13 AKW stillgelegt worden. Frankreich hat kaum Erfahrung mit dem Abriss von Atomkraftwerken, zumeist basiert sie auf Präzedenzfällen in den USA. In keiner größeren Anlage wurde der Abriss bis heute erfolgreich abgeschlossen. Die Arbeiten laufen teilweise seit Jahrzehnten - und sollen auch noch Jahrzehnte andauern.
Bei der Konzeption sei der Abriss gar nicht mitgedacht worden, kritisieren Atomkraftgegner*innen. Die AKW der ersten Generation (dazu zählen die meisten) seien nur für den Betrieb konzipiert worden; kein Wunder also, dass unzählige Komplikationen auftreten.
In Marcoule wurde beispielsweise schon 1969 mit dem Abriss eines Reaktors, in dem Plutonium für militärische Zwecke hergestellt wurde, begonnen. Heute wird das Ende der Arbeiten mit 2035 angegeben. Um Erfahrungen zu sammeln, konzentrieren sich die Arbeiten von EdF auf den ersten Reaktor am Standort Chooz. Dieser unterirdisch gelegene Druckwasserreaktor wurde im Jahr 1991 stillgelegt und wird seit 2008 abgebaut. Außerdem wird eine Anlage in Brennilis in der Bretagne abgerissen. Die Kosten sollen dort schon bis zu zwanzigmal höher sein als ursprünglich geschätzt.
2012 gab EdF an, dass man mit Gesamtkosten von 18,4 Milliarden Euro für den Abriss aller Atomanlagen rechne. Dafür waren damals 2,3 Milliarden Euro Rücklagen gesammelt worden. Zum gleichen Zeitpunkt veranschlagte Japan bereits 40 Milliarden, Großbritannien 46 Milliarden und Deutschland bis zu 62 Milliarden Euro.
Das Atommülldesaster
Auch in Frankreich existiert kein langfristiges Atommülllager. Die Pläne zur Errichtung eines unterirdischen Lagers in Bure (Lothringen) sind hochumstritten und stoßen auf erheblichen Widerstand - das Land hat sich zudem bei der Suche allein auf diesen einen Standort fokussiert. Der 2019 veröffentlichte „World Nuclear Waste Report“ errechnet für Frankreich eine gesamte Atommüllmenge aus dem Betrieb und Abriss der Meiler von 2 Millionen Kubikmeter (zum Vergleich: Deutschland etwa 600.000 Kubikmeter). Ende Dezember 2017 bezifferte die französische Atommüllbehörde ANDRA die Menge an hochradioaktivem Abfall auf 3.740 Kubikmeter. Dieser Müll ist auf zahlreiche Zwischenlager im ganzen Land verteilt.
Und dieser Atommüll ist irgendwie auch deutsch: Im Jahr 1972 beteiligte sich das damalige Badenwerk mit 17,5 Prozent an den Baukosten der beiden Fessenheim-Blöcke, dafür wurden Stromlieferverträge unterzeichnet. Heute heißt der Rechtsnachfolger des Badenswerks EnBW. Der Atomkonzern ist wiederum zu 47 Prozent in der Hand des Landes Baden-Württemberg. Damit zahlen auch wir die Kosten, die durch den Abriss und die Atommüll-Lagerung in Fessenheim entstehen, mit deutschem Steuergeld.
„Der dritte Sekt muss warten“
Axel Mayer, Geschäftsführer beim BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein und seit Jahrzehnten gegen das AKW Fessenheim aktiv, empfiehlt drei Flaschen Sekt auf das Ende von Fessenheim zu köpfen:
- Die Erste öffnen Sie am Tag der endgültigen Abschaltung des letzten der beiden Reaktoren.
- Die Zweite öffnen Sie am Tag der Entleerung der Brennelemente-Zwischenlager. Erst dann ist die GAU-Gefahr tatsächlich beseitigt.
- Die Dritte Flasche sollten Sie gut lagern: In ca. einer Million Jahre ist der Großteil des in Fessenheim angefallenen Atommülls zerfallen. Dann gibt es tatsächlich Grund auf die Fessenheim-Schließung anzustoßen.
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Quellen (Auszug): energiestiftung.ch, zeit.de, de.wikipedia.org, taz.de, srf.ch, bund-rvso.de, enbw.com, worldnuclearwastereport.org