„Wir würden gerne mal kurz unterbrechen“

11.02.2020 | Armin Simon
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David Haase, 25, studiert Friedens- und Konfliktforschung und mischt mit dem „Jungen Netzwerk für politische Aktionen“ (Junepa) nicht nur den Jugend-Workshop zur Atommüll-Lager-Suche auf.

Meine letzte Aktion war im Oktober in Kassel. Die staatlichen Akteure der Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager, also das Atommüll-Bundesamt (BfE/BASE), die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) und das „Nationale Begleitgremium“ (NBG), hatten einen Workshop unter dem Titel „#Dein_Endlager“ organisiert. Zielgruppe waren dezidiert Jugendliche, und laut Flyer sollte es darum gehen, herauszufinden, wie man die junge Generation für das Standortauswahlverfahren begeistern beziehungsweise dieses medial positiv belegen und verkaufen kann. Da waren ca. 60 Leute, plus an die 20 Vertreter*innen der drei Veranstalter*innen.

Die drei Institutionen BfE, BGE und NBG sollen sich ja eigentlich gegenseitig kontrollieren. Auf dem Workshop haben sie aber Hand in Hand gespielt. Das Ganze fand in einem 4-Sterne- Hotel statt, mit extra bestelltem Waffelmann und so, kurz: Man sollte sich wohlfühlen und der Sache und den Veranstalter*innen erstmal wohlwollend gegenübertreten.

#Nicht_mein_Endlager

Wir waren zu dritt, hatten uns mit Vornamen angemeldet, das reichte. Eine weitere Person hat von zu Hause aus die Social-Media-Kanäle betreut. Natürlich sind wir hingefahren mit der Idee, da was Kritisches machen zu wollen. Wo wir wie am besten eingreifen, haben wir aber erst dort überlegt – und dann entschieden, das Programm zu einem bestimmten Zeitpunkt zu unterbrechen und unsere Kritik zu erläutern: die Intransparenz des Standortauswahlverfahrens, das keineswegs erfüllt, was es versprochen hat, und das weder selbstlernend noch selbstkontrollierend ist. Und den Workshop, der ja eher eine Werbeveranstaltung für die Atommüll-Lager-Suche war: Denn was für eine Partizipation soll das sein, bei der es nur darum geht, die Institutionen zu beraten, wie sie sich an Jugendliche ranmachen können, anstatt über das Suchverfahren selbst zu reden und seine Pseudo-Beteiligung der Betroffenen? Ein Referent der Veranstalter*innen hatte am Vorabend ganz offen eingeräumt: Partizipation im Sinne von Entscheidungsbeteiligung der Bevölkerung ist im Standortauswahlverfahren gar nicht vorgesehen.

Die ganze Aktion haben wir über Twitter dokumentiert, mit kleinen Videos und unserem eigenen Hashtag „#Nicht_Mein_Endlager“. Da ist einiges gelaufen auch an Diskussionen bis weit in die Nacht.

Im Vorhinein hatten wir überlegt, was man bei so einer Veranstaltung überhaupt machen könnte, eine Aktion vor Ort mit einem Banner etwa und einem Redebeitrag auf der Bühne. Oder einfach vor dem Gebäude protestieren. „Gehen wir wirklich rein und nehmen teil oder bleiben wir draußen?“, haben wir uns gefragt, wollten uns das aber mal angucken. Vor Ort haben wir dann entschieden, auch nach unserem Statement noch dazubleiben und mit den Leuten zu diskutieren. Das hat es der BGE natürlich erleichtert, unsere Aktion in ihrer Außenkommunikation für sich zu nutzen und zu sagen: Es gab auch Kritik. Aber bei den Teilnehmer*innen selbst hat es uns Sympathien eingebracht.

Unser erster Workshop am Samstagmorgen war also, aufs Zimmer zu gehen und uns zu beraten und vorzubereiten, wer was macht und sagt. Als dann alle zurück kamen zur Auswertung im Plenum, haben wir die Gelegenheit genutzt, um zu sagen: Moment, wir würden das Programm gerne mal kurz unterbrechen und Kritik an dem Workshop und der Sache an sich äußern. Das war der spannende Punkt, denn es war nicht klar, wie die anderen darauf reagieren würden. Einzelne Stimmen haben auch gleich gemurrt, was das denn solle. Viele haben aber auch gesagt: Lasst sie doch mal reden! Die Abstimmung ergab dann eine klare Mehrheit dafür, uns zuzuhören.

Weil das direkt vor dem Mittagessen war, war unsere Kritik auch beim Mittagessen noch Thema. Anschließend kamen rund 20 der 60 Teilnehmer*innen in den von uns angebotenen Workshop, wo es dann drei bis vier Stunden lang ein sehr angeregtes Gespräch gab. Viele konnten unsere Position nachvollziehen, einige waren einer Meinung mit uns, aber es gab auch welche, die das Verfahren an sich deutlich weniger kritisch bewertet haben. Unser Abendprogramm bestand schließlich darin, Twitter zu bearbeiten, am Sonntagmorgen haben wir noch ausgewertet.

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In den Diskussionen haben sich einige Teilnehmer*innen auf den Schlips getreten gefühlt, weil wir ja auch die Veranstaltung selbst kritisiert haben, zu der sie extra angereist sind. Die Organisator*innen wiederum haben bei jeder Gelegenheit gesagt: Gut, dass wir gekommen seien, denn Kritik sei ja so wichtig. Andererseits saß beim Mittagessen der im Atommüll-Bundesamt für „Öffentlichkeitsbeteiligung beim Standortauswahlverfahren“ Verantwortliche neben uns und sah gar nicht glücklich aus.

Atomkraft-Werbung im Biomarkt?

Junepa, „Junges Netzwerk für politische Aktionen“, gibt es seit sechs Jahren, ich bin seit der Gründung dabei. Wir sind unabhängig von anderen Organisationen und eine sehr offene Struktur, im organisatorischen Kern vielleicht ein Dutzend Leute, zu Aktionen kommen manchmal deutlich mehr. Drei- bis viermal im Jahr gibt es bundesweite Treffen. Unser Altersschnitt liegt bei Mitte 20, eine offizielle Altersbeschränkung gibt es aber nicht. Alle sind ehrenamtlich aktiv. Unsere Themen sind, wofür sich Leute von uns interessieren: Atommüll, Rüstung, Klima, Kohle, Atomwaffen – immer das, wofür gerade Energie und Motivation da sind.

Erst neulich etwa haben sich einige von uns die Biosupermarktkette Denn’s vorgeknöpft. Die machen doch tatsächlich mit dem Spruch „Kernkraft? Ja bitte!“ Werbung – für Körner und Sortenvielfalt zwar, in unseren Augen aber ist das nicht nur missverständlich, sondern hochgefährlich. Da reiben sich die Atomkraft-Fans doch die Hände! Leute aus unserer Regionalgruppe Lüneburg haben die Flyer mit dem blöden Spruch in der Auslage gesehen und beschlossen, dass das so nicht stehen bleiben kann. Also sind sie rein und haben erst mal unauffällig alle Flyer eingepackt. Zu Hause haben sie dann „Atomkraft? Nein danke“-Sonnen vornedrauf geklebt und einen eigenen Flyer eingelegt, der erläutert: „In Zeiten, in denen Atomkraft als Lösung für die Klimawandel propagiert wird, in denen Pro-Atom-Vereine auf Fridays-for-Future-Demos Flyer verteilen und Atomlobbyisten sich für Laufzeitverlängerungen einsetzen, muss es ganz klar heißen: ‚Atomkraft? Nein Danke!‘“ Und dass es auch von Denn’s „eine klare Positionierung gegen Atomkraft und für eine zukunftsfähige Lebensweise“ brauche.

Die solchermaßen aufgepeppten Flyer haben sie dann wieder im Laden ausgelegt. Niemand hat deren kleinen Korrekturausflug bemerkt, jedenfalls zunächst nicht. Beim nächsten Besuch waren dann allerdings alle Flyer weg. Ob Leute sie mitgenommen oder Denn’s sie entfernt hat, wissen wir zwar nicht. Auf jeden Fall hatten sie aber keine neuen ausgelegt. Auf Twitter haben wir dann dazu aufgerufen, die Aktion nachzumachen. Unseren Einlegeflyer kann man da übrigens gleich downloaden … https://junepa.noblogs.org/

Protokoll: Armin Simon

Dieser Artikel erschien zuerst im .ausgestrahlt-Magazin Ausg. 46 (Anfang 2020)


weiterlesen:

  • Kernkraft - ja bitte?
    08.11.2019 - Diverse Firmen aus der Biobranche haben eine Werbekampagne unter dem Motto „Kernkraft - ja bitte“ gestartet. Einerseits ein witziges Wortspiel, andererseits brandgefährlich in Zeiten, in denen sich die Atomlobbyisten für AKW-Laufzeitverlängerungen in Stellung bringen.

  • Atompropaganda? Nein danke.
    09.01.2020 - In der Ausgabe 51/2019 (14. Dezember 2019) berichtete der Spiegel auffallend positiv über Atomkraft als vermeintliches Mittel zur Lösung der Klimakrise. Die Stiftung des US-Amerikaners Bill Gates, der seit Jahren „neue Reaktorkonzepte“ propagiert, unterstützt den Spiegel finanziell. Gibt es einen Zusammenhang?

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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