Mit dem Betriebsende des Berliner Forschungsreaktors BER beginnt am 11. Dezember die „kleine Abschaltserie 2019“, die über das schweizerische AKW Mühleberg beim AKW Philippsburg-2 enden wird.
„Am Ende bleibt der Müll“, diese Tatsache, auf die Berliner Anti-Atom-Aktivist*innen hinweisen, gilt für alle Atomstandorte. Wenn am heutigen Mittwoch (11. Dezember) der im Vergleich zu den Leistungsreaktoren mit 10 Megawatt „kleine“ Meiler für immer abgeschaltet wird, dann beginnt auch für Berlin die Ära des Atommülls. Konkret bedeutet das: hochradioaktive Castor-Transporte, Bau einer neuen Atommüllhalle, hunderte Tonnen schwachaktive Abfälle. Der Betreiber rechnet heute mit 240 Millionen Euro für den Abriss zur „grünen Wiese“, den Großteil trägt der Bund, der Bau kostete gerade einmal 62 Millionen.
In der Kritik stand der Meiler besonders wegen seiner Nähe zur Hauptstadtmetropole, besonders als 2011 bekannt wurde, dass es möglicherweise Risse im Kühlsystem gab. Gegenüber eines großen Leistungsreaktors mit 1.000 Megawatt ist der BER zwar klein. Dafür wurde aber auf Sicherheitseinrichtungen verzichtet, etwa solche, die bei einem gezielten Flugzeugabsturz schützen sollen. Weil Anflugrouten des neuen Flughafens Berlin-Schönefeld über dem Reaktor liegen sollen, zogen Anwohner*innen vor Gericht. 2017 wies das Oberverwaltungsgericht sie allerdings ab, die Gefahr gezielter Flugzeugabstürze würde im „Restrisikobereich“ liegen - man müsse sie also hinnehmen.
Atommülltransport Berlin – Ahaus
In die Medien werden es die Hinterlassenschaften des BER höchstwahrscheinlich spätestens 2023 schaffen. Dann sollen – bisher kaum beachtet – Castor-Transporte ins nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus stattfinden, um die Brennelementebecken in Berlin für den Abriss zu leeren.
Die BI in Ahaus kündigt schon heute entschiedenen Widerstand gegen weitere Atommüll-Lieferungen an. Am kommenden Sonntag (15.12.2019) wird dort zu einem Jubiläum geladen: Seit 25 Jahren findet (fast) jeden Sonntag ein Protestspaziergang statt. Höhepunkt wird die Neuaufstellung von gelben Xen und schwarzen Fahnen als „Zeichen des Widerstands“ sein. Nachdem jahrzehntelang Gorleben Hotspot für Atommüllanlieferungen aller Art und Absender gewesen ist, verkommt nun Ahaus zum Strahlenmüll-Zentrum. Geplant sind in naher Zukunft neben den Transporten aus Berlin auch Castor-Anlieferungen aus Garching (Bayern) und Jülich.
„Es reicht! Kein Atommüll mehr nach Ahaus“, forderten im März dieses Jahres 1.400 Menschen bei der größten Demo seit vielen Jahren in Ahaus. Es drohe ein „Endlos-Zwischenlager“, de facto ohne zeitliche Befristung wegen der unklaren Perspektive bei der Suche nach einem Atommüll-Lager. Über 70 Verbände und Initiativen, darunter .ausgestrahlt, haben Ende 2018 in einem gemeinsamen Positionspapier auf generelle Sicherheitsdefizite und Wissenslücken bei der Zwischenlagerung von hochradioaktivem Atommüll hingewiesen. Dabei geht es um technische Probleme und um unklare zeitliche Perspektiven. Gefordert wird von den verantwortlichen Behörden „ein tragfähiges Konzept“ für die Zukunft; unnötige Atomtransporte sollen vermieden werden und die Öffentlichkeit an Entscheidungen teilhaben.
Die Jahrhundert-Lager: Hochradioaktiver Müll
Die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls wird sehr viel länger dauern, als ursprünglich behauptet. Doch die Politik nimmt das Problem nicht ernst.
Schweiz startet einen langen Weg
Neun Tage später (20. Dezember) wird es in der Schweiz spannend; mit der Abschaltung des AKW Mühleberg unternimmt das Land den ersten Schritt hin zum Atomausstieg. Doch der Weg ist noch lang. Nicht nur, weil auch in der Schweiz die langfristige Lagerung der hochaktiven Abfälle ungeklärt ist - vom schwach- und mittelaktiven Müll ganz zu schweigen. Mit dem AKW Beznau-I befindet sich hier nämlich das weltweit älteste AKW in Betrieb, ohne eine Laufzeitbegrenzung. In diesem Jahr feierte Block 1, der 1969 in Betrieb ging, seinen 50sten Geburtstag - ein Wahnsinn mit Blick auf Alterungsproblematiken, der damit verbundenen Zunahme von Defekten und der Tatsache, dass sich der Meiler unweit der deutschen Grenze befindet. Ein schwerer Unfall mit Freisetzung von Radioaktivität würde unweigerlich auch Deutschland betreffen.
„Mühleberg soll das grosse Vorbild für die Stilllegung von Beznau werden“, heißt es von der Initiative „Nie wieder AKW“, die am Tag der Abschaltung zu einem „Nachglühfest“ nach Bern einlädt.
Philippsburg-2 geht vom Netz
„Noch lange nicht ausgestrahlt“ hat es sich auch am deutschen Standort Philippsburg. Dort wird zwar am 31. Dezember der Block 2 endgültig vom Netz gehen, nachdem Block 1 bereits 2011 seine Betriebserlaubnis verloren hatte. Seit ein paar Jahren baut der Betreiber EnBW aber auf dem Gelände mit einem „Reststoffbearbeitungszentrum“ und einer weiteren Abfall-Lagerhalle eine gigantische Atommüllinfrastruktur auf. Das Standortzwischenlager für hochaktive Castor-Behälter wurde schon 2007 in Betrieb genommen. Neben dem Müll aus den beiden Standortmeilern wird hier „nicht vor 2021“ die Anlieferung von fünf Castor-Behältern aus der Wiederaufarbeitung im Ausland erwartet.
Für diese Lagerhalle gilt dasselbe wie in Ahaus: Schon heute ist absehbar, dass die genehmigte Einlagerungsdauer (in Philippsburg 2047) nicht ausreichen wird, bis eine „Lösung“ für den hochradioaktiven Abfall gefunden ist. Wenn es denn je eine „Lösung“ geben wird.
Immerhin wird zum 31. Dezember das Risiko schwerer Unfälle während des Reaktorbetriebs auf sechs übrige Meiler in Deutschland reduziert. Doch damit fangen andere Probleme erst richtig an.
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Quellen (Auszug): atommuellreport.de, dpa, bi-ahaus.de, atomreaktor-wannsee-dichtmachen.de, nwa-schweiz.ch, bnn.de, moz.de, taz.de