Während die Atomlobby die Illusion von neuen Meilern predigt, hat diese Ansage Gewicht: Die weltgrößte Ratingagentur Standard and Poor’s Corporation (S&P) rät dem Finanzmarkt von Investitionen in den Ausbau der Atomenergie ab.
Die US-Agentur, Weltmarktführer mit 40 Prozent Marktanteil, bewertet Unternehmen mit einem bestimmten Punktesystem und gibt so u.a. Anleger*innen an der Börse Hinweise, wo investiert werden sollte - und wo nicht. Diese „Ratings“ reichen von „AAA“ bis „D“ und haben großes Gewicht auf dem Finanzmarkt, Ratingveränderungen können Einfluss auf die Aktienkurse haben - und dem betroffenen Unternehmen so eine Menge Geld bringen - oder es verlieren lassen. Neben diesen Kauf- oder Verkaufsempfehlungen geben Ratingagenturen auch Prognosen für die Zukunft ab, die in der Regel aus Daten der Vergangenheit abgeleitet werden.
Am 11. November hat S&P eine Stellungnahme zur Atomenergie verfasst:
„Die globale Atomindustrie steht vor Herausforderungen im Zusammenhang mit Sicherheitsbedenken, der Verschärfung der Vorschriften nach Fukushima, der Ausstiegspolitik in mehreren Ländern, der Alterung der Anlagenbestände, den zunehmend volatilen Energiemärkten und dem Wettbewerb mit erneuerbaren Energien.“
Zunehmende Konkurrenz durch billigen Strom aus erneuerbaren Energien, Sicherheitsbedenken und steigende Kosten für neue Anlagen würden die Atomenergie vom Markt verdrängen, so S&P. Mit Ausnahme von China und Russland, dort genieße die Industrie „weiterhin umfangreiche staatliche Unterstützung“.
„Wir sehen wenig wirtschaftliche Gründe für neue nukleare Bauten in den USA oder Westeuropa, da massive Kostensteigerungen und die Kostenwettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien zu einem wesentlichen Rückgang der nuklearen Stromerzeugung bis 2040 führen sollten“, erklärte S&P.
Klimakrise sorgt für Laufzeitverlängerung
Die Diskussion um das Klima hat die Aufmerksamkeit auf bestehende Atomkraftwerke als möglichen Bestandteil für einen europäischen kohlenstoffarmen Energiemix gelenkt. Während sich hierzulande allerdings selbst die Betreiberkonzerne von ihren alten Meilern (zumindest offiziell) verabschiedet haben und bis Ende 2022 der letzten Reaktor abgeschaltet sein soll, ist die Situation in anderen Ländern bedenklich. Frankreich beispielsweise verschiebt seit Jahren mit Verweis auf seine Klimaziele den einst ehrgeizigen Plan für eine umfassende Energiewende. Doch auch in Deutschland versucht eine Lobby, die letzten AKW trotz gesetzlichem Atomausstieg wieder salonfähig zu machen.
S&P stellt jedoch klar, dass dieser Hype ein (relativ) kurzer sein wird: Maximal bis 2040 werde Atomenergie in Europa „relevant“ bleiben. Etwa bis zu diesem Zeitraum planen Länder wie Frankreich ihre alten, abgeschriebenen Atommeiler weiter zu betreiben. Wegen des stetigen Wachstums der erneuerbaren Energien sähe danach die Zukunft der Atomenergie „viel unsicherer“ aus und sei „weitgehend von der staatlichen Unterstützung abhängig“, so S&P abschließend.
„Ein riskantes und teures Experiment“
Eine klare Absage erteilt die weltgrößte Ratingagentur AKW-Neubauten wie im französischen Flamanville oder finnischen Olkiluoto. Diese einstigen „Vorzeigebaustellen“ der Atomindustrie sollten vor Jahren „den Durchbruch” für neue Meiler bringen, sorgen heute aber für massive Kostenprobleme bei den beteiligten Unternehmen. Dank Sicherheitsauflagen werden die Reaktoren deutlich teurer - und damit im Vergleich zu Alternativen noch unwirtschaftlicher als einst angekündigt.
Eine Investition in ein Atomkraftwerk sei „stets privatwirtschaftlich unrentabel, egal welche plausiblen Werte für den zukünftigen Strompreis, die spezifischen Investitionen und die Kapitalkosten angenommen werden“, urteilte im August das Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Kritische Fakten sammelte jetzt auch das Greenpeace Magazin in einem aktuellen Beitrag zu der Propaganda der Atomlobby, man sollte neue Meiler für den Klimaschutz bauen. Im Gespräch sind Schnelle Brüter oder Kernfusion, alles längst geplatzte Träume vom „geschlossenen Brennstoffkreislauf“ oder „unendlich viel, billiger Energie“. Atombefürworter Rainer Klute, Vorsitzender der „Nuklearia e.V.“ nennt Atom- und Kohleausstieg sogar ein „riskantes und teures Experiment“.
Doch Atomenergie ist gegenüber erneuerbaren Energien nicht konkurrenzfähig, weil sie schlichtweg zu teuer ist, rechnet die „Deutsche Akademie für Technikwissenschaften“ in ihrem Report „Energiesysteme der Zukunft“ vor. Das Gleiche bekräftigt zum Beispiel auch Mycle Schneider, Herausgeber des aktuellen „World Nuclear Status Report“.
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Quellen (Auszug): greenpeace-magazin.de, euractiv.de