11. November: An nur einem Tag wurden eine ganze Reihe von Störfällen und Defekten aus Atomkraftwerken gemeldet. Darunter drei französische AKW, die von einem Erdbeben betroffen sind.
Mit einer Stärke von 4,8 wurde am Montag die Region um Montélimar im Rhône-Tal in Südfrankreich erschüttert. In der Region gibt es 12 Atomkraftwerke, es ist damit der größte Atomstromstandort Europas. 25 Kilometer südlich von Montélimar befindet sich Pierrelatte, ein Atomzentrum mit vier Reaktorblöcken, zwei Urananreicherungsanlagen und einer Urankonversionsfabrik. Nur wenige Stunden zuvor, kurz vor Mitternacht des Vortages, wurde dort eine Reaktor-Notabschaltung ausgelöst (Zufall? Es hat Vorbeben gegeben). Etwa 15 Kilometer nördlich der Stadt befindet sich das Atomkraftwerk Cruas, das aus vier Druckwasserreaktoren besteht. Der älteste Meiler ist seit 36 Jahren in Betrieb. Nachdem im Zusammenhang mit dem Beben „Vibrationen“ in Cruas gemessen worden waren, habe Betreiber EDF das Abfahren von drei der vier Reaktoren angeordnet, ein Block ist bereits seit September offline. Alle seien aber „nicht beschädigt“, schreibt der Konzern, es würden „Kontrollen“ durchgeführt. Kritik gibt es an der Kommunikation: Die Webseite „Montel“ schreibt, dass EDF ihr gegenüber direkt nach dem Beben bekräftigt habe, alle Meiler seien geprüft und könnten in Betrieb bleiben. Später erst sei dann das Abfahren von Cruas bekannt geworden. Französische Anti-Atom-Aktivist*innen warnten unterdessen vor baulichen Mängeln in Tricastin, die bisher nicht beseitigt seien. Im Zusammenhang mit Erdbeben drohen dort Überflutungen.
Die Auslegung der französischen Atomkraftwerke gegenüber Erdbeben erfolgte anhand des historischen Bebens von 1873 mit einer Stärke von 4,7. Der Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital meldete Montag zuerst eine Stärke von 5,4 und riet umgehend: „AKW besser bald stilllegen!“ Passend dazu hat kürzlich die französische Umweltministerin Elisabeth Borne den staatseigenen Energiekonzern EDF aufgefordert, ein Szenario zu entwickeln, bei dem die Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt. Frankreich ist weiterhin das Land mit den meisten AKW in Europa - und davon entsprechend weit entfernt.
„Vibrationen“ gab es auch im tschechischen Atomkraftwerk Temelin. Daraufhin wurde einer der beiden Reaktorblöcke unplanmäßig vom Netz genommen. Betroffen von „erhöhten Vibrationen“ sei der Turbogenerator des ersten Blocks gewesen, so Betreiber CEZ. Als Ursache nennt er „Schwankungen der Außentemperatur“. Die verwendeten Turbinen sind eine Eigenentwicklung der Firma Skoda Power. Vor fünf Jahren waren die Rotorblätter erneuert worden, um die Bruttoleistung des Reaktors von 1.000 auf 1.080 Megawatt zu erhöhen. Seitdem hatte es laut Kritiker*innen bereits mehrfach Probleme mit erhöhter Vibration gegeben. Der Verweis auf „Temeraturschwankungen“ sei „nicht plausibel und unglaubwürdig“, so das Anti Atom Komitee in Österreich.
„Der erneute Zwischenfall zeigt klar auf, dass die Turbinen des AKW Temelín nicht für einen störungsfreien Dauerbetrieb geeignet sind. Es braucht daher eine Totalkontrolle der beiden Reaktoren“, fordert Rudi Anschober, oberösterreichischer Landesrat für Umwelt und langjähriger Kritiker des AKW Temelin.
Brokdorf muss vom Netz
Ebenfalls keinen Atomstrom produzieren wird ab dem 17. November das schleswig-holsteinische Atomkraftwerk Brokdorf. Grund sind nötige Reparaturarbeiten am Kühlwasserauslaufbauwerk, über das das Wasser aus dem Meiler in die Elbe eingeleitet wird. Laut Betreiber Preußen Elektra seien Schäden an Verbindungselementen einer Tauchwand festgestellt worden. Diese Wand sorgt dafür, dass das ausströmende, erwärmte Abwasser aus dem AKW der Elbe unterhalb der Wasseroberfläche wieder zugeführt wird. Die Arbeiten könnten nur bei abgeschaltetem Meiler und bei Niedrigwasser durchgeführt werden und sollen etwa fünf Tage dauern.
Ein radioaktives Leck hat der Betreiber des seit 1988 abgeschalteten AKW Mülheim-Kärlich entdeckt. Betroffen war das Abwassersammelsystem, aus dem „eine geringe Menge Abwasser“ in einen Raum innerhalb des nuklearen Bereiches austrat. Kontrollmessungen hätten eine „geringfügige Aktivität“ im betroffenen Raum nachgewiesen, die durch „sofortige Reinigung“ entfernt wurde.
Gleich zwei Meldungen musste außerdem das niedersächsische AKW Grohnde bei den Aufsichtsbehörden machen, beide betreffen die Notstromversorgung. An einem von vier Notstromdieseln, die bei einem Störfall mit Stormunterbrechung von außen die Kühlanlage betreiben müssen, war eine geringe Kühlwasserleckage gefunden worden. Durch eine „lose Rohrleitungshalterung“ habe sich eine Dichtung verschieben können, berichtet Betreiber Preussen Elektra. Wenige Tage später erzeugte ein Elektronikfehler das Signal im Reaktorschutzsystem zum irrtümlichen Starten eines der Notstromdiesel.
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Quellen (Auszug): dpa, wikipedia.org, tagesspiegel.de, preussenelektra.de, rwe.com, montel.com