„Nicht den Kopf in den Sand stecken“

07.11.2019 | Julia Schumacher

Sam Bohr, 59, klärt mit der „Initiative für eine atommüllfreie Müritzregion“ Bürger*innen und Politiker*innen über die Mängel des Suchverfahrens für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager auf.

Sam Bohr, Initiative für eine atommüllfreie Müritzregion
Foto: privat
Sam Bohr

Ich habe in unserer regionalen Zeitung einen Artikel entdeckt, darin hieß es, Wredenhagen könnte einer der möglichen Orte für ein ‚Endlager‘ für hochradioaktiven Müll sein. Zuerst dachte ich, das wäre ein Scherz. Sommerloch oder so. Es war so weit weg für mich, dieses Verfahren und die Suche nach einem Atommüll-Lager …. Okay, ich komme ja aus der Anti-Atom-Bewegung. Damals in den 70er, 80er Jahren bin ich zu dem Thema schon auf die Straße gegangen. Das Engagement ist weniger geworden aber plötzlich kam alles wieder so nah, dass ich einfach auf jeden Fall das Gefühl hatte, ich muss jetzt was tun.

Aber dass ich so uninformiert war, hat mich echt gewurmt. Also habe ich .ausgestrahlt eingeladen, zu uns zu kommen und uns zu informieren. Immerhin ist das ganze Thema ja ein Wust an Informationen. Da müsste eine Einzelperson sechs Wochen Urlaub machen, um sich da durchzulesen. Es gab hier also einen Infoabend mit Jochen Stay. Ich habe viel Werbung dafür gemacht, Wurfsendungen an Haushalte verteilt, mich an unser Wochenblättchen gewendet, auf einem Internet-Portal über die Region und auch auf facebook gepostet. Ich wollte einfach, dass wir uns als Bürger*innen zusammentun und Fakten zusammentragen.

Einladung an .ausgestrahlt

Die Gemeindevertreter*innen und der Bürger-meister hatten übrigens auch keine Ahnung von dem Thema und wollten zunächst auch nichts davon wissen. Vor allem, weil es nicht besonders geeignet dafür sei, Werbung für unser Dorf zu machen. Zum Infoabend kamen trotzdem um die 170 Leute, viele auch aus umliegenden Dörfern, ich hätte das nicht gedacht. Ich habe gemerkt: Das ist nicht nur ein Thema von Wredenhagen, sondern das betrifft die gesamte Müritz-Region. Viele andere kamen wiederum nicht; Menschen mit Kindern müsste das doch interessieren, das verstehe ich nicht wirklich.

Der Infoabend war super, eine gemischte Stimmung auch, viele Sachen haben wir erfahren und verstehen nun wesentlich besser, was tatsächlich geplant ist. Einige Menschen waren auch entsetzt und fühlen sich ohnmächtig. Aber ich bin der Meinung, wir müssen in jedem Fall tun, was möglich ist. Und das ist neben der Information und Verbreitung der Information beispielsweise auch, dass wir jetzt geologische Daten über unsere Region zusammentragen.

Nach unserer Infoveranstaltung ist übrigens dann auch das Atommüll-Bundesamt (BfE) auf uns aufmerksam geworden. Die haben mitbekommen, dass hier was passiert, und unserem Bürgermeister angeboten, ihn und die anderen Gemeindevertreter*innen im Rathaus zu informieren. Zunächst gab es also eine Ausschuss-Sitzung mit Bürgermeister*innen der umliegenden Gemeinden, und weil der Bürgermeister wusste, dass die Bürger*innen mittlerweile ein großes Interesse haben, gab es anschließend einen öffentlichen Infoabend des BfE.

Im Juli 2019 wurde bekannt, dass Wredenhagen als möglicher Standort für das künftige deutsche Atommüllendlager in Frage kommt. Die Bürgerinitiative „Atommüllfreie Müritzregion“ wehrt sich gegen das Vorgehen der Bundesregierung.

 

Der Referent für Bürger*innen-Beteiligung vom BfE war strategisch perfekt vorbereitet. Er hat zunächst Fragen aus dem Publikum gesammelt, im Endeffekt aber den ganzen Abend komplett sein Programm und seine Partie durchgezogen. Er hat vor allem den Ablauf des Suchverfahrens geschildert, mit Begriffen wie ‚Teilkonferenzen‘ und ‚Regionalkonferenzen‘ – sehr spezifische Informationen, die für die meisten im Publikum zu schwierig zu verstehen waren, weil die Leute kaum ausreichend eingearbeitet sind. Die gestellten Fragen hat er nur oberflächlich beantwortet und einfach grundsätzlich immer wieder um allgemeines Verständnis geworben. Wir waren am Ende alle müde, und ich war auch ein bisschen ungehalten, weil ich merkte, dass wir aus dieser Veranstaltung nichts rausziehen konnten.

Wenn die ersten Gebiete genannt werden, werden wir nicht mehr viel Zeit haben. Wir haben dann nur wenige Monate, um als betroffene Region eine Stellungnahme zu geben. Je enger sich der Kreis um eine Region zieht, umso schwieriger wird es am Ende, sich zu wehren. Ende 2020 werden ja zuerst die genannt, die raus sind. Und dann muss man wieder warten bis die genannt werden, die drin sind. Die Wartezeit verlängert sich also nochmal.

Neben den Gesprächen mit Geolog*innen finden wir es auch wichtig, uns jetzt Verbündete zu suchen wie zum Beispiel den Tourismusverband oder Naturschutzverbände. Wir sprechen auch viel mit Gemeindepolitiker*innen, und einige sagen fest zu, sich dafür einsetzen, dass der Landkreis sich jetzt schon intensiver mit dem Thema beschäftigt. Tatsächlich wissen die momentan alle von nichts. Das finde ich so erstaunlich. Da müssen wir gegensteuern.

Wir brauchen motivierte Bürger*innen, die sagen, das macht Sinn, sich weiter zu informieren und vorzubereiten. Es ist ja ein Unding, dass das BfE die „Statuskonferenz“ zur Standortsuche zum wiederholten Mal auf Werktage legt, sodass nur wenige berufstätige Menschen überhaupt teilnehmen können.

Solidarität mit anderen Regionen

Für uns war und ist auch Solidarität mit anderen genannten Gebieten wichtig. Wir stehen jetzt schon ganz gut da mit Informationen und möchten gerne anderen Regionen auch helfen, aufmerksam zu machen und sich kritisch einzubringen. Wir möchten unsere Vorarbeit auch weiter tragen. So gibt es hier wenige Kilometer entfernt Orte, die ebenfalls betroffen sein können und noch von nichts wussten.

Von den 170 Menschen, die zur ersten Infoveranstaltung gekommen sind, sind jetzt 55 Mitglieder in unserer Bürger*innen-Initiative – und wir werden dranbleiben. Wir haben uns jetzt umbenannt in ‚Initiative für Atommüllfreie Müritzregion‘. Vom Tourismusverband gab es direkt Ärger, denn wenn wir uns so nennen, wäre das ja ein schlimmer Image-Schaden für die Region. Darüber habe ich mich ziemlich aufgeregt, denn es ist doch absurd und kurzfristig gedacht, den Mund zu halten oder den Kopf in den Sand zu stecken, nur um die Bettenbelegung nicht zu gefährden.

Dieser Artikel erschien zuerst im .ausgestrahlt-Magazin Ausg. 45 (Ende 2019)

 

weiterlesen:

Standortsuche Atommüll Statuskonferenz 925.jpg

Wie funktioniert die Standortsuche für ein Atommüll-Lager? Welche Rechte haben Betroffene? Wie können sie sich einmischen? Eine erste kritische Bilanz nach zwei Jahren ziehen Expert*innen, potenziell Betroffene und Engagierte aus der ganzen Republik auf der „Alternativen Statuskonferenz“ am 9. November in Hannover. - mehr

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    30.10.2019 - Ein juristischer Trick soll das Standortsuchverfahren für ein Atommüll-Lager abkürzen – doch das hat gravierende Folgen.

  • Infoportal Standortsuche
    Hier findest Du gebündelte Informationen zum Thema Standortsuche für ein langfristiges Atommüll-Lager: eine Karte mit potenziell betroffenen Regionen, ein FAQ, ein Glossar, hilfreiche Tipps zum aktiv werden und vieles mehr. - zum Infoportal

  • 6-Minuten-Info - Kurz erklärt: Standortsuche
    Atommüll in der Nachbarschaft? Die Suche nach dem Atommüll-Lager startete mit lauter guten Versprechen: Partizipation, Transparenz, Wissenschaftlichkeit – sogar lernend wollte das Verfahren sein. Warum es jedoch an den eigenen Ansprüchen scheitert, erfährst Du in unserem neuen 6-Minuten-Clip.

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Julia Schumacher

Julia Schumacher verfasste ihre ersten umweltpolitischen Artikel schon in der Schulzeit. Nach dem Studium der angewandten Kulturwissenschaften schrieb sie u. a. für Lokalzeitungen, Stadtmagazine, Fachpublikationen, PR- und Werbeagenturen. Für .ausgestrahlt verfasst sie seit 2014 Beiträge für Magazin, Webseite und Social Media.

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