Die Anti-Atom-Bewegung lebt vom langen Atem. Nur so wurden in den letzten Jahrzehnten Projekte verhindert, verzögert, verändert. Zwei sehr schöne Beispiele für Dauerproteste sind Brokdorf und Gronau.
Jeden 6. im Monat trifft sich die Mahnwachengruppe um Pastor Hans-Günter Werner vor dem Tor des Atomkraftwerks Brokdorf an der Elbe, um gegen dessen Weiterbetrieb zu protestieren. Es geht den Aktivist*innen noch um mehr: „Wir wollen die vollständige weltweite Abrüstung und den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Wir gedenken insbesondere der Opfer von Hiroshima, Tschernobyl und Fukushima“, heißt es im Aufruf zur 400. Mahnwache, die am 6. November stattfinden wird.
Weitermachen, bis das AKW stillgelegt ist
Gestartet sind die Anti-Atom-Aktivist*innen vor über 33 Jahren. Initiiert wurde die Aktion von kirchlichen Mitarbeiter*innen und Pastor*innen der Nordelbischen Kirche, Anti-AKW-Gruppen aus Hamburg und besorgten Anwohner*innen aus der Umgebung von Brokdorf. Anlass waren der Super-GAU von Tschernobyl am 26. April 1986 und die Erfahrungen auf der großen Demonstration am 7. Juni 1986 gegen die für Oktober '86 geplante Inbetriebnahme von Brokdorf. Der 6. eines jeden Monats wurde gewählt, um auf den unlösbaren Zusammenhang von Atomstromproduktion und militärischer Nutzung – Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 – hinzuweisen. Das Motto der vielen Aktionen vor dem AKW Brokdorf lautet von Anbeginn an: Im Angesicht der Bedrohung: Gemeinsam Wege der Hoffnung finden.
Man werde „so lange die Mahnwachen durchführen, bis das AKW Brokdorf stillgelegt ist“, sagt Hans-Günter Werner. Das habe er zusammen mit einigen Mitstreiter*innen damals unterschrieben. Glaubt man den deutschen Atomausstiegsplänen, dann also noch bis Ende 2021. Früher seien sie noch „wie Terroristen“ behandelt, verhaftet oder weggetragen worden. Heute sei es „ein Miteinander“, die kritischen Transparente hängen an den Werkstoren, die Polizei kommt schon lange nicht mehr. Adressat der verteilten Flugblätter ist auch immer die Belegschaft des AKW, in ihrer aktuellen Ausgabe informiert die Mahnwachengruppe über das Risiko des „Freimessens“ der Abriss-Abfälle aus den AKW. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir nicht gegen die Leute hier kämpfen, sondern für das Leben“, betont der 72-jährige ehemalige Pastor Werner.
Für die Stilllegung der Anreicherungsanlage
Auch schon seit 33 Jahren treffen sich Atomkraftgegner*innen ununterbrochen immer am ersten Sonntag im Monat an der umstrittenen Atomfabrik in Gronau. Hier wird in der einzigen Urananreicherungsanlage Deutschlands Brennstoff für Atomkraftwerke hergestellt, ein Großteil davon für den Export. Der erste Sonntagsspaziergang habe als „eher spontane Idee“ Ende September 1986 im Rahmen einer Umweltwoche der Stadt Gronau stattgefunden, erinnert Udo Buchholz vom Arbeitskreis Umwelt. Auslöser sei ebenfalls Tschernobyl gewesen.
Im Fokus der Proteste steht heute der unbefristete Betrieb der Anlage, während die letzten deutschen Atomkraftwerke laut Ausstiegsgesetz spätestens Ende 2022 vom Netz gehen müssen. Urgesteine des Widerstands zeigten sich am vergangenen Wochenende „optimistisch“, dass die Stilllegung der Urananreicherungsanlage „in absehbarer Zeit“ erfolgen werde.
520 Sonntage – 1196 Kilometer
Ein nicht minder großes Jubiläum feierten Aktivist*innen am letzten Wochenende in Gorleben: Seit 10 Jahren wird sich dort jeden Sonntag zu einem Spaziergang um das Bergwerk verabredet. Anlass für den Protest waren 2009 die von schwarz-gelb angekündigten Laufzeitverlängerungen der AKW und die Aufhebung des Moratoriums zur Erkundung von Gorleben für ein Atommülllager.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich ein Kreis regelmäßiger Teilnehmer*innen herauskristallisiert, mal waren es hunderte, mal waren es nur zwei bis drei Menschen. Wobei mindestens eine Person von Anfang an dabei war - und so wohl schon über 1.000 Kilometer rund um das Bergwerk zurückgelegt hat. „Wir zollen der Gruppe vom Sonntagsspaziergang den größten Respekt“, schreibt die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg.
Was alle Protestgruppen eint, das beschreiben die Aktivist*innen aus Gorleben: Ihre ständige Anwesenheit hat neben der stetigen Meinungsäußerung auch den Charakter von Aufsicht, so wird „den Verantwortlichen auf die Finger geschaut“. Auch ist man - wenn auch oft zufällig - Ansprechpartner*innen für viele Besucher*innen der symbolträchtigen Orte geworden.
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Quellen (Auszug): evangelisch.de, bbu-online.de, bi-luechow-dannenberg.de