Frau Schulze: Nicht (nur) ins Ausland schielen!

21.10.2019 | Jan Becker

Während die Bundesumweltministerin die „störanfälligen Atomkraftwerke“ nur im Ausland ausmacht, liefert Deutschland entgegen Zusicherungen der Bundesregierung weiter Brennelemente zu grenznahen Pannenmeilern. Am kommenden Wochenende wollen Atomkraftgegner*innen in Lingen Atomkonzernen und Politiker*innen „die rote Karte“ zeigen.

AKW Emsland
Foto: Smial / Wikipedia
AKW Emsland: Atommüllproduzent bis Ende 2022

Endlich eine „Lösung auf nationaler Ebene“ hinsichtlich der Ausfuhren aus dem Brennstoffwerk im niedersächsischen Lingen fordern kurz vor der angekündigten Großdemonstration am 26. Oktober Aktivist*innen aus dem Münsterland und Emsland vom Bundesumweltministerium (BMU). Denn die Enttäuschung ist groß.

„Wir wollen verhindern, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen. Wir werden deshalb prüfen, auf welchem Wege wir dieses Ziel rechtssicher erreichen.“ (aus: Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018)

Der 19. Deutsche Bundestag wurde im September 2017 gewählt, damit ist schon die Hälfte seiner Amtszeit herum. Konkretes ist hinsichtlich der Brennstofflieferungen, die den Betrieb der Risikomeiler direkt unterstützen, bisher nicht erreicht worden. Während es im Februar dieses Jahres hieß, dass die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Möglichkeiten eines Export-Stopps „bei der EU-Kommission ausloten“ wolle, rollten zuletzt im Juli insgesamt sechs Transporte aus Lingen in die belgischen Altreaktoren Doel 1 und 2. Genau diese Meiler laufen beim BMU, genau wie Tihange (Belgien) oder auch Fessenheim (Frankreich), unter „zweifelhaft“. Kürzlich unterstrich das Bundesumweltministerium zudem seine Kritik an der „Sicherheit“ der AKW in der Schweiz, wo mit Beznau das weltweit älteste Kraftwerk in Betrieb ist. Vom BMU heißt es, „die Gespräche über einen Exportstopp dauern an“.

Nicht (nur) ins Ausland schielen

Ministerin Schulze macht es sich zu leicht, wenn sie mit dem Finger auf unsere Nachbarn zeigt, die Meiler im eigenen Land dagegen für „sicher“ hält. Während Schulze die „störanfälligen Atomkraftwerke“ also im Ausland ausmacht, passierte im niedersächsischen AKW Emsland zum Beispiel folgendes:

..."Wie die Betreiberin RWE mitteilte, kam es am Mittwoch im Rahmen einer Überprüfung der Gleichstromversorgung zum kurzzeitigen Ausfall eines Gleichrichterpaares. Die Aufgabe der im Kernkraftwerk verbauten Gleichrichter ist es, während eines Stromausfalls die elektrische Versorgung und damit die Funktionsfähigkeit der leittechnischen Einrichtungen zu gewährleisten. Nach Angaben der RWE hatte sich das betroffene Gleichrichterpaar überraschend während des Tests abgeschaltet. Eine Überprüfung aller Gleichrichter ergab zudem, dass auch ein weiteres Gleichrichterpaar nicht störungsfrei funktionierte."... (aus der Presse, 16. Oktober 2019)

Es handelt sich offenbar um einen Serienfehler, der den „sicheren Betrieb“ des alten Meilers beeinträchtigen kann.

Das AKW Emsland gehört zu den Atomkraftwerken in der Bundesrepublik, das mit am längsten am Netz bleiben soll: Noch bis Ende 2022 darf dort gesetzlich verankert weiter Atommüll produziert und die Bevölkerung Tag für Tag dem Risiko schwerer Unfälle ausgesetzt werden. Studien belegen, dass besonders in alten Anlagen die Fehlerhäufigkeit zunimmt. Eine ungünstige Verkettung kleinerer Defekte kann den GAU zur Folge haben.

26. Oktober, 12 Uhr: „Atom und Kohle die rote Karte zeigen“

Die Anti-Atom-Demo in Lingen beginnt am Samstag, 26. Oktober, um 12 Uhr am Bahnhof und führt von dort durch die Innenstadt. Unter dem Motto „Atom und Kohle die rote Karte zeigen“ stehen die Forderung nach einer sofortigen Stilllegung des AKW und der Brennelementefabrik in Lingen sowie der Urananreicherungsanlage im benachbarten Gronau zusammen mit einer kohlefreien Energiewende im Vordergrund. Es sind bereits Sonderbusse aus Aachen und dem Wendland angekündigt. Auch werden Atomkraftgegner*innen aus den Niederlanden und Belgien erwartet.

weiterlesen:

  • Unverantwortliche Geheim-Transporte
    10.09.2019 - Wenige Jahre vor dem Betriebsende des letzten Atomkraftwerks in Deutschland finden weiter zahlreiche Atomtransporte statt. Sie dienen zum Beispiel dem reibungslosen Weiterbetrieb der Brennstoff-Fabriken Gronau und Lingen. Atomkraftgegner*innen kritisieren nicht nur den zeitlich unbegrenzten Weiterbetrieb der Anlagen, sondern sorgen sich aktuell um die Sicherheit der Bevölkerung.

  • Belgien: Laufzeitverlängerung verstößt gegen EU-Recht
    02.08.2019 - Zwei Umweltverbände haben vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich gegen die Laufzeitverlängerungen zweier belgischer Atomkraftwerke geklagt. Trotz der nun attestierten „Rechtswidrigkeit“ dürfen die umstrittenen Meiler am Netz bleiben. Und Deutschland unterstützt den Betrieb.

  • Auch wenn es rostet: Es ist immer alles „sicher“
    05.07.2019 - Deutschland ist von Meilern umgeben, die immer älter und störungsanfälliger werden. Erst nach etlichen Verzögerungen gelang im AKW Tihange-2 in Belgien das Wiederanfahren. In der Schweiz wurde das AKW Leibstadt gleich nach dem Neustart wieder abgeschaltet.

Quellen (Auszug): bundesregierung.de, PE Aktionsbündis Münsterland, bi-luechow-dannenberg.de, energiezukunft.eu

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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