Erneut gibt es offenbar massive technische Probleme in zahlreichen französischen Atomkraftwerken. Die Atomaufsicht hält sich mit Details bedeckt. Vor wenigen Jahren gab es einen ähnlichen Skandal. Die Stimmung in der Bevölkerung kippt.
Der französische Energiegigant EDF untersucht „mögliche Fehler bei bestimmten Bauteilen“ in zahlreichen seiner 58 Atomreaktoren. Im Fokus stehen Schweißnähte in Dampferzeugern, die nicht den gesetzlichen Standards entsprechen würden. Die Bauteile seien entweder „bereits eingebaut oder neu und damit noch nicht in Betrieb“, heißt es. Am Montag war die Atomaufsicht informiert worden, im Laufe der Woche sollten Details folgen. Erst hieß es, dass „diverse“ Meiler betroffen seien, aktuell spricht die Atomaufsicht von fünf Reaktoren und „etwa 20 Generatoren, die nach 2008 gebaut wurden“. EDF und deren Tochterfirma Framatome, aus dessen Fabrik in Saint Marcel die Bauteile stammen, zeigen sich „zuversichtlich“, dass Tests der Dampferzeuger deren Sicherheit bestätigen würden. Dafür müssten aber Studien ausgewertet werden.
EDF betreibt weltweit 73 Reaktoren, in allen kommen unterschiedliche Komponenten zum Einsatz. Nachdem die Meldung über die Fehler in die Öffentlichkeit gelangt war, befürchteten die Börsianer „das Schlimmste“ und reagierten mit dem größten Kursrutsch für EDF seit knapp zwei Jahren. Die Aktien des französischen Versorgers fielen am Dienstag um bis zu 8,5 Prozent auf ein Eineinhalb-Jahres-Tief von 9,93 Euro. Wegen der dürftigen Informationen wisse der Markt nicht, „was er davon halten soll”, heißt es aus Börsenkreisen. Das seit Jahren schwer angeschlagene Staatsunternehmen rutscht also immer tiefer in die Krise.
Schon einmal Probleme mit Dampferzeugern
Im Oktober 2016 waren in Unterlagen des Framatome-Konzerns (ehem. Areva) „Unregelmäßigkeiten“ gefunden worden. Greenpeace hatte bereits bekannte Mängel an den Dampfgeneratoren und anderen großen Aggregaten aus einer bestimmten Stahlschmiede, Creusot Forge, näher untersuchen lassen und war zu einem alarmierenden Ergebnis gekommen: In 55 Prozent aller französischen Atomreaktoren drohe ein massiver Störfall, verursacht durch fehlerhafte Bauteile. Möglicherweise seien die für die Kühlung nötigen Bauteile nicht so stabil wie gefordert. Der verwendete Stahl weise nach Ansicht der Fachleute eine zu hohe Kohlenstoffkonzentration auf, die bei starker Beanspruchung zu einem Bersten des Materials führen kann.
Unter den extremen Bedingungen in einem AKW kann das katastrophale Folgen haben, zum Beispiel wenn bei einer Notkühlung kaltes Wasser in den extrem erhitzten Kreislauf geleitet wird. Hält der Stahl einem solchen thermischen Schock nicht stand, kann es durch die Verkettung weiterer Fehler schlimmstenfalls zur Kernschmelze kommen. Als Reaktion auf diese Erkenntnisse ordnete die Atomaufsicht die Abschaltung von fünf Reaktoren an, Fessenheim, Civeaux, Gravelines und – mit zwei Reaktoren – Tricastin.
Nach mehrwöchigen Stillständen und Überprüfungen nahmen alle Reaktoren wieder den Betrieb auf. Die massiven Bedenken wurden vom Tisch gewischt, fehlende Sicherheitsnachweise ignoriert - Frankreichs Atombranche versuchte weiterhin „Business as usual“. Doch die Stimmung kippt: Erstmals seit den 60er Jahren stimmten Anfang des Jahres eine knappe Mehrheit der Franzosen in einer repräsentativen Umfrage mit 53 Prozent gegen Atomkraft. Nun hat das Land seinen nächsten Atom-Skandal.
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Quellen (Auszug): deutschlandfunk.de, jungewelt.de, sr.de, greenpeace.de, energy-reporters.com, montel.de, edf.fr