Das ist Atomausstieg: Ungebremster Atommüll-Tourismus

21.06.2019 | Jan Becker

Auch wenn die Atomkraftwerke nach und nach (und viel zu langsam) abgeschaltet werden, gibt es keine Lösung für den Atommüll. Deshalb wird er weiter durch die Republik, von Zwischenlagerhalle zu Zwischenlagerhalle, gefahren. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Gorleben.

Lingen: Urandioxid-Lieferung
Foto: urantransport.de / 2012
Beispielfoto: LKW mit radioaktiver Fracht

Im „Abfalllager Gorleben“ (ALG), das sich zwar auf dem gleichen Gelände befindet aber nicht mit der „Castorhalle“ zu verwechseln ist, werden seit 1984 schwach- und mittelradioaktive Abfälle zwischengelagert, die vor allem aus dem Betrieb der deutschen Atomkraftwerke, aber auch aus Forschung und Industrie stammen. Die Kapazität der 4.500 m² Halle mit sechs Lagergassen beträgt 15.000 Kubikmeter.

In „Lagergasse A“ befinden sich 1309 Fässer, deren Lagergenehmigung am 13. Juni 2019 ausgelaufen ist. „Routinemäßig“ sollen diese zur „endlagerechten Konditionierung“ abtransportiert werden, beschreibt die seit Jahresbeginn zuständige BGZ - Gesellschaft für Zwischenlagerung. In diesem Zusammenhang wurden sie inspiziert und 26 Fässer gefunden, deren Oberfläche zum Beispiel durch Korrosion beschädigt ist. Atomkraftgegner*innen und Atomaufsichtsbehörden forderten den damaligen Betreiber, die Gesellschaft für Nuklearservice (bis 01.08.2017, seitdem gehört der Müll dem Staat, also uns allen), auf, Überwachungsmaßnahmen und Inspektionen aller Fässer einzuleiten. Dieser zog dagegen vor Gericht.

Es herrscht Intransparenz

Als Ziel für die 1309 Fässer aus dem ALG nennt der Betreiber das Zwischenlager im nordhrein-westfälischen Ahaus. Eine vergleichbare Halle wie in Gorleben, auch sie gehört seit Mitte 2018 dem Staat. Gemäß einer älteren Auskunft der Grünen im niedersächsischen Landtag wurden im März 2018 725 Fässer per LKW in Gorleben abgeholt. Etappenziel der Transporte ist das 500km von Gorleben entfernte Jülich, wo sich eine Konditionierungsanlage befindet, wo die Fässer „für eine Endlagerung vorbereitet und gegebenenfalls nachqualifiziert“ werden. Zwischengelagert wird der Atommüll dann in Ahaus, bis er in ein zentrales Atommülllager gebracht werden kann.

Laut einer aktuellen Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung sind von Gorleben bis heute 1181 Fässer mit schwachradioaktivem Abfall nach Nordrhein-Westfalen – präziser: Jülich und Ahaus – gebracht worden. 587 Fässer befinden sich in Jülich, 488 in Ahaus. Im Summe macht das 1075. Doch wo sind die 106 übrigen, fragen die Grünen in NRW. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg stolperte ebenfalls über diese Zahlenangaben und fragt, was mit den 127 Fässern geschehen ist, die in der Gesamtbilanz noch fehlen. Insgesamt wären somit 233 Fässer „verschwunden“... Antworten von offizieller Seite stehen aus.

Atommülltourismus quer durch Deutschland

„Auslagerungskampagnen“ sind üblich und wurden in der Vergangenheit öfter durchgeführt. Doch sie offenbaren einerseits die Mißstände in den Lagerhallen, weil nur dann auch ein Blick auf die Gebinde geworfen wird, der sonst wegen der Enge und Strahlenbelastung nicht möglich ist. Andererseits rücken sie die ungelöste Atommüllfrage in den Fokus. Während bundesweit nach einem „neuen Lager“ für den hochradioaktiven Atommüll in Castorbehältern gesucht wird, soll sämtlicher schwach- und mittelaktiver Müll nach jahrzehntealten Plänen in das ehemalige Eisenerzbergwerk Schacht Konrad bei Salzgitter eingelagert werden. Der Umbau zu einem zentralem Atommülllager ist zwar genehmigt, doch Eignung und Langzeitsicherheit des Bergwerks sind hochumstritten. Der Bau wird immer teurer, es gibt Pannen, die Inbetriebnahme verzögert sich weiter.

Neues Atommüll-Zentrum entsteht

Nachdem jahrzehntelang Gorleben Hotspot für Atommüllanlieferungen aller Art und Absender gewesen ist, verkommt nun Ahaus zum Strahlenmüll-Zentrum. Der massive, wendländische Protest gegen die Transporte könnte ein Aspekt für diese Entscheidung sein. In Ahaus konzentriert sich allerdings auch der Anti-Atom-Widerstand. Im März protestierten 1.400 Menschen gegen angekündigte Atommülllieferungen, so viele wie schon lange nicht mehr.

„Keine weiteren Transporte von schwach- und mittelradioaktivem Abfall nach Ahaus! Stattdessen Lagerung an den Orten der Entstehung dieses Mülls, bis ein Endlager zur Verfügung steht“, fordert die Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus“.

Geplant sind nämlich möglicherweise noch in diesem Jahr Anlieferungen aus dem Forschungszentrum Garching bei München. Aus einem Zwischenlager in Jülich, dass die Betriebsgenehmigung wegen mangelnder Erdbebensicherheit verloren hat, könnten zudem 152 Castorbehälter angeliefert werden. Und in der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague warten noch mittelaktive Abfälle, die ihre Rückreise nach Deutschland antreten sollen. Auch ihr Ziel: Ahaus.

weiterlesen:

  • Atommüll-Dauerlager in Ahaus beantragt
    16.01.2019 - Eine bundeseigene Behörde zweifelt offenbar an den Plänen einer bundeseigenen GmbH: Deutlich länger als bisher genehmigt und nach offiziellen Aussagen nötig will der Betreiber des Zwischenlagers in Ahaus den schwach- und mittelradioaktiven Atommüll dort belassen.

  • Vattenfall setzt auf tausende Atomtransporte
    17.12.2018 - Während der Erörterung der Kritik zum geplanten Abriss des AKW Krümmel, die in den vergangenen Tagen stattfand, wurden auch neue Atommüll-Pläne des Betreibers Vattenfall bekannt.

Quellen (Auszug): atommuellreport.de, azonline.de, bi-luechow-dannenberg.de, bi-ahaus.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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