Analyse | In zahlreichen Artikeln in den letzten Ausgaben dieses Magazins hat .ausgestrahlt Details der Standortsuche für ein dauerhaftes Atommüll-Lager kritisiert. Hier stellen wir noch einmal dar, worum es im großen Ganzen geht – und wie es besser gehen könnte
Es gibt eine unbequeme Wahrheit bei der Standortsuche: Absolute Sicherheit wird es nicht geben. Bisher sind alle tiefengeologischen Atommüll-Lager schon nach wenigen Jahrzehnten havariert, Asse und Morsleben in Deutschland ebenso wie Wipp in New Mexico. Jedes der für die Lagerung favorisierten „Wirtsgesteine“ Salz, Ton und Granit hat zwar gewisse Vorteile – aber auch große Nachteile. Es bleibt also, selbst wenn alle Behörden und Unternehmen nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten, ein beträchtliches Risiko für die Betroffenen, die rund um den zukünftigen Standort leben – und für ihre Nachkommen.
Unter anderem deswegen ist es falsch, immer noch sieben Atomkraftwerke in Deutschland zu betreiben, die Tag für Tag weiteren radioaktiven Abfall produzieren. Denn was bleiben wird, ist ein Problem, für das uns die kommenden Generationen verfluchen werden.
Aber klar: Der strahlende Müll ist da. Es wäre verantwortungslos, ihn in irgendein anderes Land zu exportieren. Was also ist die Aufgabe? Es braucht eine gesellschaftliche Verständigung für die am wenigsten unsichere Lager-Methode und für diese wiederum braucht es den am wenigsten unsicheren Ort. Wenn dieser Ort denn gefunden ist, darf die Lagerung nicht am Widerstand der örtlichen Bevölkerung scheitern. Es mag seltsam klingen, wenn das einer schreibt, der seit Jahrzehnten an der Organisation von Protesten gegen Atommüll-Projekte beteiligt ist. Doch es ist die Frage, an der sich Erfolg oder Misserfolg der Atommüll-Politik entscheiden wird.
Dass die betroffene Bevölkerung in der Lage ist, umstrittene Projekte zu verhindern, zeigt die Geschichte der Anti-Atomkraft-Bewegung: Wyhl, Wackersdorf, Kalkar, Gorleben. Doch selbst wer heute Windkraftanlagen oder eine Stromtrasse bauen möchte, weiß, wie schwer es sein kann, einen strittigen Plan durchzusetzen. Gerade diese aktuellen Beispiele widerlegen den Trugschluss, mit dem kommenden Ende der Atomkraft-Nutzung in Deutschland werde auch der Konflikt um den Atommüll einfacher. Derzeit finden sich aufgrund von Protesten nicht einmal ausreichend Deponien, die bereit wären, schwach strahlenden Bauschutt aus dem Abriss von Atomkraftwerken aufzunehmen, der offiziell gar nicht als Atommüll gilt.
Wie aber kann erreicht werden, dass die von einem dauerhaften Atommüll-Lager betroffene Bevölkerung bereit ist, das Risiko zähneknirschend auf sich zu nehmen? Zuerst müssen Politik und Behörden so ehrlich sein und zugeben, dass es ein Risiko ist und nicht behaupten, alles sei sicher. Die Betroffenen werden auch nur dann zustimmen, wenn sie davon überzeugt sind, dass die Lagermethode die am wenigsten unsichere ist und dass das Suchverfahren und seine Akteure über jeden Zweifel erhaben und vertrauenswürdig sind. Dafür muss ausgeschlossen sein, dass politische Deals, fehlende Informationen, Kostenerwägungen oder knappe Zeitpläne dazu führen, dass ein ungeeigneter Standort ausgewählt oder eine besser geeignete Alternative verworfen wird.
Das im Standortauswahlgesetz (StandAG) festgeschriebene und seit zwei Jahren laufende Suchverfahren gewährleistet diese Sicherheit nicht. Es hat gleich mehrere entscheidende Webfehler. Zwar heißt es im ersten Paragraphen des Gesetzes, das Verfahren solle partizipativ, wissenschaftsbasiert, transparent, selbsthinterfragend und lernend sein. Doch hebt der Gesetzestext in den folgenden 37 Paragraphen diese Versprechen eins nach dem anderen wieder auf.
Wissenschaftsbasiert? Die im Gesetz festgeschriebenen Kriterien für die Standortsuche sind Ergebnis politischer Kompromisse statt wissenschaftlicher Erkenntnisse. Bei der Gewichtung der aufgeführten Abwägungskriterien ist jede Manipulation möglich. Gebiete, über die zu wenige geologische Daten vorliegen, können einfach aussortiert werden – auch wenn sie vielleicht besser geeignet wären als andere Regionen. Und am Ende legt den Standort der Bundestag fest, der sich dabei nicht an die Empfehlungen von Wissenschaftler*innen halten muss, sondern nach rein politischen oder parteitaktischen Erwägungen entscheiden kann.
Transparent? Das Eigentumsrecht schützt geologische Erkundungsdaten von Privatunternehmen vor Veröffentlichung, auch wenn diese bei der Standortsuche genutzt werden. Auf die Frage „Warum habt ihr meinen Wohnort ausgewählt?“ wird es also keine nachprüfbare Antwort geben, denn die Entscheidungsgrundlage ist ja geheim.
Selbsthinterfragend und lernend? Im Gesetz steht als Termin für die Standortentscheidung das Jahr 2031, obwohl ein Großteil der Fachleute schon heute davon ausgeht, dass es deutlich länger dauern wird. Dieses festgeschriebene Enddatum setzt das ganze Verfahren unter hohen Zeitdruck, macht es dadurch fehleranfällig und lässt vor allem keinen Spielraum für wesentliche Korrekturen, wenn sich Entscheidungen oder Schritte im Nachhinein als falsch herausstellen sollten.
Partizipativ? Im Gesetz sind viele so genannte Beteiligungsformate vorgesehen. Das sieht gut aus, ist allerdings wenig wert. Denn letztendlich handelt es sich um Gremien, in denen zwar viel geredet werden kann, die aber nichts zu sagen haben. Echte Partizipation und Mitbestimmung der Betroffenen ist nicht vorgesehen, nur Information und Anhörung.
Aus Angst davor, dass die Menschen an potenziellen Standorten die Risiken der Atommüll-Lagerung nicht eingehen wollen, haben die Mütter und Väter des StandAG den Betroffenen keine ergebnisrelevanten Beteiligungsrechte eingeräumt und zudem ihre Klagerechte massiv eingeschränkt. Was sie dabei übersehen haben, ist: Wem man keine Rechte gibt, der*die nimmt sie sich, wenn er*sie sich bedroht fühlt – und zwar auf der Straße. Dann eskaliert der Konflikt nach den bekannten Mustern. Oder, in den Worten des Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun: „Wer sich nicht erhört fühlt, benimmt sich un-erhört.“
Es geht beim Atommüll um einen Jahrzehnte währenden hocheskalierten gesellschaftlichen Konflikt zwischen Regierenden und Regierten. Solche Konflikte lassen sich in der Regel nur auflösen, indem sich beide Konfliktparteien in einem ersten Schritt gemeinsam auf ein Verfahren einigen. Doch mit dem StandAG hat eine der Konfliktparteien, nämlich die Regierenden aus Bund und Ländern, die Spielregeln alleine festgelegt. Übrigens nicht zum ersten Mal; dieses passiert beim Thema Atommüll seit Jahrzehnten immer wieder auf Neue. Bisher sind die Regierenden jedes Mal damit gescheitert.
Meine Prognose: Mit diesem Gesetz, diesem Verfahren und diesen Akteur*innen wird die Standortsuche nicht gelingen. Heraus kommen wird nicht der am wenigsten schlechte Standort, sondern ein politisch gewollter. Die Betroffenen werden sich wehren und das Projekt verhindern. Wir stehen als Gesellschaft in zehn bis 20 Jahren mit leeren Händen da und müssen wieder von vorne anfangen. Wertvolle Jahre gehen also verloren.
Es gäbe einen grundlegend anderen Weg, der zwar auch nicht einfacher wäre, aber deutlich erfolgversprechender. Wenn der Bundestag es ernst meint mit dem selbsthinterfragenden und lernenden Anspruch an die Standortsuche, dann sollte er möglichst bald einen kompletten Neustart ausrufen. Diesmal sollten alle potenziellen Standortregionen und alle Regionen, in denen der Atommüll derzeit lagert, von Anfang an mit an den Tisch. Sie sollten formulieren, was ihre Anforderungen an ein faires Suchverfahren sind und welche Rechte sie in diesem Verfahren brauchen, um Verantwortung übernehmen zu können für ein gesamtgesellschaftliches und weit in die Zukunft reichendes Problem. Erst wenn die Bedingungen der Betroffenen klar sind, kann daraus – gemeinsam mit ihnen – ein faires Suchverfahren entwickelt werden und schließlich ein Gesetz entstehen, das dann der Bundestag beschließen kann.
Das würde das Verfahren vom Kopf auf die Füße stellen und die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass diese Gesellschaft sich über das Atommüll-Problem verständigt und es damit schafft, einen hocheskalierten Konflikt zu beenden. Dafür setzt .ausgestrahlt sich ein.