RWE verklagt .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay

15.05.2019 | Armin Simon

Üble Nachrede, Verleumdung, Nötigung – es sind schwere Geschütze, die der Energiekonzern RWE, Jahresumsatz mehr als 13 Milliarden Euro, wegen eines konzernkritischen Flugblatts von .ausgestrahlt auffährt. „Stopp RWE!" prangt es fett auf dem Flyer, den Atom- und Kohlestrom-Gegner*innen seit Herbst 2018 zehntausendfach auf Klimaschutz-Demos verteilen. Er informiert über den dreckigen Strommix des RWE-Konzerns, der nicht nur den Hambacher Forst roden und weiter klimaschädliche Braunkohle verfeuern will, sondern auch an den gefährlichen AKW in Lingen/Emsland und Gundremmingen festhält. Selbst die angebliche RWE-„Ökostromtochter“ Innogy, klärt das Papier auf, verdient ihr Geld schließlich mit Strom, der zu 97 Prozent aus Kohle und Atom stammt. „Es ist an der Zeit, RWE den Geldstrom abzudrehen!“, schreibt .ausgestrahlt und wirbt dafür, keinen Strom mehr von RWE und seinen Tochtergesellschaften e-primo, innogy, Envia-M, Süwag und Westnetz zu beziehen.

Das ruft prompt die Sicherheitsabteilung des Konzerns auf den Plan. Am 19. November 2018 stellt sie beim Polizeipräsidium Essen Strafantrag gegen .ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay, der als presserechtlich Verantwortlicher auf dem Flugblatt genannt ist. Gleich sechs verschiedene Paragraphen aus Strafgesetzbuch, Urheberrechtsgesetz und Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bemühen die Konzernjurist*innen, von der vermeintlich unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützer Werke – gemeint sind offenbar die in einer Illustration auftauchenden Logos von RWE und seinen Tochtergesellschaften – bis hin zu angeblicher Nötigung, laut Strafgesetzbuch mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren belegt. „RWE sieht sich durch die Aussagen auf dem Flugblatt verleumdet“, begründet ein Konzernsprecher das Vorgehen auf Nachfrage.

Der Staatsanwaltschaft Essen sieht für die von RWE angeführte angebliche Wettbewerbsverzerrung keinerlei Hinweis, spricht dem Zettelchen im DIN-lang-Format aber eine möglicherweise politische Bedeutung zu und reicht den Strafantrag mit dieser Begründung nach Hamburg weiter. Nach Ermittlungen mehrerer Behörden – unter anderem fotografieren Polizeibeamte das Klingelschild des .ausgestrahlt-Büros – erklären sich die Staatsanwälte der Hansestadt jedoch für nicht zuständig und reichen den Vorgang zurück nach Essen. Eine Entscheidung dort steht noch aus.

Den Ärger der RWE-Konzernsicherheit erregt insbesondere der „97 Prozent Dreckstrom“-Vorwurf. Dummerweise nur ist die RWE-Tochter Innogy wie alle Stromanbieter gesetzlich verpflichtet, die Zusammensetzung ihres Strommixes zu veröffentlichen. Demnach stammte der„innogy SE Gesamtmix“ 2017 (pdf) zwar fast zur Hälfte aus Erneuerbaren Energien, allerdings aus Anlagen, zu deren Bau, Unterhalt und Finanzierung Innogy selbst keinen Strich beigetragen hat. Es handelt sich nämlich, wie die Legende unter der Tortengrafik bei genauerem Hinsehen verrät, nahezu ausschließlich um „Erneuerbare Energien, finanziert aus der EEG-Umlage“ – um Strom also, der ohne Zutun von Innogy erzeugt und auch nicht von Innogy bezahlt wurde. Innogy verkaufte diesen Strom streng genommen auch gar nicht, sondern leitete ihn lediglich durch und kassierte die gesetzlich festgelegte Umlage dafür, schmückt sich hier also – wie viele Stromversorger – mit fremden grünen Federn.

Was das eigene, selbst verantwortete Handeln in Sachen Erneuerbare Energien angeht, ist lediglich das dunkelgrüne Tortenstück der Stromkennzeichnungsgrafik maßgeblich, im Fall von Innogy leicht zu übersehen: Ganze 1,6 Prozent des Stroms sind Ökostrom, den Innogy selbst beschafft und bezahlt hat. Lässt man die 45 Prozent EEG-Strom außen vor und betrachtet nur die von Innogy selbst verantwortete Strommenge, liegt der Ökostrom-Anteil der angeblichen „Ökostromtochter“ von RWE bei knapp 3 Prozent – der Rest, also mehr als 97 Prozent, sind Dreckstrom. Der .ausgestrahlt-Flyer mit dem Stromwechselaufruf „Stopp RWE“ ist daher weiterhin im .ausgestrahlt-Shop downloadbar – Strafantrag hin oder her.

Öffentlich gemacht hat die 97-Prozent-Zahl übrigens schon vor Monaten der Ökostromanbieter Lichtblick, der die tatsächlichen, selbst verantworteten Ökostromanteile zahlreicher Stromanbieter ausgerechnet und publiziert hat, zuletzt aktualisiert im März 2019. Kein einziges der mehr als Tausend aufgeführten Unternehmen habe diese Zahlen infrage gestellt, sich beschwert oder gar rechtliche Schritte eingeleitet, teilt Lichtblick auf Nachfrage mit. Auch RWE und Innogy nicht.

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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