Als sich am 25. März 1979 hunderte Atomkraftgegner*innen aus dem Wendland vor allem mit Treckern auf den Weg in die niedersächsische Landeshauptstadt machten, ahnten sie nicht, dass ihre Protestfahrt gegen die geplanten Atomanlagen in Gorleben zu einer der größten Protestveranstaltungen in der Geschichte der Bundesrepublik werden würde.
Am 28. März 1979 ist das Atomkraftwerk „Three Mile Island 2“ nahe der US-Stadt Harrisburg gerade drei Monate in Betrieb. Eine Reihe technischer Fehler und menschliches Versagen führen zu dramatischem Kühlmittelverlust und einer Wasserstoffexplosion im Reaktordruckbehälter. Um eine weitere Explosion zu verhindern, werden radioaktive Gase, Dampf und Wasserstoff in die Umwelt abgegeben. Erst 36 Stunden später werden die Menschen innerhalb eines 10-Meilen-Umkreises um den Reaktor aufgefordert, ihre Häuser nicht zu verlassen. Es folgt die Evakuierung von Kindern und schwangeren Frauen im Umkreis von fünf Meilen. Aus Angst vor der Strahlung fliehen 200.000 Menschen aus dem Gebiet um Harrisburg.
Drei Jahre später gelingt es erstmals, mit einer ferngesteuerten Kamera im Inneren des Reaktorbehälters zu fotografieren. Fachleute sind entsetzt: Statt Brennelemente sehen sie nur eine tiefe, schwarze Höhle. Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung wurden nie abschließend aufgearbeitet.
Während Block 1 noch bis September 2019 in Betrieb bleiben soll, kann der havarierte Block 2 bis heute nicht betreten werden. Die Aufräumarbeiten wurden 1993 wegen der hohen Verstrahlung eingestellt und sollen erst nach Abschaltung von Block 1 fortgesetzt werden.
100.000 Menschen in Hannover
Unter dem Motto „Albrecht, wir kommen“ waren Lüchow-Dannenberger*innen mit mehreren hundert Traktoren in Richtung Hannover unterwegs, als der schwere Unfall in Harrisburg öffentlich bekannt wurde. Eigentlich wollten sie gegen das geplante „Nukleare Entsorgungszentrum“ in Gorleben protestieren, dessen Bau der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht drei Jahre vorher angekündigt hatte.
Im Schatten des Harrisburg-GAU versammelten sich in Hannover mit Ankunft des Trecks fast 100.000 Menschen zu einer Kundgebung. Es war die bis dahin größte Anti-Atom-Demonstration in Deutschland. Im Wendland gilt die Aktion als „Initialzündung“ des Gorleben-Widerstands. Darüber hinaus bedeutete der GAU in einem neuen Reaktor aus amerikanischer Herstellung eine erste und deutliche Wende in der öffentlichen Wahrnehmung zur Atomkraft. Zweifel wurden laut. In den USA dauerte es Jahrzehnte bis überhaupt wieder der Bau eines neuen AKW angestrengt wurde.
Für Gorleben hatte diese Protestaktion ganz konkrete Folgen. Am 16. Mai 1979 gab die niedersächsische Landesregierung überraschend bekannt, dass auf die Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben verzichtet werden solle. „Die politischen Voraussetzungen sind zur Zeit nicht gegeben“, so die Begründung Ernst Albrechts. An den Plänen für ein Atommüll-Lager im Salzstock wurde aber festgehalten - bekanntlich bis heute.
Der Gorleben-Treck – 40 Jahre danach
Anlässlich seines 40. Jahrestags starten in Kürze zwei Ausstellungen über den Treck, die das Gorleben-Archiv in Kooperation mit der Leibniz Universität Hannover und dem Historischen Museum Hannover erarbeitet hat. Unter dem Titel „Trecker in Hannover – Gorleben und die Bewegung zum Atomausstieg“ wird die Ausstellung in der Landeshauptstadt am heutigen Abend eröffnet. Mit Dokumenten, Erinnerungsstücken und illustrativen Inszenierungen wird dort „die Bedeutung des Trecks auch für die Protest-Szene in Hannover gewürdigt“.
Eine zweite Ausstellung widmet sich in Lüchow der gesellschaftlichen Bedeutung des Trecks, der am Ende nicht nur die Atompolitik beeinflusste, sondern auch das Leben vieler Lüchow-Dannenberger*innen geprägt und verändert hat. Gezeigt wird die Entwicklung der Region aus der sehr persönlichen Perspektive von Menschen, die entweder schon damals dabei waren oder heute das fortsetzen, was die Alten begonnen haben.
- weitere Infos: www.gorleben-archiv.de / hannover.de - Historisches Museum
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07.01.2019 - Ein kleiner Exkurs am Rande: In den 70er Jahren wurde das Wort "Entsorgung", ein Wort das vorher in der deutschen Sprache unbekannt war erst geschaffen. Es gibt einen direkten Zusammenhang mit dem "Nationalen Entsorgungspark Gorleben". -
„Eine Lernkultur ist nicht vorhanden“
22.03.2019 - Marcos Buser, Geologe und Sozialwissenschaftler, erklärt, warum das Standortauswahlverfahren ein Wiederholungsfehler ist, warum die Atommülllager-Suche nur mit echter Teilhabe gelingen kann und warum Atommüllbehörden sich endlich von alten Denkmustern verabschieden sollten.
Quellen (Auszug): greenpeace.de, gorleben-archiv.de, ndr.de, sueddeutsche.de,