Kein Atomausstieg in Gronau & Lingen - oder doch?

15.03.2019 | Jan Becker

Mit einem deutlichen Bekenntnis zur Atomkraft wurde der Antrag zur Stilllegung der Uran-Anlagen in Gronau und Lingen im Bundestag abgeschmettert. Aus Deutschland wird jedes zehnte AKW der Welt mit Brennstoff versorgt. Die „Achillesferse“ der Anlagen bleibt der Nachschub.

Blockade der Brennelementefabrik Lingen, 25.07.2013
Foto: Visual Rebellion
Blockade der Brennelementefabrik Lingen

Anlässlich des achten Fukushima-Jahrestages wurde im Bundestag über die Zukunft des Atomausstiegs in Deutschland diskutiert. In einem Gesetzentwurf forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ein Aus für Urananreicherung und Brennelemente-Herstellung bis spätestens Ende 2022. Zu dem Zeitpunkt soll das letzte AKW vom Netz gehen. Im Gegensatz zu den Atomkraftwerken verfügen die beiden Brennstoff-Fabriken in Gronau und Lingen über eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Eigentümer der Anlagen sind Firmenkonsortien, die mehrheitlich nicht aus Deutschland stammen. Über die Anlage in Lingen entscheidet der französische Staatskonzern Framatome (ehemals AREVA). Gronau gehört der Urenco-Gruppe mit Hauptsitz in Marlow, Großbritannien.

„Das Abschalten der Anlagen würde uns den letzten Rest der Kompetenz in Sachen Kernkraft rauben“, bekräftigte Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die Entscheidung gegen den Atomausstieg. Ihr Kollege Karsten Möhring bekannte sich wenigstens zur geplanten Abschaltung der deutschen AKW. Doch „mit unserem Handeln“ auf die Nachbarländer einzuwirken, sei eine „Hybris, die uns gar nicht zusteht“. Ausländische Kraftwerksbetreiber könnten schließlich „statt der deutschen auch andere, im Zweifel weniger sichere Brennelemente kaufen“.

Exkurs: Auf Bundesebene versprachen CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag, sie wollten „verhindern, dass Kernbrennstoffe aus deutscher Produktion in Anlagen im Ausland, deren Sicherheit aus deutscher Sicht zweifelhaft ist, zum Einsatz kommen“.

In den Reihen der Union gibt es allerdings auch die Befürchtung, dass angeordnete Stilllegungen „erhebliche Entschädigungszahlungen“ nach sich ziehen könnten. Gegen den Gesetzentwurf stimmten dann die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie die Fraktionen AfD und FDP.

Die offenen, massiven Bedenken gegen eine Schließung der beiden Atomfabriken könnten aber auch ganz anderer Herkunft sein: Mit der Gronauer Urananreicherung sichert Deutschland sich zumindest theoretisch den Zugriff auf Atomwaffentechnologie. „Genau deshalb scheinen beide Anlagen vom Atomausstieg ausgenommen worden zu sein“, mutmaßte die „tageszeitung“ Ende letzten Jahres. Diese These wird durch aktuelle Pläne des Konzerns in den USA untermauert: In der dortigen Fabrik soll der Anreicherungsgrad deutlich erhöht werden.

  • Auf dem Weg in den Krieg: Urenco expandiert
    07.03.2019 - Bislang galt der Anreicherungsgrad von fünf Prozent als Beleg dafür, dass die Urananreicherungsanlagen für „rein zivile Nutzung“ produzieren. In den USA will Urenco den Anreicherungsgrad vervierfachen - und durchbricht damit eine „sicherheitspolitische Barriere“, warnen Atomkraftgegner*innen.

„Hochnotpeinlich“

Es sei „hochnotpeinlich“, dass ausgerechnet Deutschland, „das Land des Atomausstiegs“, mit seinen Anlagen Altreaktoren am Laufen halte, sagte der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin im Vorfeld der Abstimmung. Atomenergie sei „ein Hochrisiko-Experiment, das eben nicht beherrschbar ist“. „Atomenergie ist ein Irrweg und bleibt ein Irrweg“, findet die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD). Das Bundesumweltministerium würde derzeit bei der EU-Kommission die Möglichkeit eines Exportstopps für Brennelemente ausloten. Trotzdem wurde jetzt der Gesetzentwurf von der SPD als Teil der Regierung abgelehnt.

Mit den Lieferungen aus den Atomfabriken werden bis heute „Pannenreaktoren“ wie Tihange 2 und Doel in Belgien sowie das störanfällige AKW Cattenom an der deutsch-französischen Grenze und das älteste AKW Frankreichs in Fessenheim am Laufen gehalten. Der BUND Landesverband Niedersachsen erinnerte kürzlich daran, dass auch der japanische Betreiber des havarierten AKW Fukushima, TEPCO, zu den Lingener Kunden gehört habe. Heiner Baumgarten, Landesvorsitzender des BUND, stellte die These auf, dass die in Fukushima geschmolzenen Brennelemente „aus Niedersachsen stammen“. Der Betreiber der Lingener Anlage weist das aber zurück: Die These sei eine „unzulässige Interpretation“.

Das Aus für Lingen könnte trotzdem kommen

Ende 2018 brach in einem Nuklearlabor der Brennelementfertigung in Lingen Feuer aus. Die ursprüngliche Fehlmeldung, das Feuer sei im nicht-nuklearen Bereich ausgebrochen, führte eine Unternehmenssprecherin auf ein Missverständnis zurück, das „aufgrund der vom Unternehmen verwendeten Fachsprache zustande gekommen sei“. Anfang Februar gab das Ministerium die Erlaubnis, den Betrieb unter Einhaltung einiger Auflagen wieder aufzunehmen. Daraufhin wurden sofort Exportanträge für Brennelementlieferungen zu den belgischen Atomkraftwerken Doel 1 und 2 sowie zum französischen AKW Cattenom 1 gestellt.

Möglicherweise kommt das Aus für die Anlage in Lingen auch gegen die Bedenken aus dem Bundestag. Ende letzten Jahres war im Zusammenhang mit dem Brand bekannt geworden, dass Frankreich den Ausbau einer vergleichbaren Atomfabrik in Narbonne plant. In einem Schreiben der Präfektur der südfranzösischen Region Okzitanien heißt es zur Begründung, die Herstellung von Atombrennstoff solle „auf französisches Territorium“ zurückverlegt werden. Grund dafür sei „das Anhalten der Produktion (in 2021) in der Anlage in Lingen in Deutschland“.

Mit der Abschaltung des letzten AKW spätestens Ende 2022 hätte Framatome in Deutschland keine Kunden mehr. Auch wenn es keine offizielle Stellungnahme zur Betriebsverlagerung nach Frankreich gibt, mutet es wirtschaftlich unsinnig an, Lingen dann weiterzubetreiben. Der Urananreicherungsanlage in Gronau könnte es ähnlich ergehen.

„Achillesferse“ nutzen

An beiden Standorten braucht es dennoch weiterhin politischen Druck. Der Hinweis darauf, dass in Gronau „nötigenfalls“ Uran für Atomwaffen hergestellt werden könnte, fördert die gesellschaftliche Ablehnung der Anlage. Für den Weiterbetrieb in Lingen und Gronau sind vor allem viele Atomtransporte nötig. Und die waren schon immer die „Achillesferse“ der Atomenergie und könnten die unklare Situation wie folgt beeinflussen:

Kein Nachschub an Brennstoff -> kein Weiterbetrieb, Betriebsstillstand -> höhere Kosten -> mangelnde Wirtschaftlichkeit -> Standort wird dicht gemacht.

Werden Transport-Termine bekannt, dann werden zum Beispiel über den twitter-Account „Urantransport“ bevorstehende Lieferungen an die oder Abtransporte aus den Atomfabriken veröffentlicht.

Ostermarsch am Karfreitag

„Wer glaubt, der Atomausstieg sei irgendwie schon gelaufen, sollte besser mit dem Sekt noch warten“, kommentieren Atomkraftgegner*innen die Bundestagsbeschlüsse. „Es bleibt dabei, dass der Atomausstieg Handarbeit bleibt.“

Am Karfreitag ist eine nächste Demonstration gegen den Uran-Standort Gronau geplant:

„Geben wir eine kraftvolle und lautstarke Antwort auf den fortgesetzten Atomkurs der Bundesregierung und von Urenco, RWE und EON - auf nach Gronau!“

weiterlesen:

  • Bund investiert kräftig in Atom-Aktien
    04.03.2019 - Mitte 2017 zeigte sich die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) „überrascht“: Der Bund ist über seinen Pensionsfonds indirekt Miteigentümer der umstrittenen belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel. Hendricks wollte das umgehend ändern, weil sich diese Investments „nicht mit dem Atomausstieg vertragen“. Passiert ist seitdem das Gegenteil.

  • Gutachten: Atomfabriken Gronau und Lingen dürfen stillgelegt werden
    17.11.2017 - Laut neuer Rechtsgutachten im Auftrag der scheidenden Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wäre die Stilllegung der AKW-Brennstoff-Fabriken in Gronau und Lingen nicht verfassungswidrig. Bislang sind die Anlagen vom "Atomausstieg" ausgeklammert.

Quellen (Auszug): wdr.de, wn.de, bundestag.de, dpa, noz.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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