Anspruch und Wirklichkeit

20.02.2019 | Jochen Stay

Im März wird das Standortauswahlgesetz zwei Jahre alt. Die Suche nach einem dauerhaften Atommüll-Lager für hochradioaktiven Atommüll läuft. Zeit für eine erste Zwischenbilanz – in Zitaten

Die neue Behörde (Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit, BfE) und die neue Bundesgesellschaft (für Endlagerung, BGE) sind noch im Aufbau, arbeiten aber schon. Das Nationale Begleitgremium (NBG) ist noch nicht komplett, hat aber bereits 25 Sitzungen hinter sich. Derweil läuft das Suchverfahren schon im Hintergrund. Fakten werden geschaffen, während die Akteur*innen behaupten, sie seien noch in der Findungsphase. Die Bevölkerung bekommt von all dem bisher kaum etwas mit. Die BGE sammelt Geo-Daten und wertet diese bereits aus. Doch erst Mitte 2020 will sie Teilgebiete veröffentlichen, also erstmals Regionen benennen, die für die Standortsuche im Blick sind. Anhand zentraler Begriffe, die immer wieder fallen, wenn es um die angeblichen Vorzüge des Suchverfahrens geht, vergleiche ich Aussagen wichtiger Akteur*innen mit der Realität. Alle Zitate stammen aus dem letzten Vierteljahr.

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Bürgerbeteiligung, wie sie das Atommüll-Bundesamt sich vorstellt: "Vor Ort wird die Bevölkerung in Regionalkonferenzen informiert" - O-Ton Infofilm auf der Internetseite des BfE. Das Wort "Beteiligung" kommt in dem ganzen Film kein einziges Mal vor...

Beteiligung

„Eine weitreichende Öffentlichkeitsbeteiligung, das ist unsere tiefste Überzeugung, ist für das Verfahren konstitutiv.“
Silke Albin, Vizepräsidentin des BfE

„Es ist sehr wichtig, dass wirklich von Anfang an auch in der Entwicklung von Öffentlichkeitsbeteiligungs-Konzepten schon eine Beteiligung stattfindet.“
Miranda Schreurs, Co-Vorsitzende des NBG

„Niemand darf vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Ganz im Gegenteil: Wir wollen, dass die Betroffenen zu Wort kommen, dass sie auch sich mit einklinken können und wir werden ihnen auch Gehör schenken – von Beginn an – und wir werden ihre Wünsche und Forderungen ernst nehmen.“
Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium

Die Realität: Im Standortauswahlverfahren sind die Weichen längst gestellt. Spätestens mit der Verabschiedung des novellierten Standortauswahlgesetzes (StandAG) in 2017 hat der Gesetzgeber das Verfahren festgelegt und alle konzeptionellen Beteiligungsspielräume verbaut. Das gilt auch für die im Gesetz beschriebenen sogenannten Beteiligungsformate, die allesamt keine Ergebniswirksamkeit haben – oder wie Silke Albin es sagt: „Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass Beteiligung nicht Mitent-scheidung bedeutet.“ Das alles wurde ohne Beteiligung der potenziell Betroffenen entwickelt. Auch in den letzten beiden Jahren hat sich das nicht geändert.

Das BfE versucht nun, Informationsveranstaltungen mit dem Label „Beteiligung von Anfang an“ zu versehen. Doch von den etwa 190 Teilnehmenden an der ersten Statuskonferenz des Bundesamtes kamen etwa 180 aus Ministerien und Behörden, von Universitäten, Unternehmen, Gutachterorganisationen und der Politik. An-wohner*innen der möglicherweise betroffenen Standorte waren nicht vertreten. Um die Mär von der Beteiligung der Öffentlichkeit aufzudecken, bat ich auf der Konferenz diejenigen aufzustehen, die nicht aus beruflichem Interesse gekommen waren. Von den Mitgliedern des NBG einmal abgesehen waren das etwa fünf Personen. Es war, als hätte jemand „Der Kaiser ist nackt“ gerufen.

Woran das liegt? BfE und BGE verhindern eine Sensibilisierung der Bevölkerung in den potenziell betroffenen Regionen, indem sie vor Mitte 2020 keine Eingrenzung relevanter Gebiete öffentlich machen wollen, obwohl intern ganze Regionen bereits ausgeschlossen werden. Die Veranstaltung fand zudem an einem normalen Arbeitstag im für viele fernen Berlin statt. Erstaunlich einig sind sich zwei ehemalige Mitglieder der Atommüll-Kommission:

„Eine Einbindung der breiten Öffentlichkeit in das Standortauswahlverfahren ist bislang nicht gelungen. Ein Konzept zu einer aktiven Einbindung der Öffentlichkeit scheint es nicht zu geben.“
Bruno Thomauske, Ex-Atommanager

„Machen wir uns nichts vor: Die Phase 1 hat schon Halbzeit. Öffentlichkeitsbeteiligung hat nicht stattgefunden und Transparenz gibt es nicht.“ 
Klaus Brunsmeier, BUND, NBG-Mitglied

Transparenz

„Information und Transparenz ist die Grundlage, ist das Wichtigste für dieses ganze Verfahren.“
Rita Schwarzelühr-Sutter

„Ausschluss und Auswahl der Regionen können Bürgerinnen und Bürger von Anfang an im Internet mitverfolgen.“
Infofilm auf der Internetseite des BfE; die Aussage bezieht sich auf die Zeit vor der für 2020 geplanten Benennung von Teilgebieten, also jetzt.

Die Realität: Es gibt bei den Akteur*innen keinen Willen und keinen Weg für echte Transparenz. Nach der ersten Anwendung der Ausschlusskriterien fallen große Gebiete aus der Suche heraus. Umgekehrt wird es für alle anderen konkreter. Veröffentlicht werden sollen diese Zwischenergebnisse nicht. Die zitierte Aussage aus dem BfE-Film entspricht nicht der Wahrheit.

Zudem dürfen von der BGE gesammelte Geodaten, die von Privatunternehmen stammen, nach aktueller Rechtslage nicht öffentlich gemacht werden. Somit kann von Betroffenen nicht nachvollzogen werden, wie Entscheidungen begründet werden.

Bezeichnend auch die Begründung von BfE-Präsident Wolfram König, warum die vier regionalen Veranstaltungen seines Amtes in Ulm, Frankfurt, Leipzig und Hamburg im Januar nur für kommunale Vertreter*innen, aber nicht für Menschen aus kritischen Organisationen oder gar für die Öffentlichkeit zugänglich waren: „Transparenz und Nachvollziehbarkeit bedeutet eben nicht, dass alle Türen geöffnet sind für jedermann. Das würde sicherlich nicht dazu führen, dass solche Diskussionen konstruktiver laufen.“

Lernendes Verfahren

„Das selbsthinterfragende System: Der Gesetzgeber hat uns damit eine ganz besondere Aufgabe auf den Weg gegeben. Dieser Appell, selbsthinterfragend und lernend zu sein, der will in der Praxis gelebt sein. (…) Im Ergebnis muss jederzeit ein korrigierender Kurswechsel möglich sein.“
Silke Albin

Die Realität: Wenn der Anspruch des lernenden Verfahrens ernst gemeint ist, dann darf es nicht gleichzeitig Zeitdruck geben. Denn wenn Zweifel an Zwischenergebnissen aufkommen, braucht es Zeit, diese zu prüfen, damit nicht aus Nachlässigkeit sicherheitsrelevante Fehler gemacht werden. Nun steht aber im Gesetz und auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, dass die Suche bis 2031 beendet sein soll. Eine denkbar unrealistische Zielvorgabe, selbst wenn alles glatt liefe. Wesentliche Kurskorrekturen sind damit per se ausgeschlossen.

„Wir wollen das angestrebte Ziel der Standortfestlegung im Jahr 2031 auch tatsächlich erreichen.“
Rita Schwarzelühr-Sutter

„Den gesetzlichen Auftrag, bis zum Jahr 2031 ein Endlager in Deutschland zu finden, den nehmen wir sehr ernst. Ein Teil der Glaubwürdigkeit des Verfahrens hängt von der Einhaltung dieses Datums ab.“
Silke Albin

„In der Endlagerkommission hieß es, Transparenz und Offenheit sind die Grundprinzipien des Standortauswahlverfahrens. Doch entscheidende Akteure halten sich nicht daran. Die Endlagersuche wird noch Jahrzehnte dauern. Der Öffentlichkeit wird dies aber nicht kommuniziert. Man startet somit mit einer Anfangslüge in einen Prozess, der Glaubwürdigkeit voraussetzt.“
Bruno Thomauske zum Zieldatum 2031

 

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Dieser Artikel erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 43, Februar 2019

 

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Jochen Stay

Jochen Stay, Jahrgang 1965, ist seit seinem 15. Lebensjahr aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, seit Wackersdorf 1985 in der Anti-Atom Bewegung und seit 2008 Sprecher von .ausgestrahlt.

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