Im bayerischen Weißenhorn wurde die Anlieferung von radioaktiven Abfällen aus dem Atomkraftwerk Gundremmingen in die dortige Müllverbrennungsanlage gestoppt. Der IPPNW warnt, dass die Verbrennung die Radioaktivität nicht aus der Welt schaffe, sondern nur neu in der Umgebung verteilt.
„Zufällig“ habe der Weißenhorner Bürgermeister davon erfahren, dass die Verbrennung von strahlenden Abfällen des bayrischen AKW Gundremmingen in seiner Stadt „geplant“ sei. Behörden und Betreiber mussten sich daraufhin erklären. Fakt ist offenbar: Radioaktiv belastete Überreste des 1977 havarierten Blocks A im AKW Gundremmingen werden offensichtlich schon seit Jahren – von der Öffentlichkeit unbemerkt – in der Müll-Verbrennungsanlage Weißenhorn verbrannt.
- Abriss-Müll: Weder gefahrlos noch transparent
25.01.2019 - Der Bürgermeister des 13.000-Einwohner Städchens Weißenhorn in Bayern ist sauer. Der Betreiber des Atomkraftwerks Gundremmingen will dort künftig seinen Abriss-Müll abladen.
Es handle sich nicht nur um brennbaren Abraum vom Block A, sondern auch um sogenanntes „radioaktiv gering belastetes Material“ aus dem AKW-„Normalbetrieb“, wie Schutzanzüge, Wischtücher und vieles mehr. Das werde als „normaler Gewerbemüll“ behandelt und dort zusammen mit dem Hausmüll Tag für Tag verbrannt, berichtet der IPPNW Ulm. Neu ist, dass künftig auch Material aus dem Abriss des Block B in Gundremmingen angeliefert werden soll, 5 bis 15 Tonnen pro Jahr.
„Das radioaktiv belastetes AKW-Abrissmaterial wird über alle unsere Köpfe hinweg in der Luft verteilt“, warnt Reinhold Thiel vom IPPNW. „Eine Müllverbrennung kann keine Radioaktivität aus der Welt schaffen. Die im Abrissmaterial noch vorhandenen radioaktiven Partikel werden nur neu in der Umgebung verteilt.“
Laut Thiel seien weder Radioaktivitätskontrollen zum Schutz der Umgebungsbevölkerung und der im Heizkraftwerk beschäftigten Menschen noch Messungen im Rauchgas oder Filterstaub durchgeführt worden.
Freigemessen und vergessen?
„Es gibt keinen Grund zur Sorge“, sagen Vertreter*innen des Atomkraftwerkes Gundremmingen und des bayerischen Landesamtes für Umwelt. Die Strahlung des „freigemessenen“ Materials sei unterhalb des geltenden Grenzwertes.
Dem widerspricht Thiel: Die „freigemessenen“ Materialien sind auch nach der Messung nicht so harmlos, wie das Wort „frei“ es uns glauben machen soll. Sie strahlen weiter. Außerdem gibt es keinen Strahlengrenzwert, unter dem eine radioaktive Belastung als „wirkungslos“ bezeichnet werden kann, warnt der Mediziner. Jede weitere Strahlenbelastung und auch viele kleine weitere zusätzliche Belastungen rufen bei Mensch, Tier und Pflanze weitere Folgen hervor, die sich im Laufe der Jahre summieren. Der menschliche Körper vergesse auch zurückliegende alte Strahlenbelastungen nicht.
„Freimessung“ ist ein verharmlosendes Wort für eine fragwürdige Methode, mit der radioaktives Abrissmaterial im AKW so lange physikalisch etwa durch Säure, Putzen oder Schrubben abgetrennt wird, bis das Restmaterial unter einen gewissen radioaktiven Grenzwert sinkt. Zum einen strahlt das Restmaterial immer noch, wenn auch weniger. Zum anderen entstehen so Unmengen von neuen Materialien (etwa die Putzmittel und Säurebäder), die ebenfalls strahlen. Durch die Verbrennung wie in Weißenhorst werden die strahlenden Partikel dann nur anders verteilt und die belastete Materialgesamtmenge wieder vergrößert.
Anlieferungen gestoppt
Ende Januar hat der Neu-Ulmer Landrat Thorsten Freudenberger auf die Vorwürfe reagiert und angeordnet, dass vorerst kein Material aus dem Atomkraftwerk Gundremmingen nach Weißenhorn angeliefert werden darf. Auch er habe nichts von der bisherigen Verbrennung gewusst. Er wolle künftig „sämtliche Gefährdung der Bevölkerung ausschließen“.
Der IPPNW rät, die Abfälle am Kraftwerksstandort zu belassen. Durch „Abwarten“ könnten sie auf natürliche Art und Weise einen erheblichen Teil ihrer Strahlungsgefährlichkeit verlieren. Über die Jahre klingt die Radioaktivität ab. Besonders problematisch sind natürlich Stoffe, deren Halbwertzeit mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte betragen.
Es darf nie vergessen werden, dass in den immer noch laufenden AKWs Tag für Tag weiter neuer Atommüll produziert wird. Das sollte heute und nicht erst Morgen ein Ende haben.
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06.02.2018 - Der Schweizer Onkologe Dr. med. Claudio Knüsli konnte nachweisen, dass auch sehr geringe Strahlungswerte gesundheitliche Folgen haben. Der IPPNW fordert eine Neubewertung des Risikos zum Beispiel durch AKW-Bauschutt. -
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Quellen (Auszug): swp.de, ippnw.de, ippnw-ulm.de