„Viele suchen wieder den Einstieg und werben dafür“

01.02.2019 | Armin Simon
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Foto: privat

Anete Wellhöfer, 56, macht mit dem „Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ die staatlich finanzierten Forschungen für neue AKW öffentlich bekannt

"In Karlsruhe ist Anti-Atom ein großes Thema – auf dem Gelände des früheren Kernforschungszentrums wird immer noch Atomforschung betrieben, Atomkraft und Fusionstechnik gelten dort immer noch als Zukunftstechnologie; es gibt ein riesiges Atommüll-Lager, etliche Atomanlagen, die abgerissen werden, und das AKW Philippsburg ist auch nur 30 Kilometer entfernt. In den letzten anderthalb Jahren haben sich in Karlsruhe gleich zwei neue Anti-Atom-Gruppen gegründet. Die eine beschäftigt sich mit der nächsten Generation von Atomreaktoren, die andere mit Atommüll – weil man auch in Karlsruhe und Philippsburg nicht weiß, wohin mit dem atomaren Abrissmüll.

Ich selbst habe mich schon immer mit vielen politischen Themen beschäftigt, Feminismus, Antirassismus und so weiter. Aktiv gegen Atomkraft bin ich seit dem „Ausstieg aus dem Ausstieg“ 2010. Diese Unverschämtheit hat mich echt auf die Palme gebracht – und dagegen habe ich, auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, protestiert. Manchmal braucht es ja so Ereignisse, die einem einen Tritt in den Hintern geben.

Im Moment sehe ich, dass viele denken, wir seien ausgestiegen, man müsse also zu dem Thema nichts mehr tun, und dass auch eine große Mehrheit hinter diesem Ausstieg steht. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es immer noch viele gibt, darunter Forscher*innen jung und alt, die wieder den Einstieg in die Atomkraft suchen und dafür auch schon öffentlich werben. So wie mit dem „Arte“-Film „Thorium – Atomkraft ohne Risiko?“ oder im Oktober bei der „nuclear pride“ auf dem Marienplatz in München, wo die Atomlobby ein Fest feierte und dafür sogar noch Begriffe sozialer Bewegungen klaute, man denke an „gay pride“ und so. Im gleichen Monat diskutierte die Atomlobby auf einer Konferenz in Brüssel über Reaktoren der „Generation IV“. Die EU forscht dazu unter anderem am Joint Research Center (JRC) Karlsruhe, das früher Institut für Transurane (ITU) hieß und zur Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) gehört. Mitarbeiter*innen des JRC haben in Brüssel Vorträge gehalten. Und auf einer Veranstaltung in Karlsruhe Anfang Dezember haben sie ganz offen eingeräumt, dass sie noch immer an Atomkraft und an neue Reaktoren glauben.

"Die staatliche Unterstützung der Forschung zu neuen Reaktoren muss ein Ende haben."

Zum Thema Atomkraft gibt es eben zwei Seiten in Deutschland: Offiziell ist der Ausstieg beschlossen. Inoffiziell aber finanzieren, unterstützen und ermöglichen Bundes- und sogar die grün geführte baden-württembergische Landesregierung Forschungen an und für neue AKW!
Dagegen hat sich im Herbst 2017 das „Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ gegründet, in dem, neben Wissenschaftler*innen und engagierten Einzelpersonen, auch etliche Umwelt‑, Anti-Atom‑ und andere Gruppen vertreten sind. Ich selbst bin quasi von Anfang an mit dabei: Diese Forschung darf nicht einfach im stillen Kämmerlein passieren! Wir müssen immer wachsam sein, eine kritische Öffentlichkeit ist unbedingt erforderlich.

Unser Schwerpunkt derzeit ist Öffentlichkeitsarbeit, der erste Schritt, dass wir uns selbst einarbeiten ins Thema. Wir suchen, erfragen und tragen alle verfügbaren Infos zusammen. Auch das JRC selbst haben wir angeschrieben, da kam aber nur Blabla zurück. Unsere Infos geben wir dann weiter, gehen auch zu Veranstaltungen über das Thema und mischen uns dort in die Diskussion ein. Zu den „Events“ in Brüssel und München haben wir es personell leider nicht geschafft. Wir haben uns als Gruppe auch gefragt, ob es sinnvoll ist, der Atomlobby hinterherzureisen und ihr damit noch zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Das sollten wir in den überregionalen Anti-Atom-Strukturen diskutieren.

"Sie haben offen eingeräumt, dass sie immer noch an Atomkraft und an neue Reaktoren glauben."

Seit einigen Wochen ist unsere neue Homepage am Start, zudem organisieren wir auch selbst Veranstaltungen. Die Presseresonanz in Karlsruhe selbst ist leider verhalten, die Lokalpresse bisher nicht sehr interessiert. Nach einem Artikel in einer kleinen örtlichen Umweltzeitschrift haben sich allerdings gleich neue Leute gemeldet, die mitmachen wollen. Andere kamen über Verteiler existierender Gruppen zu uns. Wir treffen uns einmal im Monat, Interessierte sind uns sehr willkommen.

Außer in dem Bündnis bin ich noch in der Anti-Atom-Initiative Karlsruhe aktiv, wo wir uns nicht auf ein einzelnes Atom-Thema spezialisiert haben, sondern uns um alles kümmern, was im Raum Karlsruhe gerade ansteht. So haben wir etwa Einwendungen zum geplanten Abriss der beiden Reaktoren in Philippsburg erhoben. 2017, als fünfzehn Castorbehälter mit hochradioaktivem Atommüll vom AKW Obrigheim zum AKW Neckarwestheim verschoben wurden, waren wir viele Male bei Aktionen vor Ort. Einmal habe ich auch im sieben Grad kalten Neckarwasser demonstriert.

Dieses Jahr sollen fünf Castor-Behälter aus der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Philippsburg kommen. Beim Infotermin neulich traten einige Ungereimtheiten zutage. So wird der riesige Konverter in Philippsburg, an dem eine Stromautobahn enden soll, wegen der Hochwassergefahr drei bis fünf Meter erhöht gebaut. Die Castorhalle dagegen, die direkt daneben steht und in der neben den abgebrannten Brennelementen aus dem AKW auch der Atommüll aus La Hague für viele Jahrzehnte lagern soll, ist nicht so hoch gebaut. Die kann einfach überflutet werden …

Es gibt alte Aussagen von EnBW, dass die 2019 erwarteten La Hague-Castoren im Zwischenlager zwei intakte Deckel brauchen, um sie auch wieder abtransportieren zu können – was ein Problem ist, denn so ein Deckel kann ja auch mal undicht werden. Dieses Mal hieß es dann, zwei Deckel seien nicht notwendig. Da wurden wir auch hellhörig.

Im AKW Philippsburg selbst gibt es regelmäßig Skandale, auch in dem noch laufenden Block 2. Vor einem guten Jahr etwa kam raus, dass der Reaktor 32 Jahre lang nicht einmal über den schon bei seinem Bau vorgeschriebenen Schutz gegen Flugzeugabstürze und Erschütterungen verfügte – ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. So hätte er eigentlich nie ans Netz gehen dürfen!

Und während der Neubau der Lagerhalle für schwach- und mittelaktiven Atommüll auf dem Gelände des ehemaligen Kernforschungszentrums,  dem heutigen KIT Campus-Nord, zwei Meter dicke Wände aufweist, sind die des Zwischenlagers für hochradioaktiven Müll beim AKW Philippsburg nur 80 Zentimeter stark. „Dickerer Beton kann auch mehr Probleme bedeuten“, hat der Präsident des Atommüll-Bundesamts BfE, Wolfram König, am 14.11.2018 in Philippsburg dazu gesagt. Uns hat das nicht überzeugt. Daneben stellt sich die Frage, wie lange die Castoren eigentlich halten.

Was die Atomforschung in Karlsruhe angeht, finde ich besonders skandalös, dass es meist um Reaktoren geht, die mit Thorium betrieben werden sollen. Daraus entsteht im Normalbetrieb das Vorprodukt Protactinium, das mit chemischen Methoden aus der heißen Salzbrühe herausgelöst werden kann und schließlich in reines, atomwaffenfähiges Uran‑233 zerfällt. Wer das in die Hände bekommt, kann daraus Atombomben bauen. Das ist – neben all den Reaktor- und Atommüllrisiken – eine immense zusätzliche Gefahr. Wir hoffen, dass sich dagegen bald ein breiter gesellschaftlicher Widerstand entwickelt. Die staatliche Unterstützung der Forschung zu neuen Reaktoren, ob aus Bundes- oder EU-Mitteln, muss ein Ende haben. Die Landesregierung darf solche Arbeiten nicht auch noch mit Genehmigungen unterstützen. KIT und JRC müssen die Forschung zu Themenstellungen im Zusammenhang mit Atomreaktoren der 4. Generation endgültig aufgeben." anti-atom-ka.de

Protokoll: Armin Simon

Dieser Artikel erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 42, Februar 2019

 

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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