Abriss-Müll: Weder gefahrlos noch transparent

25.01.2019 | Jan Becker

Der Bürgermeister des 13.000-Einwohner Städchens Weißenhorn in Bayern ist sauer. Der Betreiber des Atomkraftwerks Gundremmingen will dort künftig seinen Abriss-Müll abladen.

Teaserbild Rückbau / Freimessen

In der Presse hieß es vor ein paar Tagen, dass Abfall aus dem AKW Gundremmingen „womöglich“ zur Verbrennungsanlage des Landkreises Neu-Ulm geliefert werden könne. Der parteilose Rathauschef moniert, er habe von der „wichtigen Angelegenheit“ kürzlich erst aus der Zeitung erfahren und fühlt sich von seinem Landkreis und dessen Abfallwirtschaftsbetrieb (AWB) übergangen. Laut Thomas Moritz, Leiter des Abfallwirtschaftsbetriebs (AWB), sei es „noch völlig unklar“, wie viel radioaktiver Müll tatsächlich aus Gundremmingen in Weißenhorn landen wird.

Die Betreibergesellschaft des Atomkraftwerks berichtet der Südwest Presse wenige Tage später, dass schon 2017 rund 156 Tonnen brennbares Material aus dem AKW Gundremmingen nach Weißenhorn geliefert wurden. 19,3 Tonnen davon waren „freigemessener“ Müll, also Abfall mit einer Dosisbelastung von maximal 10 Mikrosievert (μSv) pro Einzelperson und pro Jahr. „Niemand muss sich Sorgen machen“, schiebt Christina Kreibich, Sprecherin des Atomkraftwerkes Gundremmingen gleich hinterher. Denn die Dosis sei „gefahrlos“, es gehe keine Gesundheitsgefahr von dem Abfall aus.

Weder gefahrlos noch transparent

Der Trick ist nur für jemanden ersichtlich, der sich in der Materie ein wenig auskennt: Wird bei den Abfällen nämlich eine Strahlung unterhalb des 10-Mikrosievert-Grenzwertes gemessen, können sie aus dem Atomgesetz entlassen werden und gelten damit - trotz der geringen Strahlung - nicht mehr als „radioaktiver Abfall“. Rein rechtlich stimmt die Aussage aller Beteiligten also.

Dass dieser Müll damit aber „gefahrlos“ sei - was die Grundlage dieser Umdeklarierung ist -, darüber herrscht unter Fachleuten seit Jahrzehnten heftiger Streit. Für die AKW-Betreiber bedeutet diese Freigrenze, große Mengen schwachaktiven Atommülls konventionell und damit billig „entsorgen“ zu dürfen. Kritiker*innen warnen hingegen, dass es keine Dosisgrenze gibt, unterhalb der radioaktive Strahlung keine Schäden anrichtet. Tatsächlich führt jede zusätzliche Strahlenbelastung zu einem Anstieg der Herz-, Kreislauf- und Krebserkrankungen.

Atommüll bedeutet bekanntlich intransparente Prozesse, Mauscheleien und Entscheidungen zugunsten von Wirtschaftlichkeit. Nicht zuletzt ist Gorleben ein Paradebeispiel von Interessenpolitik. Dass sich jetzt also „niemand Sorgen machen“ soll, ist altbekannte Propaganda der Atomlobby.

weiterlesen:

  • „Es gibt keine ungefährliche Strahlung“
    06.02.2018 - Der Schweizer Onkologe Dr. med. Claudio Knüsli konnte nachweisen, dass auch sehr geringe Strahlungswerte gesundheitliche Folgen haben. Der IPPNW fordert eine Neubewertung des Risikos zum Beispiel durch AKW-Bauschutt.

  • Wenn in Deutschland Atomkraftwerke abgerissen werden, landet das Abrissmaterial zu ca. 99 Prozent in der „Mülltonne“. Darunter auch Tausende Tonnen gering radioaktive Abfälle. Strahlender Atomschutt wird also recycelt, verbrannt und deponiert. - Hintergrundinfos

  • Deponie außer Kontrolle
    14.12.2018 - „Heimlich“ wurde Abrissmaterial aus dem Atomkraftwerk Obrigheim auf eine Deponie gebracht. Atomkraftgegner*innen üben heftige Kritik an diesem „Freimess-Verfahren“ und warnen vor langfristigen Risiken. Aktuelle Messwerte aus Mecklenburg-Vorpommern bestätigen das.

Quellen (Auszug): swp.de, 22./25.1.2019

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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