"Entsorgung" - eine atomare Wortschöpfung

07.01.2019 | Jan Becker

Ein kleiner Exkurs am Rande: In den 70er Jahren wurde das Wort "Entsorgung", ein Wort das vorher in der deutschen Sprache unbekannt war erst geschaffen. Es gibt einen direkten Zusammenhang mit dem "Nationalen Entsorgungspark Gorleben".

 

Atommülllager Asse-2
Foto: Helmholtz Zentrum München
Zwar nicht Gorleben, aber damals die gängige "Entsorgungspraxis" der Atomlobby

 

Dazu ein weiterer kleiner Exkurs: In Gorleben war Ende der 70er Jahre das damals größte Industrieprojekt der BRD und europaweit größe Atomprojekt geplant. Auf 12 Quadratkilometern Fläche sollte eine Wiederaufarbeitungsanlage, eine Brennelementefabrik, ein Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente, eine Verpackungsanlage für atomare Abfälle und ein unterirdisches Endlager an einem gemeinsamen Standort entstehen. Kurz: Ein "Nationaler Entsorgungspark" (NEZ).

Im Rechtschreibduden taucht das Wort „Entsorgung“ erstmals 1973 auf. Meyers enzyklopädisches Lexikon bringt es erstmalig in einem Nachtrag im Jahre 1980 - im Zusammenanhang mit dem geplanten NEZ Gorleben.

Sorge zu tragen für sich und andere, das gibt erst dem menschlichen Leben Sinn, ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschheit seit mehr als eine Millionen Jahre überleben konnte. „Sich entsorgen heißt nichts anderes, als eigene Sorgen anderen aufbürden“, schreibt August Quis, zwischen 1959 und 1982 Oberbaurat des Landkreis Lüchow-Dannenberg und Gorleben-Gegner in seinem Buch „Hinterwalden“.

Gezielte Verharmlosung

Sprache ist kein Zufall und Wörter haben die Kraft, das Denken und Handeln der Menschen zu beeinflussen. Politiker*innen und Konzerne missbrauchen diese Tatsachen gerne um ihre eigenen – zumeist wirtschaftlichen – Interessen besser durchsetzen zu können. Für die Atomlobby bedeutet das: Sie verharmlost durch gezielte Wortwahl eine hochgefährliche Risikotechnologie.

Wir haben einige "Wortklaubereien" zum Thema Atomkraft gesammelt, darunter "Entsorgung":

"Entsorgung" –" Endlager" – "Endlagerung": Diese Begriffe suggerieren, dass es einen Ort und einen Prozess gibt, der das Atommüll-Problem lösen würde. Fortan hätten die „Sorgen“ ein „Ende“. Tatsache ist: An keinem Ort auf der Welt können strahlende Abfälle für tausende von Generationen wirklich sicher aufbewahrt werden. Es muss also heißen: Atommüll-Lager, Langzeit-Lager, langfristige Lagerung.

„Zwischenlager als selbstständiger Entsorgungsschritt"

Ein anderes Beispiel für eine irreführende Definitions-„Schöpfung“ der Atomlobby aus den 80er Jahren:

Da ein Atommülllager, das die Radioaktivität von der Biosphäre fernhalten könne, weltweit auch damals nicht in Sicht war, ist man auf die „Zwischenlagerung“ gekommen. Schon das Wort ist diesbezüglich grober Unfug. Es hat nur Sinn, wenn der genaue Zielort bekannt ist. So werden bei einer Bergexpedition auf dem Weg zum Gipfel „Zwischenlager“ eingerichtet. Weiß man jedoch - wie bei der Atomenergie - noch gar nicht, wohin der Weg führt, dann sollte man allenfalls von einem „Verlegenheitslager“ sprechen.

Doch die Atomlobby ging damals noch weiter: Dr. Carsten Salander, erst Projektleiter Wiederaufarbeitung des Atomkonzerns PreussenElektra, später Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), die in Gorleben federführend war, schuf bei einem Besuch in Lüchow-Dannenberg eine andere Definition: das „Zwischenlager als selbstständiger Entsorgungsschritt".

Diese „übelste Wortverdrehung“ verharmlost und führt in die Irre, suggeriert sie doch eine „Lösung“. Sie gewinnt viele Jahre nach ihrer Schöpfung an dramatischer Aktualität und beweist, dass die Atomlobby wie auch die Politik an dieser Definition festgehalten haben: Ein langfristiges Atommülllager existiert bekanntlich auch heute nicht. Der zeitliche Prozess, eine Perspektive zu finden, wird sich wegen unzähliger Herausforderungen höchstwahrscheinlich verzögern. Was bleibt, ist die „langfristige Zwischenlagerung“ des lebensgefährdenden Unrats einer mit Blick auf die Halbwertzeit des Atommülls sehr kurzfristigen Industrie.

Allerdings laufen in ein paar Jahren weitere der auf 40 Jahre befristeten Betriebsgenehmigungen für die Lagerhallen aus. Auch die Haltbarkeit der Castor-Behälter muss dringend in Frage gestellt werden. Was, wenn einer undicht wird? Eine Katastrophe wäre die Folge.

„weit von der Küste ins Meer“

Und noch ein Exkurs, der abschließend verdeutlicht, dass „Entsorgungs“-Strategien in der Vergangenheit revidiert werden mussten:

Der Atomphysiker Werner Heisenberg zählt heute zu den bedeutendsten Physikern des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Wissenschaftler ist Nobelpreisträger und gilt als Begründer der Quantenmechanik. 1955 äußerte er seine Idee der „Entsorgung“: „Die Abfallstoffe werden sorgfältig gespeichert, nach Abschwächung ihrer radioaktiven Strahlung aufgearbeitet und schließlich verpackt und weit von der Küste ins Meer versenkt“.

Im Gegensatz zu anderen Ländern tat Deutschland das ein einziges Mal, im Jahr 1967 wurden 480 Gebinde 400 Kilometer vor der Küste Portugals ins Meer gekippt. Bei der Aktion handelte es sich erstmalig um eine „internationale Versenkungsaktion“, bei der sich Deutschland, England, Frankreich, Belgien und die Niederlande insgesamt 10.895 Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Abfalls entledigten. Der deutsche Atommüll stammte von der Gesellschaft für Kernforschung mbH in Karlsruhe.

Nach erheblichem öffentlichen Druck verbot die International Maritime Organization (IMO) 1994 die Versenkung von radioaktiven Feststoffen. (Die Einleitung von radioaktiven Abwässern aus Atomanlagen unterhalb bestimmter Grenzwerte ist hingegen immer noch erlaubt.)

Eine Katastrophe

Nennen wir es also, was es ist: Keine „Entsorgung“, sondern ein völlig ungelöstes Problem, die vermutlich größte (negative) Herausforderung, der sich der Mensch je stellen musste. Kurz: eine Katastrophe mit heute nicht abschätzbarer Tragweite. Ich hätte spontan eine Idee, damit sich die Misere wenigstens nicht stetig noch verschlimmert: Abschaltung aller Atomanlagen - sofort.

weiterlesen:

  • Steuerung durch Framing: „Atomkraft“ oder „Kernkraft“?
    03.06.2015 - Wie die Wahl von Begriffen unser Denken beeinflusst, erklärt die aus Hamburg stammende Linguistin Elisabeth Wehling von der University of California in Berkeley in einem aktuellen Interview mit der „Main Post“. Wehling beschreibt dabei unter anderem, wie die Atombranche allein durch ihre Begriffs-Wahl eine gefährliche Risikotechnologie verharmlost.

  • Bildungsmaterial für Schüler*innen zu Atommüll
    04.01.2019 - Unbestritten wird Atommüll noch über mehrere Jahrzehnte in oberirdischen Zwischenlagern aufbewahrt werden müssen. Das heißt, es wird die heutige Generation von Schülerinnen und Schülern sein, die sich in den nächsten Jahrzehnten mit der „sicheren Verwahrung“ der radioaktiven Abfälle auseinandersetzen muss. Schließlich handelt es sich um Stoffe, die teilweise Millionen Jahre gefährlich für Mensch und Umwelt bleiben.

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  • Zwischenlagerung: Die Jahrhundert-Lager
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    Für die langfristige Atommüll-Lagerung ist keine sichere Lösung in Sicht. Trotzdem versuchen Regierung und Atomwirtschaft den Eindruck zu erwecken, sie hätten alles im Griff. Der Atommüll-Berg wächst Tag für Tag weiter – und die Probleme ebenfalls... - mehr

Quellen (Auszug): A. Quis: Hinterwalden (2015), duden.de, deutschlandfunknova.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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