Deponie außer Kontrolle

14.12.2018 | Jan Becker

„Heimlich“ wurde Abrissmaterial aus dem Atomkraftwerk Obrigheim auf eine Deponie gebracht. Atomkraftgegner*innen üben heftige Kritik an diesem „Freimess-Verfahren“ und warnen vor langfristigen Risiken. Aktuelle Messwerte aus Mecklenburg-Vorpommern bestätigen das.

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Nach längerer Auseinandersetzung und gegen alle Kritik wurden am Mittwoch die ersten neun Tonnen Betonschutt aus dem AKW Obrigheim in 20 „Big Bags“ auf die Deponie „Sansenhecken“ bei Buchen, Kreis Neckar-Odenwald angeliefert. Für die kommenden Jahre sind Transporte mit insgesamt 2.500 Tonnen geplant.

Laut Dr. Mathias Ginter, Geschäftsführer der Deponie, wurde gemeinsam mit Polizei und Behörden ein „Sicherheitskonzept“ für den Transport erarbeitet. Man habe zwar darüber informiert, dass der erste LKW rollen würde - aber nicht wann. Es hätte schließlich „in Teilen der Bevölkerung Unmut“ wegen des Vorhabens gegeben. Proteste von besorgten Anwohner*innen konnten nun erfolgreich verhindert werden. Atomkraftgegner*innen sprechen von einem „heimlichen“ Transport.

Am Ende kommt Erde drüber

Betont wird von Behörden- und auch von Deponiebetreiber-Seite, dass „alle Grenzwerte eingehalten“ werden und es „nichts zu beanstanden“ gab. Alle Behälter seien von Sachverständigen des TÜV-Süd kontrolliert und verplombt worden.

Der „Schutz von Mensch und Umwelt“ stehe im Mittelpunkt, betont AKW-Betreiber EnBW. Genau dem widersprechen Atomkraftgegner*innen. Die viel zu hohen Grenzwerte, die international auch unter Fachleuten umstritten sind, ermöglichen diese „Entsorgung“ auf konventionellen Bauschuttdeponien überhaupt erst. Schließlich handelt es sich bei den Abrissabfällen aus dem Reaktorgebäude um schwach-aktiven Atommüll, dessen Strahlenbelastung aber nach zum Beispiel Vermischung mit anderen Reststoffen unterhalb der Freigabegrenze liegt. Damit verliert er die offizielle Deklaration „Atommüll“ - und wird zu konventionellem Betonschutt, der unter das Kreislaufwirtschaftsgesetz fällt. Einer Wiederverwertung steht nichts im Wege.

Die neun Tonnen aus Obrigheim wurden allerdings - medienwirksam - an einen gesonderten, extra vorbereiteten Deponiebereich gebracht. Am Ende kommt Erde drüber, und das langfristige Problem scheint „verschwunden“...

Stark erhöhte Messwerte in Ihlenberg

Wohin diese Praxis führen kann, wurde vor einigen Tagen in Mecklenburg-Vorpommern deutlich. Auf der Deponie Ihlenberg wurden stark erhöhte Tritium-Werte gemessen. Wie offenbar erst jetzt bekannt wurde, haben Fachleute des Landesamtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) bereits im August im Sickerwasser 427 Becquerel pro Liter  ermittelt - eine Verdreifachung gegenüber des Vorjahres und das Hundertfache dessen, was sonst in Flüssen und Seen üblich ist.  In dem Messbericht wird darauf verwiesen, dass die für gewöhnlich „abfallende Tendenz (...) unterbrochen“ sei, vermutlich wegen der Trockenheit und damit weniger Sickerwasser im Sommer.

Kritiker*innen von der Bürgerinitiative „Stoppt die Deponie Schönberg“ warnen nun davor, dass die Deponie „unkontrollierbar“ und „außer Kontrolle“ sei. Erhöhte Radioaktivität schade auf Dauer der Gesundheit von Mensch und Tier. Im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns wurde sogar die Forderung nach der sofortigen Schließung der landeseigenen Deponie laut. Der Betreiber hat weitere Messungen angekündigt, weil die eigenen deutlich von denen der Behörde nach unten abweichen.

Zwischen 1996 und 2009 wurden in Ihlenberg rund 12.000 Tonnen „freigemessene“ Abfälle aus dem Abriss des großen Atomkomplexes in Greifswald-Lubmin angeliefert. Darunter hunderte je 500 Kilo schwere Fässer mit Material, das laut Begleitschein zuvor „zur Neutronenabsicherung des Kraftwerkblockes 2 verwendet“ wurde. 2010 wurde bekannt, dass viele dieser Frachten nicht gründlich, teilweise sogar gar nicht überprüft worden waren. Kritiker*innen befürchten, dass so viel mehr Giftmüll auf die Deponie gelangte, als offiziell bekannt. Fachleute zweifeln nicht daran, dass die hohen Tritium-Werte aus den AKW-Abfällen stammen.

12,3 Jahre Halbwertzeit

Die Schädlichkeit von Tritium für den Menschen ist genauso umstritten wie die Höhe der Grenzwerte. Die vom Zerfall ausgehende Beta-Strahlung ist relativ „weich“, d.h. die kinetische Energie wird von Widerstand, wie z.B. duch Wasser, schnell gestoppt. Haut wird nicht durchdrungen. Wenn Tritium-Teilchen allerdings über die Luft oder durch Wasser in den Körper gelangen, werden sie in allen Organen gespeichert. Über Jahrzehnte wird dann das umliegende Gewebe „bestrahlt“, Jahre später kann Krebs die Folge sein. Einen belastbaren Nachweis für einen Zusammenhang zwischen schwacher Radioaktivität und Erkrankung zu führen, ist in der Regel nur sehr schwer möglich.

weiterlesen:

  • Gegen radioaktive Einleitungen in die Elbe
    11.12.2018 - Aus Protest gegen die Einleitung von Abwässern aus dem Atomkraftwerk Brunsbüttel haben Aktivist*innen tausende Unterschriften gesammelt.

  • „Es gibt keine ungefährliche Strahlung“
    06.02.2018 - Der Schweizer Onkologe Dr. med. Claudio Knüsli konnte nachweisen, dass auch sehr geringe Strahlungswerte gesundheitliche Folgen haben. Der IPPNW fordert eine Neubewertung des Risikos zum Beispiel durch AKW-Bauschutt.

  • Wenn in Deutschland Atomkraftwerke abgerissen werden, landet das Abrissmaterial zu ca. 99 Prozent in der „Mülltonne“. Darunter auch Tausende Tonnen gering radioaktive Abfälle. Strahlender Atomschutt wird also recycelt, verbrannt und deponiert. - Hintergrundinfos

Quellen (Auszug): rnz.de, ostsee-zeitung.de, ln-online.de, atommuellreport.de, heise.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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