Seit den ersten Auseinandersetzungen um Atomkraftwerke in Deutschland sind Jahrzehnte vergangen. Heute könnte die Geschichte museumsreif sein - doch zu Ende ist sie noch lange nicht. In Braunschweig wurde nun ein Archiv gegründet, das „alles“ zum Thema sammelt.
Die Anti-Atomkraft-Bewegung gehört „zu den wichtigsten sozialen Bewegungen der deutschen Nachkriegsgeschichte“, heißt es in Nachschlagwerken. Ihre Höhepunkte erreichte sie in den 1970er und 1980er Jahren bei den Auseinandersetzungen um die Standorte Wyhl (Baden-Württemberg), Brokdorf (Schleswig-Holstein) oder Grohnde und Gorleben (Niedersachsen). In Bayern eskalierte der Konflikt 1981 bis 1989 um die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Auch die Massenproteste nach dem GAU von Fukushima, die einen Kurswechsel in der Energiepolitik brachten, bleiben unvergessen.
Im europäischen Vergleich zeichnet sich die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung durch ihre Stärke und insbesondere durch ihre Kontinuität aus. Der Historiker Joachim Radkau sieht aufgrund ihrer Beharrlichkeit den „größten und gedankenreichsten öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik“.
Die Anti-Atom-Bewegung hat Geschichte geschrieben. Mehr als 60 Jahre Atomforschung und Atomenergienutzung in Deutschland und fast ebenso lange dauert die gesellschaftliche Auseinandersetzung darum. Doch wer bereitet sie historisch auf? Wer bewahrt ihre Geschichte? Und wer macht sie für die nächste Generation zugänglich?
Das Gorleben Achiv
Es gibt viele, teils kleine Archive der linken Bewegung, in denen zahlreiche Materialien mit Bezug auf Anti-Atom-Aktivitäten erfasst sind. Doch eine Konzentration allein auf das Atomthema gab es bisher nur in Lüchow-Dannenberg, wo die Auseinandersetzung um die Atomanlagen seit mehr als 40 Jahren geführt wird. In keiner anderen Region in der Bundesrepublik kämpft eine soziale Bewegung quer durch alle Bevölkerungsschichten über einen so langen Zeitraum für ihre Rechte wie hier. Eine Bewegung, die das kulturelle Leben, die politischen und wirtschaftlichen Strukturen in der Region nachhaltig verändert hat. Der jahrzehntelange Konflikt hat die Menschen im Wendland geprägt und ihre Biografien verändert. Es gab Erfolge und Niederlagen – auf der Straße, in den Gerichtssälen und Parlamenten.
Anfang 2000 wurde einigen Menschen aus dem Wendland bewusst, dass viele wichtige Dokumente über den Gorleben-Widerstand fast vergessen auf Dachböden, in Kellern oder Scheunen lagerten. Persönliche Protokolle, Tagebücher, Plakate, Fotos, Filme, Transparente – unzählige Erinnerungsstücke drohten, dem Zahn der Zeit anheimzufallen und endgültig verloren zu gehen. Um das zu verhindern, wurde im August 2001 das „Gorleben Archiv“ gegründet. Seitdem sammelt, sichtet und archiviert der gemeinnützige Verein das historisch bedeutsame Material über die Geschichte des Atomstandortes Gorleben in Wort, Schrift, Bild, Foto und Film.
- zur Webseite: http://gorleben-archiv.de
„Archiv Deutsches Atomerbe“
Ende Oktober gründete sich nun in Braunschweig der Verein „Archiv Deutsches Atomerbe“. Unter dem Motto „Wir schreiben unsere Geschichte selbst!“ soll verhindert werden, dass wichtige und einzigartige Zeitdokumente unwiderruflich verloren gehen oder in Hände fallen, in denen sie nicht so gut aufgehoben wären. Der Verein kann bereits auf einen Bestand von etwa 2.000 Akten und viele andere Medien zurückgreifen und der Bestand wächst kontinuierlich an.
„Viele, die seit Jahrzehnten aktiv sind, wollen ihre Keller räumen und wissen nicht, wohin mit den alten Akten. Dafür bauen wir ein Archiv zur Geschichte der Atomenergienutzung in Deutschland auf“, heißt es in einer Einladung des Vereins zum Mitmachen.
Gesammelt wird alles, was mit der Atomenergienutzung und der Atommüllproduktion in Deutschland und darüber hinaus zusammenhängt, wissenschaftliche Gutachten, Betreiberinformationen, politische Schriften, aber vor allem alle Unterlagen zur Geschichte der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland.
- Erste Infos hier: https://www.atommuellreport.de