Mit einer geschichtsträchtigen Volksabstimmung sorgte eine hauchdünne Mehrheit in Österreich dafür, dass das einzige Atomkraftwerk im Land nie den Betrieb aufnehmen durfte.
Am 4. April 1972 erfolgte der Spatenstich für das Bauprojekt „Atomkraftwerk Zwentendorf“. In Niederösterreich an der Donau entstand der erste große Leistungsreaktor des Landes. Es war auch der letzte, denn während der Bauphase formierte sich breiter Widerstand. 1975 gründete sich die „Initiative österreichischer Atomkraftwerksgegner“. 1976 sorgte ein Hungerstreik von Müttern aus Vorarlberg vor dem Kanzleramt für Aufsehen. Die dem Atomprogramm positiv gesonnene Regierung wollte mit einer Volksabstimmung, der überhaupt ersten im Land, die Inbetriebnahme des AKW politisch manifestieren. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky rechnete mit einem Durchmarsch für sein Atomprogramm. Eine monatelange, erbitterte Auseinandersetzung zwischen den aus Industrie, Gewerkschaften oder Politik stammenden Befürwortern und einer stetig wachsenden Anti-Atom-Bewegung begann.
Am geschichtsträchtigen 5. November 1978 verlas Innenminister Erwin Lanc um 19.30 Uhr das überraschende Ergebnis: „Ja: 1.576.839 Stimmen oder 49,53 Prozent, Nein: 1.606.308 Stimmen oder 50,47 Prozent. Das im Parlament zur Volksabstimmung vorgelegte Gesetz ist damit gefallen.“ Als weltweit einziges Atomkraftwerk wurde Zwentendorf zwar fertig gebaut, aber niemals in Betrieb genommen. Noch im Dezember 1978 wurde das „Atomsperrgesetz“ beschlossen, das den künftigen Bau neuer AKW verbot. Damit steht das AKW wie kein anderes Bauwerk für eine Zeitenwende in der österreichischen Energiepolitik.
91% wollen 100% Erneuerbare Energien
In der Folge engagiert sich Österreich bis heute vergleichsweise stark gegen Atomenergie. So wurde von dem Land 2012 eine Petition für den EU-weiten Ausstieg mitinitiiert. Gegen die Pläne, das britische AKW Hinkley Point mit staatlichen Subventionen zu ermöglichen, zog man vor Gericht. Auch gegen den Fortbestand des „Euratom“-Vertrags geht das Land vor. 91 Prozent der Österreicher*innen haben in einer repräsentativen Umfrage Anfang diesen Jahres die Politik aufgefordert, rasch die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen, um Österreich zu 100 Prozent mit erneuerbarem Strom zu versorgen.
Kritiker*innen weisen darauf hin, dass sich zwar 40 Jahre nach Zwentendorf niemand „auch nur leise“ für Atomkraftwerke aussprechen würde. Dennoch beinhaltet der Strommix heute über das EU-Verbundnetz noch Energie aus Reaktoren der Nachbarländer wie Frankreich, der Schweiz oder Deutschland. Eigentlich stellt eine Stromkennzeichnungspflicht sicher, dass Atomstrom als solcher gekennzeichnet werden muss. Es ist aber nach wie vor möglich, mit Wasserkraftzertifikaten aus dem Ausland Atomstrom „sauberzuwaschen“ und in Österreich als Strom aus Wasserkraft zu verkaufen. Berücksichtige man diese Verkaufstaktik, liege der Atomstromanteil in Österreich zwischen 6 und 16 Prozent, berechnet die IG Windkraft.
Sonnenenergie vom Reaktordach mit bitterem Beigeschmack
Auf dem Gelände des AKW Zwentendorf wurde 2012 eine Photovoltaik-Anlage mit einer Leistung von 450 Kilowatt (kW peak) in Betrieb genommen, an der sich im Rahmen des Beteiligungsmodells „Sonnenkraftwerk Zwentendorf“ viele Bürger*innen beteiligen konnten. Passend dazu machte Greenpeace kürzlich mit einem großen Banner „Solarkraft - ja bitte!“ am Reaktorgebäude auf das Jubiläum aufmerksam. Trotz aller Bemühungen sei man „nach wie vor von gefährlichen AKWs in unseren Nachbarländern eingekesselt“, warnt dabei Adam Pawloff, Klima- und Atomexperte von Greenpeace in Österreich. In der Europäischen Union einschließlich der Schweiz gibt es rund 135 Atomreaktoren. 27 davon stehen in Nachbarländern Österreichs. Die Lebensdauer von unrentablen und gefährlichen AKWs wie Dukovany, Paks oder Krsko könnte durch staatliche Beihilfen in Milliardenhöhe, sogenannte Kapazitätszahlungen, noch künstlich verlängert werden.
„Atomenergie ist nicht nur die teuerste, sondern auch die gefährlichste Form der Stromerzeugung überhaupt. Es kann nicht sein, dass Regierungen in der EU Milliarden an Steuergeldern in Schrottreaktoren pumpen, anstatt sie vom Netz zu nehmen“, forderten die Aktivist*innen in Zwentendorf.
Das Reaktorgebäude von Zwentendorf dient allerdings noch einem anderen Zweck: Zwar verkaufte die Verwertungsgesellschaft zum Beispiel die Brennstäbe. Ein großer Teil der fertigestellten Technik blieb bis heute aber erhalten und dient unter anderem AKW-Betreibern aus aller Welt als „realistisches Schulungszentrum“. Hier sind „Bereiche zugänglich, die sonst für Menschen aufgrund von hoher Radioaktivität nur unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen begehbar wären“, wirbt der Betreiber. So unterstützt also Zwentendorf die AKW-Konzerne in aller Welt beim Weiterbetrieb ihrer Atomanlagen.
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Quellen (Auszug): zwentendorf.com, sn.at, igwindkraft.at, greenpeace.org; 2./3./4.11.2018