Reaktoren sind „abgenutzt und anfälliger“

11.10.2018 | Jan Becker

Risikoforscher*innen weisen darauf hin, dass Atomkraftwerke am Anfang und am Ende ihres Betriebes riskanter sind. Eine ganze Reihe von Defekten in verschiedenen Anlagen untermauern diese These.

 

AKW Gundremmingen

 

Am Anfang des Betriebs eines AKW fehlen noch Erfahrungen und manche Einstellungen stimmen noch nicht, so die Ergebnisse der Untersuchungen. Am Ende sind die Anlagen „abgenutzt“. Weil die endgültige Abschaltung greifbar wird, sparen die Betreiber bei Wartungsarbeiten, Umrüstungen oder technischen Neuerungen - es wird „nur noch das Nötigste gemacht“. Ein 2014 veröffentlichter Report von Greenpeace zeigte: Die Überalterung der Meiler erhöht die Gefahr eines schweren Unfalls.

Auch das Atomkraftwerk Gundremmingen ist „abgenutzt und anfälliger“ hinsichtlich künftiger Defekte. Vermutlich wird wegen der prekären Situation des Betreibers RWE, nachdem die unsinnigen Kohleabbau- und Rodungspläne im Hambacher Wald zu herben Aktienverlusten führten, „an allen Ecken gespart“, beklagen Atomkraftgegner*innen nach der Meldung eines neuen Defektes vorletzte Woche. Bei Instandhaltungsmaßnahmen war im Zwischenkühlsystem, einer zusätzliche Barriere zwischen dem Nebenkühlwasser- und dem nuklearen Nachkühlsystem, ein Leck in einem Wärmetauschrohr festgestellt worden. RWE wies alle Vorwürfe zurück, es würde bei der Wartung gespart. Die Faktenlage ändere sich auch dadurch nicht, „dass man ständig dieselben Vorwürfe wiederholt“, so Konzernsprecher Jan Peter Cirkel.

Dass mit dem Alter der Anlagen das Risiko von Defekten ansteigt, untermauern andere Vorfälle in verschiedenen Anlagen:

Ein defekter Schalter war Ursache für den Ausfall einer sicherheitsrelevanten Pumpe im norddeutschen Atomkraftwerk Brokdorf. Die betroffene Maschine dient im doppelt aufgebauten Notnachkühlsystem zur Abführung der ungeheuren Wärmemengen im Reaktor, sollte es zu einer Notabschaltung kommen und das herkömmliche Kühlsystem nicht zur Verfügung stehen. Nach Angaben der PreussenElektra-Betreibergesellschaft hat ein „defekter Hilfsschalter“ den Start der Pumpe verhindert. Eine Reparatur war nötig.

Nicht ganz in das Raster „Alterung der Anlage“ passt eine kürzliche Meldung aus dem AKW Isar-1. Sie lässt jedoch auf eine „Alterung der Qualität“ schließen, man könnte auch „Schlamperei“ sagen:

Während der Beladungskampagne von Castor-Behältern mit hochradioaktiven Brennelementen wurden welche verwechselt. Anstatt in den vorgesehenen Behälter wurde ein Brennelement von der Kraftwerksmannschaft in einen anderen Behälter geladen. Das klingt nicht weiter schlimm, wobei Betreiber PreussenElektra unterstreicht, die Brennelemente hätten „vergleichbare Eigenschaften“.

Wegen des enormen Gefährdungspotentials, das von einem Atomkraftwerk ausgeht, müssen alle Abläufe meist in Zusammenarbeit mit externen Expert*innen und Behörden genauestens geplant, dokumentiert und entsprechend umgesetzt werden. Das hat im AKW Isar nicht funktioniert. Deshalb handelt es sich bei dieser „Verwechslung“ auch um einen Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen.

Stilllegen!

Um den RWE-Sprecher aufzugreifen: Erfahrungen aus der Vergangenheit beweisen das Gegenteil. Nur die ständige Wiederholung der Fakten um unzureichende Risikovorsorge gegen einen Super-GAU, der Hinweis auf Störfälle, fehlende Perspektiven zur Atommülllagerung, mangelhaften Beitrag zum Klimaschutz und unnötigen Weiterbetrieb wegen der angeblichen „Versorgungssicherheit“ bringen am Ende den notwendigen Druck aus der Öffentlichkeit für politische Veränderungen. Die Konzerne selbst würden ihre Kraftwerke betreiben, bis sie auseinanderfallen (bzw. mit ihnen kein Geld mehr zu machen ist).

„Das AKW Gundremmingen endgültig abschalten und die Energiewende konsequent vorantreiben!“, fordert richtigerweise Raimund Kamm, Vorstand des FORUM Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V.

weiterlesen:

  • Risiko-Verlängerung: Goldesel Isar-2 soll weiterlaufen
    26.09.2018 - Als drittes Atomkraftwerk weltweit hat Isar-2 350 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert, berichtet Betreiber Preußen Elektra stolz. An diesem Goldesel will auch die Stadt München, der ein Viertel des Kraftwerks gehört, noch ein paar Jahre länger mitverdienen. Ein Deal macht die Risiko-Verlängerung möglich.

  • Radioaktives Leck in Neckarwestheim & Temelin
    19.09.2018 - Weil Reparaturarbeiten nötig sind, wird sich die Revision im Atomkraftwerk Neckarwestheim-II um mehrere Wochen verlängern. Parallel musste das Kraftwerk eine Leckage im Primärkreislauf melden. In Tschechien floss radioaktives Wasser in ein Kanalnetz statt in dafür vorgesehene Sammelbehälter.

  • Atomunfall – sicher ist nur das Risiko
    Ob technischer Defekt oder Flugzeugabsturz, Materialermüdung oder Unwetter, Naturkatastrophe oder menschliches Versagen – in jedem Atomkraftwerk kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen. Ein Super-GAU bedroht Leben und Gesundheit von Millionen.

Quellen (Auszug): dpa, wdr.de, br.de, wn.de, preussenelektra.de, brf.be, faktenfinder.tagesschau.de, atommuell-lager.de, schleswig-holstein.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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