40 Jahre Volksentscheid gegen das AKW Zwentendorf: Von einem der letzten zum ersten Industrieland ohne AKW
Mitte der 1950er Jahre herrschte eine richtige „Atomeuphorie“. Jedes Land, das etwas auf sich hielt, baute Kernforschungszentren und begann Atomkraftprojekte. 1956 wurde die Österreichische Studiengesellschaft für Atomenergie gegründet und 1960 der erste Forschungsreaktor in Seibersdorf errichtet. 1971 begann der Bau des ersten AKWs, in Zwentendorf an der Donau, 50 Kilometer vor Wien.
Drei Atomkraftwerke waren geplant
Die frühen Kritiker*innen, meist alte Herren, wie etwa ein pensionierter Energiewirtschaftler, schmähte man als Fortschrittsfeinde und verglich sie mit jenen, die einst gegen die Eisenbahn protestiert hatten. Doch mit weiteren AKW-Projekten – geplant waren damals insgesamt drei Meiler – entstanden zahlreiche Bürgerinitiativen und Verbände, die basisdemokratisch organisiert waren, wie die Initiative Österreichischer Atomkraftwerksgegner (IÖAG) oder die Wiener Organisation gegen Atomkraftwerke (WOGA). Früh und intensiv entwickelte sich der Widerstand in Vorarlberg, wo man sich auch gegen das geplante grenznahe Schweizer AKW Rüthi engagierte. Im Waldviertel, wo Atommüll-Lager geplant waren, gab es massiven Widerstand in der Bevölkerung.
1975 war der Baubeginn für das AKW Stein/St. Pantaleon bei Linz geplant und es entstand eine starke Gegenbewegung. Der Baubeginn wurde nicht zuletzt deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben und der Widerstand fokussierte sich auf das in Bau befindliche AKW Zwentendorf.
1976 begann die Regierung eine Informationskampagne Kernenergie, die insofern vorbildlich war, als auch Kritiker*innen einbezogen wurden. Es gab insgesamt zehn Themenbereiche, die kontrovers behandelt wurden. Die „Zusammenfassung“ der Ergebnisse, als Grundlage der parlamentarischen Entscheidung, war allerdings eine reine Propagandaschrift.
Vom Volksentscheid zum politischen Anti-Atom-Konsens
Nach vielen Diskussionen, Kundgebungen und großen Demonstrationen sowie Forderungen nach einer Volksabstimmung geriet die Regierung unter Druck und kündigte eine Volksabstimmung an – wobei sie davon ausging, eine klare Zustimmung zu ihren Atomplänen zu erhalten. Doch zur Überraschung vieler erteilten die Österreicher*innen in der Volksabstimmung am 5. November 1978 der Atomkraft trotz millionenschwerer Propaganda und Meinungsmache eine Absage. Bei einer Wahlbeteiligung von 64 % stimmten 49,53 % mit Ja, 50,47 % mit Nein. Weniger als 30.000 Stimmen brachten die Entscheidung. Das bereits fertig gestellte Atomkraftwerk ging daraufhin nie in Betrieb.
Am 15. Dezember 1978 verabschiedete das Parlament einstimmig das Atomsperrgesetz, das Bau und Inbetriebnahme von AKW in Österreich verbietet. So wurde Österreich von einem der letzten Industrieländer ohne Atomenergie zum ersten Industrieland ohne Atomkraft. Wenige Monate später kam es zum Reaktorunfall im AKW Three Mile Island in den USA.
Aus dem knappen Sieg bei der Volksabstimmung sind wesentliche Lehren zu ziehen: Auch wenn die Erfolgchancen gering erscheinen, ist es wichtig, sich zu engagieren. Jeder Beitrag war entscheidend. Tausende Aktivistinnen und Aktivisten konnten zu Recht behaupten: Ohne meine Beiträge wäre der Erfolg nicht möglich gewesen!
Da Bundeskanzler Bruno Kreisky stark für ein „Ja“ geworben hatte und so manche/r Befürworter*in deshalb mit „Nein“ gestimmt hat, meinen manche, dass ohne Kreiskys Einsatz die Volksabstimmung mit „Ja“ ausgegangen wäre. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Wenn Kreisky sich nicht vehement für die Inbetriebnahme eingesetzt hätte, wären die meisten SPÖ-Stammwähler*innen zu Hause geblieben und das Ergebnis wäre ein noch klareres „Nein“ geworden.
Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurde die Ablehnung der Atomenergie in Österreich politischer Konsens, 1999 bekam das Atomsperrgesetz Verfassungsrang. Heute tritt die österreichische Regierung bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und bei der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) bisweilen gegen Atomkraft auf, aus der Sicht der Anti-AKW-Bewegung allerdings zu hasenherzig.
Die von der Anti-AKW-Bewegung seit Mitte der 1970er Jahre propagierte Energiewende ist bisher weitgehend hintertrieben worden. Bis zum Jahr 2000 war Österreich Netto-Stromexporteur. Seither ist der Stromverbrauch deutlich gestiegen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien deckt das nur etwa zur Hälfte ab. Den Restbedarf füllen Importe – und die sind nicht zwingend atomstromfrei.
Autor: Peter Weish
Dieser Text erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin 41, Oktober 2018