Zurück auf Los?

14.09.2018 | Armin Simon
Das Mega-Projekt ITER ist weiterhin im Bau
Foto: iter.org


Reaktorkonzepte der „Generation IV“ sollen die ungeliebte Atomkraft wieder salonfähig machen. „Sicher, sauber, billig“ lautet das Versprechen. Tatsächlich lösen die Nuklearvisionen keines der zahlreichen Atom-Probleme. Und die meistgehypten neuen AKW-Modelle liefern sogar Rohstoff für Atombomben frei Haus

Der Präsident des deutschen Atomforums nahm kein Blatt vor den Mund. Deutschland, forderte Ralf Güldner unlängst auf einem Treffen der Atombranche, müsse sich auch nach Abschalten des letzten AKW weiter „an der Reaktorentwicklung beteiligen“. Reaktorentwicklung? Neue Reaktoren? Geht das alles nochmal los?

Es gibt nicht wenige, die genau daran glauben. Magazine und Fernsehsender berichten darüber. Über Startups, die Reaktoren planen. Über Atomkraft ohne Atom-Probleme. Keine Gefahr, kein gefährlicher Müll, keine horrenden Kosten, dafür ganz viel Energie. Dank der neuen wellenkugeldualfluidbrüterflüssigsalzmolekularen Superdupermeiler „Generation IV“. Es sind dieselben Versprechungen, welche die Atomlobby schon in den 1950er-Jahren machte. Tatsächlich war die erste Generation der Atommeiler von alldem weit entfernt, die zweite – die heute laufenden Reaktoren – ebenso: Tschernobyl und Fukushima lassen grüßen. „Generation III“, zu der etwa der „Europäische Druckwasserreaktor“ EPR zählt, der in Finnland und Frankreich schon beim Bau wegen gravierender Sicherheitsmängel und exorbitanter Kosten für Schlagzeilen sorgt, bricht die inzwischen jahrzehntealten Versprechen noch immer. Ausgerechnet „Generation IV“ aber soll sie nun erfüllen. Jedenfalls beteuern das all jene, die auf einen neuen Atom-Boom setzen.

Alte Ideen, neu aufgelegt

Im „Generation IV International Forum“ (GIF) haben sie sich im Jahr 2000 zusammengeschlossen, 13 Staaten sind inzwischen Mitglied, darunter die USA, Frankreich, Russland, China und Großbritannien, dazu noch Euratom. Aus den unzähligen theoretisch denkbaren Reaktortypen haben sie eine Handvoll Ideen ausgewählt, die sie weiter verfolgen wollen.

Neu sind die allerdings alle nicht. Der Flüssigsalzreaktor etwa, eines der am meisten gehypten Modelle, stammt aus den 1950er-Jahren. Ziel damals war ein atomarer Flugzeug-Antrieb; so weit aber kam es nie: Erfolgsversprechender schienen auch den Atomjet-Entwickler*innen bald andere Reaktormodelle (deren gigantische Prototypen sie am Ende auf einen Parkplatz in der Wüste von Idaho verfrachteten; siehe Foto). Ein stationärer Flüssigsalzreaktor lief immerhin zwei Jahre. Danach war klar: Das Salz verursacht immense Korrosionsprobleme, zudem ist die Strahlenbelastung aufgrund der vielen Spaltprodukte hoch und es entstehen große Mengen radioaktiven Tritiums, die unaufhaltbar in die Umgebung entweichen. Die US-Regierung stoppte das Projekt.

Atomjet Prototyp 1950er-Jahre
Foto: Idaho National Laboratory
Prototyp eines Atomjets in den 50er-Jahren in Idaho (USA)

Oder der Kugelhaufenreaktor, dessen Exemplare in Jülich und Hamm-Uentrop es mit gravierenden Störfällen zu zweifelhafter Berühmtheit gebracht haben. Nachdem ein Wiederbelebungsversuch der Technik in Südafrika scheiterte, hat nun China einen – 30 waren angekündigt – 250-Megawatt-Meiler in Bau. Aus Kostengründen haben die Konstrukteur*innen darauf verzichtet, ihn mit einer Schutzhülle (Containment) zu versehen.

Oder der schnelle Brüter, mit brennbarem Natrium im Kühlkreislauf. Sein Prototyp in Kalkar ging aufgrund schwerwiegender Sicherheitsprobleme nie in Betrieb. Die teuerste Bauruine Deutschlands beherbergt heute den Freizeitpark „Kernwasser-Wunderland“, der Strom verbraucht statt erzeugt. Der französische Schnellbrüter „Superphénix“, gelistet als kommerzieller Reaktor, lag in seinen elf Betriebsjahren die meiste Zeit still.
 

"Dual-Myth-Reaktor: Das Illusionskraftwerk"
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Die Jünger*innen der neuen Atom-Technik ficht das alles nicht an. Bis heute gibt es kein einziges funktionierendes AKW der Generation IV, nicht mal einen Prototyp-Reaktor – bloß Skizzen, Konzepte und, ja, zwei Baustellen. Die immensen materialtechnischen Probleme der meisten Reaktortypen sind völlig ungelöst. Dennoch will etwa das US-Energieministerium bis 2050 AKW der Generation IV mit zusammen 75 Gigawatt im Land am Netz sehen – das wäre mehr als die komplette AKW-Kapazität Frankreichs.

Reaktoren vom Fließband

Noch einmal so groß soll der US-Kraftwerks-park aus „Small Molecular Reactors“ (SMR) werden, dem aktuell zweiten Branchenhype: kleine, modulare Reaktoren, die sich quasi am Fließband fertigen und dann als komplette Einheit per Schwertransport ausliefern lassen. Den bisherigen Trend der Reaktorbauer, immer größere Meiler zu konstruieren, um die Kosten zumindest einigermaßen in den Griff zu kriegen, dreht das genau um. Nicht mehr groß, sondern klein soll nun billig sein. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, ist zwar offen. Klar ist aber, dass sie kaum ohne nennenswerte Abstriche an Sicherheitssystemen aufgehen kann – diese sind es schließlich, die die Kosten für neue Reaktoren so in die Höhe treiben.

Erstaunlich viele Firmen kaprizieren sich auf das SMR-Modell; die britische Regierung hat gar einen millionenschweren Wettbewerb dazu ausgerufen. Sie will die Entwicklung von drei bis vier entsprechenden Reaktorkonzepten fördern und so die heimische Atomindustrie wieder exportfähig machen. Mit an Bord ist neben dem U-Boot-Reaktorbauer Rolls-Royce und einigen Atom-Startups auch ein Ableger des Urananreicherers Urenco, an dem RWE und Eon Anteile halten.

Was die Größe der modularen Anlagen angeht, ist die Spannbreite groß. U-Battery etwa, der Urenco-Ableger, plant ein mehr oder weniger autark zu betreibendes 4-Megawatt-„Mikro-AKW“, das US-Startup Nuscale hingegen ein 60-Megawatt-Modul, von dem bis zu zwölf in Serie geschaltet die Turbinen eines großen Kraftwerks antreiben sollen. In der Diskussion als modulare kleine Anlage sind alle möglichen Reaktortypen; die konkreteren Projekte jedoch sind letztlich herkömmliche Druckwasserreaktoren. Das schwimmende russische AKW Akademik Lomonosov etwa, das Ende April in See stach, ist ein Schiffsreaktor, wie er auf russischen Atom-Eisbrechern seit Jahrzehnten im Einsatz ist. Andere, wie der von NuScale geplante oder das in Bau befindliche argentinische AKW Carem‑25, sind sogenannte integrierte Meiler, bei denen etwa die Dampferzeuger und der komplette Primärkreislauf im Reaktordruckbehälter stecken, was sicherheitstechnische Vorteile bieten soll. Sowohl die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO als auch die Atomenergie-Agentur der OECD (NEA) halten jedoch fest, dass die SMR ihre angeblich besonders hohe Sicherheit und Zuverlässigkeit erst einmal im Betrieb demonstrieren müssten. Und das Öko-Institut weist in einer Studie zu den neuen Reaktorkonzepten darauf hin, dass für die sogenannten passiven Sicherheitssysteme, die ohne Energiezufuhr von außen funktionieren sollen, zunächst Methoden entwickelt werden müssen, mit denen ihre angebliche Zuverlässigkeit beurteilt werden kann – vor allem auch in Extremsituationen.

Reaktorentwicklung in Karlsruhe

Zentrum der Forschung an „Generation IV“-Reaktoren in Deutschland ist Karlsruhe: Auf dem Gelände des früheren Kernforschungszentrums unterhält die Europäische Kommission beziehungsweise Euratom ein „Joint Research Center“ (JRC) der Atomforschung. Dieses forscht unter anderem daran, wie sich Uran‑233, das in mit Thorium betriebenen Flüssigsalzreaktoren entsteht, aus dem Reaktorkreislauf entfernen lässt. Dies ist Voraussetzung für den Betrieb solcher Reaktoren, stellt aber zugleich eine immense Proliferationsgefahr dar, denn das dabei gewonnene Uran‑233 ist besonders einfach waffenfähig (siehe Interview unten).

„Wer auf Thorium setzt, kann gleich Atombomben verteilen“, drückt es Thomas Partmann aus. Der pensionierte Wissenschaftler setzt sich im „Karlsruher Bündnis gegen neue Generationen von Atomreaktoren“ dafür ein, den Schleier über der Atomforschung in Karlsruhe zu lüften und insbesondere die Gefahren der hier verfolgten Thorium-Technologie öffentlich bekannt zu machen.

Die Euphorie mancher Presseberichte über die schöne neue Reaktorwelt teilen die Autoren der Öko-Institut-Studie nicht. Zwar könnten einzelnen Konzepte in einzelnen Aspekten unter Umständen besser abschneiden als die bisherigen Reaktoren. Erkauft werde das in der Regel aber mit Nachteilen bei anderen Aspekten. Den selbst formulierten Anspruch der „Generation IV“-Verfechter*innen, Reaktoren zu entwickeln, die sicherer, sauberer und billiger sind als die bisherigen, könne jedenfalls keine der diskutierten Techniken einlösen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 40, August 2018

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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