Wegen eines angeblichen „öffentlichen Interesses“ soll der Bau des neuen Atomkraftwerks Hinkley Point C in Großbritannien massive staatliche Unterstützung erhalten. Das Interesse hinter den wirtschaftlich absurden AKW-Bauten ist aber offenbar die Atombombe. Österreich will erneut vor Gericht ziehen.
Eine staatliche Unterstützung für den Bau des neuen Atomkraftwerks in England sei „grundsätzlich durch den EURATOM-Vertrag gerechtfertigt“, urteilten die Richter*innen des Europäischen Gerichts (EuG). Das 1957 von Deutschland, Frankreich, Italien und den Beneluxstaaten unterzeichnete Abkommen dient vorrangig und bis heute unverholen der „Förderung des Fortschritts auf dem Gebiet der Atomenergie“. Nach dem „Brexit“ hat Großbritannien den Austritt aus dem EURATOM-Vertrag angekündigt.
Für das Hinkley-Projekt genehmigte die Europäische Kommission 2014 drei Beihilfen. Einen Fixabnahmevertrag über 35 Jahre zum überhöhten Strompreis von 92,5 Pfund (ca. 100 Euro) pro Megawattstunde, einer Kreditgarantie über 17 Milliarden Pfund (ca. 20 Milliarden Euro) sowie der Entschädigungszusage, falls zukünftige Regierungen das Kraftwerk früher schließen lassen wollten.
Kritiker*innen sehen durch diese Zusagen eine ungerechtfertigte Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Strommarkt. Investitionen in Atomkraftwerke seien „rein marktwirtschaftlich nicht darstellbar“, weil sie viel zu riskant und gleichzeitig unwirtschaftlich sind, so die Organisation GLOBAL 2000.
„Die komplexe Rechtsmaterie betrifft im Grunde die Förderwürdigkeit von Atomkraftwerken, also ob diese aus Steuergeldern hohe Subventionen erhalten sollen, nicht nur wie ohnehin geschieht für die Atom-Unfall-Haftung, den Abriss und die Endlagerung des hochradioaktiven Mülls für Jahrtausende, sondern nach Willen der Europäischen Kommission eben auch für den Neubau von Atomkraftwerken in Europa“, erklärt Dr. Reinhard Uhrig, Atomsprecher der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000.
Sowohl die Europäische Kommission als auch die Richter*innen bestätigen sogar, dass die Kraftwerke ohne Subventionen nicht wirtschaftlich sein könnten. Argumentiert wird mit einem „öffentlichem Interesse“, diese Technologie weiter am Leben zu erhalten.
„Die Berufung der Republik Österreich ist wichtig“, so Uhrig. So würde die „fundamentale Atom-Schizophrenie der Europäischen Union“ deutlich: Während ab nächstem Jahr nur noch 13 EU-Länder Atomkraftwerke betreiben, haben 14 entweder von vornherein die Finger von der Nukleartechnologie gelassen oder sind bereits ausgestiegen. Eine Reform des EURATOM-Vertrages sei umgehend erforderlich.
Das teuerste Kraftwerk der Welt soll unbedingt gebaut werden
Schon vor Baubeginn des AKW Hinkley Point kam es zu zwei Kostensteigerungen um ca. 30 Prozent. Heute werden Gesamtkosten von rund 20 Milliarden Euro veranschlagt. Die geplante Inbetriebnahme wurde bereits um 15 Monate nach hinten verschoben auf das Jahr 2027. Kein Einzelfall, überall auf der Welt wird der Bau der wenigen neuen Reaktoren teurer als angenommen. Durch altersbedingte Abschaltungen oder unwirtschaftlichen Betrieb verliert Atomkraft zusätzlich an Bedeutung.
Nach Angaben des kürzlich veröffentlichten World Nuclear Industry Status Report 2018 ist das Interesse am Erhalt der Atomenergie aber ein anderes als angeblich günstigen Strom zu produzieren. Erstmals widmet sich der Report nämlich in einem Kapitel der Verbindung zwischen ziviler und militärischer Atomtechnologie.
Militärexperten zeigen sich zunehmend skeptisch gegenüber dem Atomausstieg, den viele Länder freiwillig oder unfreiwillig anstreben. Wie in den Anfängen der Atomenergie sei auch heute die „haupttreibende Kraft“ hinter den neuen Atomreaktoren in vielen Ländern wie Indien, Saudi Arabien, Türkei und auch Großbritannien die Atombombe und der Wunsch zur Atombombe, erklärt Hans-Josef Fell, Präsident der „Energy Watch Group“.
Wissenschaftler*innen der Universität Sussex bezeichnen in ihrer Analyse über die britische Atompolitik den geplanten Bau von neuen Reaktoren in Hinkley gar als eine „Quersubventionierung des militärischen Atomprogramms“. Die Aufrechterhaltung des zivilen Atomprogramms auf Kosten der Stromkund*innen hätte den Vorteil, den Verteidigungshaushalt zu entlasten.
„Es ist kurios: Seit zwei bis drei Jahren gibt es immer mehr Stellungnahmen von zum Teil hochrangigen Vertretern der Industrie, des Militärs und der Interessensverbände. Sie zeigen ein Interesse an der Weiterführung der Atomkraft, weil sie davon profitieren, dass Leute ausgebildet werden und eine entsprechende Infrastruktur in den Ländern finanziert wird“, so Mycle Schneider, Hauptautor des Reports.
So erlebt man heute bei den Betreibern von Atomkraftwerken „eine ganz neue Argumentation“: Viele betonen gemeinsame Interessen mit den Militärs, damit die Atomkraft im Markt noch weiter bestehen kann.
Atomwaffen ächten!
Damit kennen wir einen weiteren Teil der Interessen, die hinter den offenkundig absurden Finanz-Entscheidungen stecken.
Sie abzulehnen fällt um so leichter: Die Erfindung von Atomwaffen stellte einen Wendepunkt in der Kriegsführung dar. Am 6. und 9. August 1945 fanden bekanntlich die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki statt, die hunderttausende Opfer forderten. Innerhalb kürzester Zeit kann ein Bruchteil des heutigen Atomwaffenarsenals ganze Städte zerstören und hunderttausende Menschen töten. Die Strahlung verursacht akute Strahlenkrankheit und gesundheitliche Langzeitschäden. Durch den radioaktiven Niederschlag (Fallout) werden größere Gebiete verseucht.
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Quellen: global2000.at, dw.com; wikipedia.org, worldnuclearreport.org, 6.9.2018