Sieben Jahre nach Beginn der Reaktorkatastrophe von Fukushima haben Wissenschaftler*innen alarmierende Funde gemacht. Der Betreiber glänzt hingegen mit Lobbyarbeit und will die Havarie ins Museum verbannen.
Bislang waren sich Betreiber und Expert*innen einig, dass ein Großteil der freigesetzten Radioaktivität - darunter Cäsium-134 und -137 - ins Meer gespült wurde. Dort bindet es sich an tonhaltige Materialien, wird weggeschwemmt und stark verdünnt. An der amerikanischen Küste wurden beispielsweise Konzentrationen gemessen, die nur aus Japan stammen können. Das Risiko für den Menschen durch das Cäsium wurde auf diese Weise kleingeredet.
Forscher*innen haben nun allerdings alarmierende Entdeckungen gemacht: In einem 20 Kilometer-Radius um das AKW, der nach dem GAU besonders vom nuklearen Fallout betroffen war, nahmen sie Bodenproben. Sie stellten fest, dass der größte Teil des freigesetzten radioaktiven Cäsiums (rund 78 Prozent) in kleinen glasartigen Partikeln gebunden ist. Diese seien bei den hohen Temperaturen während des Reaktorunglücks entstanden, nur wenige Mikrometer groß und nicht wasserlöslich. Bis zu 318 dieser Partikel konnten in nur einem Gramm Erde nachgewiesen werden. Die Radioaktivität der Teilchen liegt bei 10 hoch 14 Becquerel pro Kilogramm - und ist damit „extrem hoch“, berichtete Professor Satoshi Utsunomiya von der Kyushu University auf der Goldschmidt Geochemie Konferenz in Boston. Der Grenzwert für Cäsium im Trinkwasser liegt in Japan bei maximal zehn Becquerel pro Kilogramm. Die Aufnahme nur eines dieser Teilchen in den Körper wäre „ein Desaster“, so Utsunomiya.
Diese „Hotspots“ lassen sich vermutlich durch Anreicherungsprozesse, zum Beispiel durch das Herunterwaschen der Partikel von Dächern oder Bäumen, erklären. In einigen Regionen seien die Funde „Grund zu größter Sorge“, so die Forscher*innen. Diese neuen Erkenntnisse müssten Konsequenzen für die künftige Einschätzung gesundheitlicher Risiken und den Umgang mit den kontaminierten Gebieten haben.
Schwere Vorwürfe von der UNO
Nach einem Bericht von Menschenrechtsexpert*innen der Vereinten Nationen werden tausende Arbeiter*innen im havarierten Atomkraftwerk durch Strahlung „gefährdet“. Unter anderem Migrant*innen, Asylbewerber*innen und Obdachlose würden häufig über Subunternehmen etwa für Reinigungsarbeiten eingesetzt und dabei „bewusst über die hohen Strahlenwerte getäuscht“, so die UNO. Allein 2016 seien nach Angaben der japanischen Regierung mehr als 46.000 Arbeiter*innen für die Dekontaminationsarbeiten rekrutiert worden.
Sowohl der Betreiber TEPCO als auch die japanische Regierung weisen die Vorwürfe zurück. In der Vergangenheit habe es solche Vorfälle gegeben, heute gebe es aber „keine Situation mehr, die dringendes Handeln erforderlich mache“.
TEPCO leistet Lobbyarbeit
Anstatt sich mit den weitreichenden Konsequenzen des GAUs auseinanderzusetzen, glänzt der Betreiber TEPCO mit Lobbyarbeit und verkündet den „Wiederaufbau der Präfektur Fukushima“. Mit einer feierlichen Zeremonie wurde kürzlich das „J-Village“, ein Sportgelände, das seit dem Ausbruch der AKW-Krise als Stützpunkt für die Arbeitskräfte am nahe gelegenen AKW diente, wiedereröffnet. Es sei „dekontaminiert“ worden und soll nun wieder als Trainingsstätte für die japanische Fußball-Nationalmannschaft in Vorbereitung auf die Olympische Spiele 2020 zur Verfügung stehen.
Zu diesem Umgang mit der Katastrophe passt die angekündigte Eröffnung eines „Museums“. Getreu dem Motto, man habe „alles im Griff“, soll dort neben der Bewältigung der GAU-Folgen gezeigt werden, welche Konsequenzen man gezogen habe, um künftige AKW-Katastrophen „zu vermeiden“. TEPCO hatte wegen der Image-Probleme lange auf aufwändige Werbung verzichtet. Anfang des Monats präsentierte der Konzern allerdings ein neues „Maskottchen“ für Fukushima. In der thailändischen Hauptstadt Bangkok werden Menschen in Fernseh-Werbespots für die berühmten Pfirsiche der Präfektur Fukushima begeistert und zum Besuch der Obstregion einladen.
TEPCO wolle das Kraftwerksgelände „zu einer Art Vorbild für effektives Krisenmanagement stilisieren“ und so auch internationale Besucher*innen beeindrucken, werfen Kritiker*innen dem Konzern vor. Die Entfernung von Trümmern, die Abtragung von Erdschichten und die Betonierung des Bodens dienen nach Ansicht der Kritiker*innen ebenso wie die Errichtung neuer Gebäude für Verwaltung, Unterbringung und Kantinen nicht allein der Logistik der Arbeiten vor Ort. Vielmehr solle ein Bild geschaffen werden, „dass die ungelösten Probleme vergessen lässt.“
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Quellen (Auszug): heise.de, spreadnews.de, welt.de, swr.de; 15./16./20.8.2018