Die Standortsuche läuft kaum ein Jahr und bereits jetzt ist klar: Das Verfahren hat ein massives Transparenzproblem. Doch nicht nur die interessierte Öffentlichkeit tappt im Dunkeln, auch den beteiligten Behörden fehlt der Durchblick
In Phase 1 des Standortauswahlverfahrens findet die Suche nach einer Lagerstätte für 17.000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll ausschließlich am Schreibtisch statt. Rund 600.000 Datensätze haben die geologischen Landesbehörden der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bislang übermittelt. Mitte 2020 will die BGE ihre Auswertungsergebnisse in einem Zwischenbericht veröffentlichen und die Gebiete benennen, die weiter im Verfahren bleiben. Erst dann wollen BGE und das Atommüll-Bundesamt BfE der Öffentlichkeit Einblick in die Verfahrensunterlagen gewähren. Zu spät! Selbst Geolog*innen hätten dann keine Chance mehr, mit den Behörden Schritt zu halten. Sie müssten einen Informations- und Wissensvorsprung von etwa drei Jahren aufholen. Zudem ist nach wie vor unklar, in welchem Umfang BGE und BfE Akten freigeben werden. Ein umfassender und unmittelbarer Zugang zu allen Informationen, die das Verfahren betreffen, wäre jedoch eine Voraussetzung für einen Vertrauensaufbau in der Bevölkerung. Danach sieht es derzeit nicht aus. „Die Öffentlichkeit von Beginn an mitnehmen“ lautet zwar das Credo. Tatsächlich jedoch ziehen die Behörden die interessierte Bevölkerung maximal hinter sich her. Konflikte sind vorprogrammiert.
Transparenz schafft nicht nur Vertrauen, sie wäre auch die Voraussetzung für ein „lernendes Verfahren“. Diesen Anspruch stellt das Standortauswahlgesetz (StandAG) an das Verfahren. Tatsächlich sind dem angekündigten Lernwillen aber Riegel vorgeschoben. Das wird jetzt deutlich. Wenn Dritte nicht die nötigen Einblicke erhalten, können sie nicht die Impulse setzen, die ein Lernen ermöglichen. Außerdem legen BGE und BfE die Vorgaben des StandAG bislang sehr konservativ aus, um keine Verfahrensfehler zu riskieren. Etwa wenn sie nicht bereit sind, die Akteneinsicht großzügiger zu gestalten. Oder wenn die BGE Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen in zwei Schritten auswertet, obwohl allen Beteiligten bewusst ist, dass eine Zusammenfassung verfahrenstechnisch sinnvoller, weil flexibler wäre. Es stellt sich die Frage, ob das StandAG nicht grundsätzlich im Widerspruch zum Ansatz des „lernenden Verfahrens“ steht. Zumal auch die Bundesregierung den Zeitdruck gerade erst wieder erhöht hat. Obwohl der Zieltermin von vornherein unrealistisch war und das Verfahren bereits jetzt im Verzug ist, steht im Koalitionsvertrag: „An dem gesetzlich festgelegten Ziel, bis 2031 den Standort für ein Endlager festzulegen, halten wir fest.“ Damit enfällt der zeitliche Spielraum für wesentliche Korrekturen, Verbesserungen oder gar Verfahrensrücksprünge.
Das Verfahren stößt nicht nur an die eigenen Grenzen
Auf den ersten Blick ist das Auswahlverfahren in Phase 1 überschaubar: Die BGE fragt Geodaten an und die zuständigen Landesämter liefern. Danach überprüft die BGE, ob die Daten mit den Vorgaben des StandAG zusammenpassen – fast wie ein Puzzle. Tatsächlich ist die Situation jedoch alles andere als einfach, das Verfahren stößt nicht nur an die eigenen Grenzen. Neben allen geowissenschaftlichen Schwierigkeiten (siehe Seiten 16–17) erweist sich bereits die Nutzung zahlreicher Daten als schwerwiegendes Problem.
In Deutschland bleiben geologische Daten langfristig Eigentum der Unternehmen, die die Erkundungen veranlasst haben. Zwar sind die zuständigen Landesbehörden verpflichtet, der BGE auch Daten Dritter zu übermitteln, doch ohne Zustimmung der Rechteinhaber*innen können BGE und BfE sie nicht veröffentlichen. Mehr noch: es ist unklar, inwieweit die BGE überhaupt berechtigt ist, geologische Daten Dritter zu nutzen. Das Verfahren ist gelähmt, Transparenz unmöglich. Auf bürokratischen Wegen ist dieses Datenproblem nicht lösbar. Viel zu aufwendig und langwierig wäre das Unterfangen, die Zustimmungen der Rechteinhaber*innen einzuholen. Insbesondere im Ostteil des Landes müsste in vielen Fällen zunächst die Rechtsnachfolge bestimmt werden. Ein Geowissenschaftsdatengesetz könnte die Nutzung privater Daten regeln. Tatsächlich hat das Bundeswirtschaftsministerium den Auftrag, eben dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, doch das Ministerium schiebt die Aufgabe vor sich her. Geowissenschaftliche Informationen sind wertvoll, entsprechend groß sind Geheimhaltungsinteressen; die Transparenz bleibt dabei auf der Strecke.
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