Zwei AKW-Neubauprojekte sollen wiederbelebt werden, obwohl sie in der Vergangenheit schon mehrfach gescheitert sind. Immer fehlte es an Geld. Die Situation auf dem Weltmarkt hat sich nicht "gebessert", sondern im Gegenteil verschärft. Darf ein AKW kosten, was es will?
Am brasilianischen Standort Angra befinden sich zwei – die einzigen des Landes – Atomreaktoren in Betrieb. Angra-I ist ein US-Reaktor und läuft seit 36 Jahren. Angra-II hingegen wurde mit deutscher Technologie von Siemens / Kraftwerksunion (KWU) gebaut. Der Bau der Anlage geht zurück auf ein Abkommen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem brasilianischen Militärregime im Jahr 1975. Nach einer 25-jährigen Planungs- und Bauzeit, bedingt durch Finanzierungsprobleme, ging der Meiler im Jahr 2000 ans Netz.
Die Planungen für den Nachbarblock Angra-3 wurden 1975 begonnen, 1984 startete der Bau. Die Technik wurde 1985 für 750 Millionen DM in Deutschland gekauft. Ein Jahr später verhängte die Regierung wegen Korruptionsvorwürfen und staatlichen Geldmangels ein Baustopp. Die Einbauten sind seitdem in einer riesigen Halle auf dem Kraftwerksgelände eingelagert, dafür fallen jährlich 20 Millionen Dollar Kosten an. Als Reporter eine Pumpe deutschen Fabrikats aus 1984 und Rost an Bauteilen finden, meinte ein Atom-Ingenieur: Das Alter sei bei diesen Geräten „egal“. Siemens stieg aus dem Projekt aus und verkaufte seine Anteile. Damit war allein der französische Areva-Konzern Bauherr. Etwa 40 Prozent der Reaktorhülle und der nicht-nuklearen Bereiche waren bis 2013 vollendet. An den Bauplänen hat sich in den letzten 25 Jahren nicht viel verändert. Der Block ist baugleich mit Angra II und damit das älteste Projekt in Arevas Produktpalette.
Eine deutsche Hermes-Bürgschaft in Höhe von 1,3 Milliarden Euro sollte 2010 die Finanzlücke schließen. Atomkraftgegner*innen – darunter auch .ausgestrahlt – protestierten dagegen: Die geplante Reaktorhülle hält keinem Flugzeugabsturz stand, Erdrutsche sind genauso möglich wie Überflutungen. Teilweise genügt Angra III nicht einmal den Sicherheitsanforderungen, die nach dem Unfall in Three Mile Island (USA, 1979) aufgestellt worden waren. Der Reaktor bleibe in Sicherheitsaspekten „weit hinter heutigen Standards zurück“, heißt es in einem Gutachten von Greenpeace. Die deutsche Bundesregierung konnte nicht alle Zweifel ausräumen und kündigte 2012 an, „vorerst nicht über die gewünschte Kreditbürgschaft zu entscheiden“.
Die Brasilianer behaupteten dann, sie hätten die Finanzierung über die Nationale Brasilianische Entwicklungsbank „gesichert“. Die Arbeiten an Angra-3 wurden 2010 wiederaufgenommen, kamen wegen der Wirtschaftskrise in den Jahren 2015 und 2016 aber wieder zum Erliegen. Bis 2020 sollte statt des AKW massiv auf den Ausbau der Windkraft gesetzt werden.
Nun hat die brasilianische Regierung gleich drei Absichtserklärung zur Förderung der Zusammenarbeit im nuklearen Bereich unterzeichnet: Mit dem russischen Staatskonzern Rosatom, mit China National Nuclear Corporation (CNNC) und dem französischen Energieversorger Electricité de France (EDF). Alle drei Unternehmen sollen nun die „Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bei der Fertigstellung von Angra-3 und bei weiteren Projekten“ untersuchen. Es macht den Eindruck: Das AKW darf kosten, was es wolle.
Bulgarisches AKW soll wieder ausgegraben werden
Eine ähnliche Historie hat das AKW Belene in Bulgarien. Der Baubeginn von zwei Reaktorblöcken des russischen Typs WWER-1000/320 erfolgte im Jahre 1987. In den drei Folgejahren wurden etwa 40 Prozent des Reaktorblocks 1 fertiggestellt und 80 Prozent der Ausrüstung geliefert. 1990 wurde der Bau aufgrund Geldmangels und nach Bürgerprotesten eingestellt.
Dreizehn Jahre später fand sich ein Konsortium, das den Reaktor fertigstellen wollte. Die Regierung gab 2006 dem russischen Unternehmen Atomstroiexport grünes Licht. Auch hier waren wieder deutsche Firmen mit im Geschäft: Das Joint Venture von Siemens und AREVA sollte die Sicherheitsleittechnik liefern, der deutsche Energiekonzern RWE sollte zukünftiger Teileigentümer werden.
2008 wurden Verträge unterzeichnet und die Gesamtkosten auf über 3,9 Milliarden Dollar beziffert. Im Laufe der folgenden Jahre nahmen allerdings zwölf internationale Banken, darunter Deutsche Bank, Commerzbank und HypoVereinsbank Abstand von einer Finanzierung des Projektes. Atomkraftgegner*innen - darunter auch .ausgestrahlt - hatten international Proteste organisiert und u.a. auf die Erdbebengefahr in der Region hingewiesen. Die Kostenprognosen waren auf bis zu 10 Milliarden Euro gestiegen. Das Projekt war damit wieder gescheitert. Im März 2012 wurden ein offizielles Baumoratorium beschlossen. Mit dem Wunsch nach einem westeuropäischen Investor wurde 2013 auch der Weiterbau durch Russland abgelehnt. Stattdessen sollte in Belene ein Gaskraftwerk entstehen.
2016 mussten allerdings über 500 Millionen Euro für bereits georderte Ausrüstung an Russland gezahlt werden, täglich werden über 150.000 Euro Zinsen fällig. Die bulgarische Regierung versuchte ohne Erfolg, Teile der Kraftwerksanlagen an den Iran zu verkaufen. In der Folge nahm das Belene-Projekt neue Fahrt auf. Kürzlich hat das bulgarische Parlament das Energieministerium mit 172 Ja- zu 14 Neinstimmen bei 2 Enthaltungen beauftragt, Anstrengungen zum Neubauprojekt Belene zu unternehmen. Das AKW solle ohne staatliche Unterstützung von Privatfirmen errichtet werden. Einen „strategischen Investor“ gibt es allerdings nicht. China hat in der Vergangenheit bereits mehrmals Interesse bekundet. Doch Bulgarien will einen europäischen Investor.
Dürfen AKW „kosten was sie wollen“?
Es macht den Eindruck, diese Atomkraftwerke dürfen kosten „was sie wollen“. Ganz offensichtlich sind sie schon während ihrer Errichtung ein finanzieller Wahnsinn. Der Betrieb ist bekanntlich unwirtschaftlich und in den Analysen fehlt eine realistische Berechnung der Kosten für die Atommülllagerung. Weder Brasilien noch Bulgarien haben eine Idee, wie sie mit den strahlenden Abfällen langfristig verfahren wollen. Speziell in Bulgarien ist zudem unklar, wer den Strom aus den AKW überhaupt abnehmen soll. Denn Bulgarien ist bereits Stromexporteur – und die Nachbarländer haben ebenfalls keinen Bedarf.
Es bleibt also die Frage: Warum sollen diese AKW gebaut werden? Die Antwort: aus Machtinteresse, für das Prestige, zu den wenigen großen Atomnationen zu gehören und am Ende auch wegen der Möglichkeit, potenziell Atomwaffen bauen zu können.
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Quellen: de.wikipedia.org, tagesspiegel.de, nuklearforum.ch; 28.04.2013 / 13./14.06.2018