Die Bauverzögerung im finnischen Olkiluoto, wo nach Willen der Atomlobby ein „Vorzeige-AKW“ gebaut werden soll, beträgt nach einer Korrektur der Planungen mindestens ein Jahrzehnt. Zeit für einen Schlussstrich.
Ein deutsch-französisches Konsortium aus AREVA (damals Framatome) und Siemens priesen Anfang der 90er Jahre die neue Reaktorgeneration, den „Europäischen Druckwasserreaktor“ (EPR), als die Zukunft der Atomtechnologie an. Mit dem ersten Bauprojekt seit der Tschernobyl-Katastrophe sollten viele weitere profitable Aufträge generiert werden. Siemens zog sich aus dem Geschäft zurück. 20 Jahre später muss die Atomlobby auf ein Fiasko zurückblicken. Die Kosten sind explodiert, bei beiden europäischen Neubauten (Olkiluoto in Finnland und Flamanville in Frankreich) gibt es massive Probleme. Über den dritten Bau von EPR-Meilern im chinesischen Taishan gibt es kaum kritische Informationen.
Probleme bei „Warmtests“
Auf der Baustelle in Finnland hat der Betreiber erneut Verzögerungen gemeldet: Die auf Mai 2019 angesetzte kommerzielle Inbetriebnahme wird sich bis mindestens September 2019 verschieben. In seinem Newsletter vom April 2018 meldet Betreiber TVO, dass in den letzten vier Monaten mit den „Warmtests“ begonnen wurde. Dabei werden die Anlagenkomponenten unter Bedingungen geprüft, die beim späteren Betrieb auftreten, jedoch noch ohne Atombrennstoff. Wegen „Verzögerungen bei den Warmtests“, konkreter: 50 Tage länger als geplant, wartet der Betreiber nun auf einen „überarbeiteten Zeitplan vom Lieferantenkonsortium Areva-Siemens“. Was bei den Warmtests nicht nach Plan gelaufen ist, dazu liefert TVO keine Informationen. Allerdings zu den Folgen: In den nächsten Monaten werde nun „ein Paket notwendiger Änderungen umgesetzt“.
Noch 1/2 Milliarde teurer
2005 wurde dem Betreiber das AKW „schlüsselfertig“ zum Festpreis von drei Milliarden Euro versprochen. Die Inbetriebnahme war für 2009 zugesagt und wurde aber sehr früh immer wieder korrigiert. Bis heute sind die Kosten auf ein Dreifaches angestiegen. Seit 2009 stritten Betreiber und Baukonsortium jahrlelang über Entschädigungszahlungen. Zuletzt vor einem Schiedsgericht in Paris. Das Baukonsotium forderte, dass TVO wegen zu hoher Ansprüche sowie „übertriebener Sicherheitsauflagen der finnischen Strahlenschutzbehörde“ einen Teil der Kosten auf den finnischen Steuerzahler abwälzt. Im Mai 2016 wurde bekannt, dass TVO Areva auf 2,6 Milliarden Euro Schadensersatz bezüglich der Verspätung, Areva hingegen TVO auf 3,4 Milliarden Euro für Mehrkosten verklagt hatte. Unter anderem diese finanziellen Belastungen sorgten für eine Aufspaltung von AREVA und Rettung auf Staatskosten - was die Vermutung nährte, der Bau in Finnland müsse aufgegeben werden.
Im März diesen Jahres einigten sich TVO und AREVA/Siemens allerdings außergerichtlich: Das Milliardengrab wurde damit für die angeschlagenen Atomfirmen „nur“ um knapp eine halbe Milliarde Euro teurer. Die Gesamtverluste belaufen sich damit vermutlich auf mehr als sieben Milliarden Euro. Die aktuellen Verzögerungen noch nicht eingerechnet. Eine Inbetriebnahme nach Jahresende 2019 würde die Baufirmen eine zusätzliche Vertragsstrafe von bis zu 400 Millionen Euro kosten.
Deutsche Brennstäbe geliefert
Laut der korrigierten Planung soll der Reaktor nun im Januar 2019 mit Brennelementen beladen werden. Bis Februar 2018 wurden dafür 241 Brennelemente und vier Ersatzbrennelemente angeliefert. Nach Recherchen von Atomkraftgegner*innen erfolgte der Transport in mindestens fünf Chargen. Im Dezember 2017 wurde die Verladung von fünf LKW im Hamburger Hafen auf den Atomfrachter „Link Star“ der finnischen Reederei „Godby Shipping“ beobachtet. Lieferant ist die umstrittene Brennelementefabrik in Lingen.
Zeit für einen Schlußstrich
Ein Blick auf die Kosten entlarvt den Wahnsinn, der hier betrieben wird. Zehn Jahre Verzögerung und eine Verdreifachung der Kosten rechtfertigen es nicht, dieses angebliche „Prestigeprojekt“ auf Kosten der Steuerzahler durchzusetzen. Wie alle anderen Meiler wird der EPR während des geplanten Betriebs zu einer Dauerbedrohung. Auch in den „neuen AKW“ existiert das „Restrisiko“ eines schweren Störfalls, das ganze Regionen unbewohnbar macht. Finnland gibt als einziges Land auf der Welt zwar vor, mit tiefen Löchern, die in Granitgestein gebohrt werden sollen, eine „Lösung“ für seinen Atommüll zu haben. Kritiker*innen haben allerdings massive Zweifel an der Machbarkeit und warnen vor „unkalkulierbaren Risiken“.
Zeit also für einen Schlussstrich.
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Quellen (Auszug): http://urantransport.de, heise.de, nuklearforum.ch; 18.12.2017/16.02.,30.04.,14.6.2018