Das älteste französische Atomkraftwerk soll nach Willen des Betreibers doch nicht zum Jahresende vom Netz gehen. Atomkraftgegner*innen sind empört und fordern mit einer „superprovisorischen Verfügung“ beim höchsten französischen Gericht die sofortige Fessenheim-Schließung!
Es ist ein „propagandistisches Meisterstück“: Dem französischen Atomkonzern EDF sei es gelungen, groben Unfug als „gesetzlich vorgegeben“ zu deklarieren, schreibt Eva Stegen in einem Blogbeitrag auf der Webseite freitag.de. EDF habe den Mythos von der „unauflösbaren Atomkopplung“ der Atomkraftwerke Fessenheim und Flamanville kreiert. Der Konzern gibt vor, dass die ältesten Meiler des Landes in Fessenheim per Gesetz erst vom Netz gehen dürften, wenn der Neubau-Reaktor Flamanville-3 den Betrieb aufnimmt.
„Ist es vorstellbar, dass mit gesundem Menschenverstand ein Gesetz formuliert wird, welches es verbietet, ein uraltes, womöglich unrentables, nicht mehr nachzurüstendes und mit schwersten Sicherheitsmängeln behaftetes Atomkraftwerk stillzulegen, ohne dass irgendwo im Land ein neuer Reaktorblock ans Netz geht? Natürlich nicht.“ (Eva Stegen)
Der Text, auf den sich EDF beruft, besagt nämlich das Gegenteil: Das französische Energiewendegesetz vom 17. August 2015 deckelt die maximale Gesamt-Leistung aller AKW auf 63,2 Gigawatt. Die Regierung hat allerdings das vereinbarte Ziel, den Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung (75%) bis 2025 auf 50% zu reduzieren, im November 2017 auf das Jahr 2035 verschoben.
Das Gesetz - und damit das Reduktionsziel bis 2025 und die Obergrenze der Kraftwerks-Kapazität - gilt aber weiter und ermöglicht Fessenheim zu schließen, „ohne auf einen eventuellen Start des EPR Flamanville warten zu müssen“, sind sich Atomkraftgegner*innen sicher. Entsetzen über „Unwissenheit auf höchstem Niveau“ äußert der Atomexperte Yves Marignac, Mitglied der von der Atomaufsicht eingesetzen permanenten Expert*innengruppe GPESPN für die Materialsicherheit im Nuklearbereich. Er ist beunruhigt darüber, dass Umweltminister Nicolas Hulot eine zentrale Passage des Energiewende-Gesetzes „nicht begreift“.
Die Inbetriebnahme von Flamanville-3, ein „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR) war ursprünglich bereits für 2012 geplant, verzögerte sich wegen diverser Probleme immer wieder. Zur Zeit müssen Schweißnähte überprüft werden, nachdem Unregelmäßigkeiten bekannt geworden waren. Laut EDF laufen „Beratungen mit den Kontrollbehörden“. Es wird mit weiteren Verzögerungen von „mehreren Monaten“ gerechnet. Kritiker*innen sprechen von einer „bauzeitplanerischen EPR-Fiasko-Baustelle“.
Fessenheim-Ende verschoben
Bislang war die Abschaltung des Atomkraftwerks Fessenheim für Ende dieses Jahres vorgesehen und offiziell bestätigt worden. Wegen der neuen Verzögerungen in Flamanville richtet sich EDF nun laut eigenen Angaben auf einen Weiterbetrieb der beiden Reaktoren in Fessenheim „bis zum Sommer 2019“ ein.
„Zur Kenntnis“ nahm die französische Regierung diese Planungen. Die Schließung von Fessenheim sei „beschlossen, unumkehrbar und es liegt nun an EDF, den Zeitplan zu präzisieren und in voller Transparenz zu kommunizieren“, so Sébastien Lecornu, Staatssekretär für Energiewende.
Mit heftiger Kritik reagiert hingegen der Trinationale Atomschutzverband (TRAS), ein Zusammenschluss von Atomkraftgegner*innen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. „Fessenheim hat den Nachweis, ob eine funktionierende Notkühlung existiert, bis heute nicht erbracht, die Anlage ist auch nicht erdbebensicher“, so Professor Jürg Stöcklin, Präsident von TRAS. „Die Schließung wurde ursprünglich für 2016 versprochen. Die EDF und die Aufsichtsbehörde ASN blockieren mit ihrem Festhalten an einer veralteten Hochrisiko-Technik die Umsetzung der parlamentarischen Beschlüsse“.
Antrag auf Betriebsende von Fessenheim-2 gestellt
Am vergangenen Freitag hat der Trinationale Atomschutzverband beim höchsten französischen Gericht, dem Conseil d'Etat, den Antrag gestellt, den Reaktor 2 des AKW Fessenheim außer Betrieb zu nehmen. Diese „superprovisorische Verfügung“ wird damit begründet, dass der Dampfgenerator die vorgeschriebenen Qualitätsnormen „nachweislich nicht erfülle“.
Block 2 war von Juli 2016 bis April 2018 für fast zwei Jahre wegen Unregelmäßigkeiten bei den Herstellungsprotokollen der französischen Stahlfirma Creusot Forge, einer Areva-Tochterfirma, die Teile für Atomkraftwerke herstellt, vom Netz. Die Atomaufsicht erteilte die Erlaubnis zum Wiederanfahren, obwohl bis heute nicht alle Details geklärt werden konnten.
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Quellen (Auszug): bzbasel.ch, barfi.ch, freitag.de, ee-news.ch; 25.5./4.6.2018