Doppel-Leckage - AKW am Pranger

31.05.2018 | Jan Becker

Wegen mehrerer Defekte konnte das bayerische Atomkraftwerk Gundremmingen-C erst mit Verzögerungen wieder in Betrieb genommen werden. Block 3 des grenznahen französischen AKW Cattenom wurde abgeschaltet, weil es dort „den Verdacht auf ein Leck“ gab. Es kommt dort immer wieder zu Störfällen. Bürger*innen haben kürzlich die Aktion „Cattenom am Pranger“ gestartet.

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Am frühen Sonntagmorgen wurde Block 3 des umstrittenen Atomkraftwerks Cattenom unplanmäßig abgeschaltet. Am Gelenk des Reaktorbehälterdeckels sei „wahrscheinlich“ ein Leck, so der Betreiber EdF. Um eine Untersuchung einzuleiten, musste der Meiler vom Netz. Die letzte Notabschaltung fand erst im Januar statt.

Weil es regelmäßig zu Störfällen in den „Pannenmeilern“ kommt, ruft das Anti-Atom-Netz Trier die Öffentlichkeit erneut zum Widerstand gegen den Weiterbetrieb auf. Mit der Kundgebung „Cattenom am Pranger“ starteten die Aktivist*innen am vergangenen Samstag eine Aktion: Immer mehr Menschen sollen sich mit Aufklebern und Plakaten öffentlich und dauerhaft gegen die Atomanlagen bekennen. Dafür stellt das Anti-Atom-Netz kostenlos oder gegen freiwillige Spende Material zur Verfügung.

„Der mehrheitliche Wunsch der Bevölkerung nach der Stilllegung der Atomanlagen wie Cattenom soll für alle sichtbar werden, damit Öffentlichkeit, Touristen, Medien und vor allem die Politik nicht vergessen, wie wichtig der Einsatz für die Schließung dieser Pannenreaktoren ist“, so Markus Pflüger vom Anti-Atom-Netz. „Es soll zudem mehr Menschen ermutigen, sich für die Stilllegung der Atomanlagen und für eine atomkraftfreie Zukunft einzusetzen.“

Frankreichs Europaministerin Nathalie Loiseau lehnte ein rasches Ende von Cattenom kürzlich ab: „Cattenom ist nicht dazu geeignet, in naher Zukunft zu schließen“, so Loiseau. Das Kraftwerk erfülle alle Sicherheitsgarantien. Atomkraftgegner*innen aus Deutschland sehen hingegen ein „enormes, unzumutbares Sicherheitsrisiko“. Während sich sogar die neue Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) bei ihrem Antrittsbesuch in Paris gegen eine Laufzeitverlängerung für Cattenom ausgesprochen hatte, werden die Meiler weiterhin mit Brennelementen aus deutschen Fertigungsanlagen beliefert, beklagen Aktivist*innen.

Mehrere Störfälle auch im AKW Gundremmingen

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Foto: Andreas Conradt / PubliXviewinG

Mit mehreren Tagen Verspätung ging am vergangenen Sonntag Block C des Atomkraftwerks Gundremmingen wieder ans Netz. Am 21. April hatten die jährlichen Wartungsarbeiten mit Brennelementwechsel begonnen.

Nachdem es im letzten Produktionszyklus Hinweise auf einen Brennelementdefekt gegeben hatte, wurde zur Kontrolle das so genannten Sipping-Verfahren angewandt. Dabei werden eine bestimmte Anzahl Brennelemente in Zellen zusammengefasst gleichzeitig aufgeheizt, indem über diese eine Haube gesetzt wird. Aus jeder Zelle wird zumindest eine Wasserprobe entnommen und auf enthaltene radioaktive Spaltprodukte untersucht. Dabei wurden zwei defekte Brennelemente gefunden.

Problematisch ist, dass sich die strahlenden Partikel im Kühlwasser befinden, verteilen und aufwendig wieder herausgefiltert werden müssen. Eine Ursachen-Untersuchung ist erst möglich, wenn die Brennstäbe nach mehreren Monaten ausreichend abgekühlt sind. In der Vergangenheit gab es immer wieder und nicht nur in Gundremmingen defekte Brennelemente, die zu erhöhter Radioaktivitätsabgabe führten. Kritiker*innen sehen Fertigungsprobleme, die Leistungssteigerungen der Reaktoren und zu lange Standzeit der Brennelemente als Fehlerquellen.

Reaktorbehälter nicht dicht

Bei einem weiteren Ereignis in Gundremmingen, das an die Aufsichtsbehörden gemeldet werden musste, entwich Luft aus dem Reaktorbehälter. Damit beim Austritt von radioaktiven Stoffen im Innern nichts in die Umwelt gelangen kann, muss die Schutzhülle um den hochradioaktiven Kern dicht sein. Bei der Prüfung des Sicherheitsbehälters öffnete allerdings nach etwa 15 Stunden ein Ventil und ließ Luft entweichen. Laut Betreiber habe es im Hydrauliksystem einer Schleuse ein Problem gegeben, das aber behoben werden konnte.

Ein drittes Ereignis erinnert wage an den Totalschaden des Nachbarblocks A in Gundremmingen im Winter 1977. Der Ausfall der externen Stromleitung sorgte für eine Notabschaltung. Weil sich Kühlwasserpumpen nicht wie geplant abschalteten, stieg der Druck im Reaktor. Sicherheitsventile öffneten sich, radioaktiver Dampf trat aus, kondensierte und flutete das Gebäude. Der Reaktor wurde nie wieder in Betrieb genommen.

Am Abend des 13. Mai sorgte ein Gewitter für einen Kurzschluss im Stromnetz, das für die Versorgung des Reaktorblock C während der Revision diente. Weil der zweite, alternative Maschinentransformator zur Versorgung während der Wartungsarbeiten allerdings gerade nicht verfügbar war, musste auf das 110-kV-Reserve-Stromnetz umgeschaltet werden. Parallel startete ein Notstromdieselaggregat, um unter anderem die Reaktorkühlung sicherzustellen.

Der Betreiber betonte auch 1977, dass das Kraftwerk Gundremmingen für solche Netztrennungen ausgelegt ist. Damals „funktionierte eben nicht alles, wie es soll“, erklärte im Januar 2017 der technische Leiter des Kraftwerks, Michael Trobitz anlässlich des 40ten Jahrestages des „schwersten Zwischenfalls in der Geschichte der Bundesrepublik“.

Ausfälle von zum Beispiel den Notstromdieseln gab es in der Vergangenheit häufig.

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Quellen (Auszug): br.de, swp.de, wochenspiegellive.de, volksfreund.de, antiatomnetz-trier.de; 24./25./28.5.2018

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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