Dem Atomkraftwerk Mühleberg fehlt wirksamer Schutz vor Hochwasser. Die Schweizer Atomaufsicht zieht die Kompetenz des deutschen Öko-Instituts in Zweifel und die Kosten für die Atommüll-Lagerung explodieren.
Nach der Katastrophe in Fukushima im März 2011, vor mehr als sieben Jahren also, wurde ein „Sicherheitsnachweis“ gefordert, dass die Schweizer Atomkraftwerke gegen externe Ereignisse wie Überflutung oder Erdbeben ausreichend gesichert sind. Gesetze schreiben ein Konzept mit einer gestaffelten Schadensvorsorge vor. Jede Maßnahme muss für sich selbst funktionieren. Selbst bei einem „aussergewöhnlichen Hochwasser“, wie es sich alle 10.000 Jahre ereignen könnte, muss zum Beispiel die Reaktorkühlung gewährleistet sein. Betreiber und Atomaufsicht halten alle geforderten Schutzziele für einhaltbar. Vorgesehen ist bei einem Hochwasser zum Beispiel der Einsatz von mobilen Feuerwehrpumpen.
Zwei Privatpersonen zweifeln an den Konzepten und zogen vor Gericht. Nach ihrer Auffassung verstoßen die mobilen Feuerwehrpumpen gegen international massgebende Sicherheitsregeln. Das ENSI habe dem AKW Mühleberg „vorschnell die Hochwassersicherheit attestiert und wesentliche Abklärungen unterlassen“, so die Beschwerdeführer*innen.
Das Bundesverwaltungsgericht gab ihnen vergangene Woche teilweise Recht: Schäden am AKW könnten durch die geplanten Maßnahmen möglicherweise nicht wirksam verhindert werden. Die Einschätzungen würden sich allein und unzureichend auf ein Gutachten stützen, dass der Betreiber in Auftrag gegeben hatte. Auch eine nachträgliche Anpassung, bei Kühlwassermangel auf ein Hochreservoir für Trinkwasser zurückzugreifen, rügte das Gericht. Es reiche nur für eineinhalb Stunden Reaktorkühlung, was danach geschehe, sei unklar. Die Atomaufsicht ENSI muss die Vorkehrungen nun neu beurteilen, der Betreiber nötigenfalls nachbessern.
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Atommüll-Kosten explodieren
Zahlreiche Staaten korrigieren ihre Kostenschätzungen für die Atommüll-Lagerung oder den Abriss von Atomanlagen deutlich nach oben: Frankreich zum Beispiel von einst 16,5 auf 36 Milliarden Euro. England plante allein für den Standort der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield, wo zusätzlich mehrere Reaktoren stehen, mit Kosten von 47 Milliarden Pfund - und korrigierte auf 67 Milliarden.
Die Annahme der Kosten für die Atommüll-Lagerung in der Schweiz haben sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt. 2001 wurde noch von 13,7 Milliarden Franken gesprochen. Die aktuellste Studie stammt vom Branchenverband der Schweizer AKW-Betreiber (swissnuclear) aus dem Jahr 2016. Sie wurde Ende 2017 nach einer Überprüfung durch unabhängige Experten um 13 Prozent nach oben auf Gesamtkosten von 23,5 Milliarden Franken korrigiert.
In der Schweiz sind die AKW-Betreiber für die volle Kostenübernahme verantwortlich. Mit einem „Sicherheitszuschlag“ will die Regierung die Finanzierungslücke schließen. Dagegen gehen die Konzerne allerdings gerichtlich vor. Wirtschaftlich geht es ihnen schon heute schlecht, so dass - wie in Deutschland - am Ende wohl der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird.
Wie hoch der Betrag genau ausfällt, ist höchst umstritten. Laut Marco Buser, Geologe und ehemaliges Mitglied der eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit, werden die Zahlen „krass beschönigt“ und „dramatisch unterschätzt“. Buser spricht von Endkosten von bis zu 100 Milliarden Franken. Im Juni soll ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle weitere offizielle Zahlen liefern.
Streit um eines der ältesten AKW der Welt
Das deutsche Ökoinstitut hat im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung die sicherheitstechnischen Schwachstellen des AKW Beznau unter Berücksichtigung der seit Abschluss des EU-Stresstests geplanten bzw. bereits erfolgten sicherheitstechnisch relevanten Nachrüstungen untersucht. Ziel der Analyse: Das weltweit älteste AKW soll zum „frühestmöglichen Zeitpunkt“ vom Netz.
Eine aktualisierte Veröffentlichung aus August 2017 ist nun Ziel von Kritik der Schweizer Atomaufsicht geworden. Die Prüfung des Gutachtens habe ergeben, dass „die meisten der geltend gemachten sicherheitstechnischen Nachteile des Kernkraftwerks Beznau entweder unzutreffend oder von untergeordneter Bedeutung seien“, so das Ensi letzte Woche. Im Gutachten des Ökoinstituts fänden sich an mehreren Stellen „falsche Faktendarstellungen“. Eine „kritische Beurteilung des Kernkraftwerks Beznau durch den baden-württembergischen Umweltminister ist nicht gerechtfertigt“. Beznau sei „durchgängig einzelfehlerfest“ und weise „einen ausreichenden Schutz“ auf.
Der kommerzielle Betrieb in Block-1 wurde 1969 aufgenommen, Block-2 folgte 1971. Es gibt nur sehr wenige Atomkraftwerke auf der Welt, die so alt sind. Weil Risse im Reaktorbehälter gefunden wurden, stand Block 1 bis März für drei Jahre still. Dann gab die Atomaufsicht entgegen aller Zweifel Entwarnung. Nach so vielen Betriebsjahren nehmen Störfällehäufigkeit, Verschleiß und Bauteilversprödung stetig zu. Atomkraftgegner*innen sprechen von einer täglichen „Lebensgefahr“.
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Grünes Licht für Schrottmeiler
16.03.2018 - Ausgerechnet die ältesten der alten Atommeiler haben trotz massiver Sicherheitsrisiken die Freigabe zum Wiederanfahren bekommen. Atomkraftgegner*innen sind schockiert. -
Schweiz: AKW Beznau in größeren Atomskandal verwickelt?
12.05.2016 - Das AKW Beznau soll noch weitere sechs Monate vom Netz bleiben. Der Betreiber gibt an, Produktionsunterlagen geprüft und Schäden im Reaktorbehälter als „unbedenklich“ identifiziert zu haben. Doch gerade diese Aussage könnte auf die Verwicklung in einen größeren Skandal hinweisen.
Quellen (Auszug): heise.de, ensi.ch, nzz.ch, blick.ch, ee-news.ch, energate-messenger.ch, oeko.de; 16.3./22./23./26.5.2018