Die große Koalition will das Abschalten der AKW „bis 2022 zielgerichtet vorantreiben“. Doch die beste Gelegenheit dafür droht sie verstreichen zu lassen. Und sonst hat sie atompolitisch nicht viel vor.
Atompolitik spielt keine große Rolle für die große Koalition. Dennoch wird das Atomgesetz eines der ersten Gesetze sein, welche die Mitte März konstituierte schwarz-rote Bundesregierung ändern wird. Dabei wird einiges Geld für AKW-Betreiber herausspringen: RWE und Vattenfall dürfen sich auf jeweils einen dreistelligen Millionenbetrag einstellen. Das Geld soll die Konzerne dafür entschädigen, dass sie die ihren AKW im rot-grünen „Atomkonsens“ von 2002 zugestandenen Reststrommengen aufgrund der Abschaltdaten der AKW nun nicht mehr vollständig verwerten können. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende 2016 eine Kompensation verlangt.
Die Höhe der Entschädigung soll sich dem Referentenentwurf aus dem Umweltministerium zufolge nach dem durchschnittlichen Börsenstrompreis von 2011 bis zum Abschaltdatum des letzten AKW Ende 2022 abzüglich der vermiedenen Produktionskosten richten. Da die Börsenstrompreise seit 2011 gesunken sind, könnte die Entschädigung für RWE und Vattenfall unter Umständen wirtschaftlich attraktiver sein, als ein Verkauf ihrer Stromproduktionsrechte an Eon oder EnBW. Deren konzerneigene Reststrommengen reichen voraussichtlich nicht ganz aus, um ihre noch laufenden AKW bis zu den im Atomgesetz genannten
Abschaltdaten zu betreiben: Eon müsste auf gut 20, EnBW auf etwa 4 Reaktorbetriebsmonate verzichten. Allerdings kommen RWE und Vattenfall dem bisherigen Entwurf zufolge nur dann in den Genuss einer Entschädigung für ihre überschüssigen Reststrommengen, wenn diese „trotz ernsthaften Bemühens nicht auf ein anderes Kernkraftwerk übertragen werden konnten“. Zudem ist RWE bald großer Anteilseigner von Eon und Vattenfall schon Mitbesitzer des AKW Brokdorf – gute Gründe also, Strommengen an die Eon-Atomtochter PreussenElektra zu übertragen.
Reststrommengen-Übertragungsstopp?
.ausgestrahlt fordert seit Langem, die Übertragung von Reststrommengen von einem Reaktor auf einen anderen grundsätzlich zu verbieten. Jeder Reaktor dürfte dann nur die ihm 2002 originär zugestandenen Reststrommengen noch produzieren. Würde die große Koalition den §7 des Atomgesetzes in diesem Sinne ändern, brächte das zwar nicht den eigentlich nötigen sofortigen Atomausstieg, aber zumindest deutlich kürzere Laufzeiten: Die AKW Philippsburg‑2 und Grohnde müssten schon kommendes Frühjahr, die AKW Brokdorf und Isar‑2 im Sommer 2020, das AKW Emsland im Frühjahr 2021 und als letztes das AKW Neckarwestheim‑2 im Sommer 2022 vom Netz. Das AKW Gundremmingen C, das schon seit Ende 2016 nur noch mit Reststrommengen abgeschalteter Meiler läuft, müsste seinen Betrieb sogar sofort einstellen. Insgesamt würde dies die Summe der noch ausstehenden 27 Reaktorbetriebsjahre etwa halbieren.
Für einen Übertragungsstopp zumindest auf norddeutsche AKW, deren Strom die für Windstrom benötigten Leitungen blockiert, haben sich bereits die Umweltminister*innen von sieben Bundesländern ausgesprochen. In Schleswig-Holstein haben sich CDU, FDP und Grüne im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Übertragung von Reststrommengen auf das AKW Brokdorf zu verhindern.
Juristisch stünde diesen Vorhaben auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nichts im Weg. Die Richter*innen betonten explizit das Recht der Politik, die Laufzeiten der AKW zu verkürzen und damit „eine Risikominderung von ganz erheblichem Ausmaß“ im Sinne der Allgemeinheit durchzusetzen. Das „erhebliche Gemeinwohlinteresse“ überwiege „eindeutig“ auch eventuelle Einschränkungen für die AKW-Betreiber.
Dass sie RWE und Vattenfall dennoch eine begrenzte Entschädigung zusprachen, liegt einzig daran, dass diese einen „relevanten“ Teil der ihnen im „Atomkonsens“ 2002 zugesagten Reststrommengen nicht mehr produzieren können.
In beiden Fällen ist diese Herleitung zweifelhaft. So sind bei Vattenfall dafür hauptsächlich die gravierenden technischen und organisatorischen Mängel der AKW Brunsbüttel und Krümmel verantwortlich – und nicht das Atomgesetz von 2011. Beide Reaktoren hatten schon seit Sommer 2007, vier Jahre vor dem Super-GAU von Fukushima, keinen Strom mehr produziert.
Grund für die Entschädigungsansprüche von RWE ist ein Deal mit der rot-grünen Bundesregierung zum AKW Mülheim-Kärlich aus dem Jahr 2000. Im Zuge des „Atomkonsenses“ hatte sich der Konzern auch für diesen Reaktor Stromproduktionsrechte erstritten – obwohl dessen Betriebsgenehmigung wegen unzureichender Berücksichtigung der Erdbebengefahr damals bereits höchstrichterlich aufgehoben war.
Brennelemente-Export-Verbot?
Was die öffentlich viel diskutierten Brennstofflieferungen aus der Brennelementefabrik Lingen angeht, die unter anderem auch die grenznahen Hochrisiko-Reaktoren in Doel, Tihange, Cattenom und Fessenheim beliefert (siehe Grafik), enthält der schwarz-rote Koalitionsvertrag zwar die Absichtserklärung, dass man eben dies „verhindern“ wolle. Konkret will die Regierung aber lediglich „prüfen, auf welchem Wege wir dieses Ziel rechtssicher erreichen“. Das ist umso enttäuschender, als ein Gutachten, welches eben diese rechtssichere Möglichkeit aufzeigt, bereits seit Monaten vorliegt.
Nichtssagend ist auch die Formulierung zum Euratom-Vertrag. Man werde sich dafür einsetzen, dass dessen „Zielbestimmungen (…) hinsichtlich der Nutzung der Atomenergie an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden“. Unkonkret bleibt das Statement gegen eine EU-Förderung für neue Atomkraftwerke. Immerhin sollen sich staatliche Fonds nicht mehr an AKW im Ausland beteiligen.
Beim geplanten Atommüll-Lager Schacht Konrad in Salzgitter, für das der Langzeitsicherheitsnachweis nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Forschung nicht erbracht ist, sprechen sich die Koalitionäre entgegen der gravierenden Bedenken sogar explizit für eine „möglichst rasche Fertigstellung und Inbetriebnahme“ aus. Bald soll dort zudem ein „Bereitstellungslager“ für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle errichtet werden.
Bleibt die Sicherheit der sieben noch laufenden AKW. Höchsten Ansprüchen muss die nicht mehr genügen. „Oberstes Gebot“, schreiben CDU, CSU und SPD, sei die „bestmögliche Sicherheit“. Was immer das auch heißen mag.