Ceaușescus strahlendes Erbe
Der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu hatte ehrgeizige Pläne: 16 Reaktoren sollten das Land mit Strom versorgen, fünf davon gingen in den 1980er-Jahren am Standort Cernavodă in Bau, etwa 160 Kilometer östlich von Bukarest. Ceaușescu wurde 1989 gestürzt und hingerichtet. Das Atom-Projekt in Cernavodă jedoch lebt bis heute weiter.
Zwar stoppte die Regierung die Baumaßnahmen an allen fünf Blöcken 1991 zunächst, allerdings nur, um sich anschließend auf die Fertigstellung von Cernavodă‑1 zu konzentrieren. Da es sich um kanadische CANDU-Reaktoren handelt, spielte das kanadische Staatsunternehmen AECL dabei eine wichtige Rolle. AECL bildete ein Konsortium mit dem italienischen Technologieunternehmen Ansaldo und der damaligen rumänischen Elektrizitätsbehörde (RENEL). Für die Finanzierung des AKW-Baus sorgten unter anderem kanadische und italienische Exportkreditagenturen. Cernavodă‑1 ging schließlich 1996 ans Netz. Es hatte den Staat bis dahin 2,2 Milliarden US-Dollar gekostet.
Anschließend wurde an Cernavodă‑2 weitergebaut. Neben den Exportkreditagenturen steuerte auch Euratom 233 Millionen Euro bei. Block 2 ging 2007 ans Netz. Beide Reaktoren zusammen haben eine Kapazität von 1.400 Megawatt und tragen heute mit 18 bis 20 Prozent zur rumänischen Stromversorgung bei.
Hohe Tritium-Emissionen
Die CANDU-Schwerwasserreaktoren unterscheiden sich deutlich von den üblicherweise in Europa gebauten Druckwasserreaktoren. Sie weisen ein erhebliches Risikopotenzial und besonders hohe Tritium-Emissionen auf.
So erhöhte sich die Tritiumkonzentration in der Luft in Cernavodă nach Betriebsbeginn des ersten Reaktors um das Sechs‑, im Niederschlag um das Zehnfache. Auch im Donauwasser, das zum Kühlen des Reaktors genutzt wird, fand sich Tritium. Ein von Greenpeace beauftragter Experte warnte 2007 in einer Studie zur Tritiumbelastung in Cernavodă vor ernsten gesundheitlichen Risiken. Insbesondere schwangere und stillende Frauen sowie Kleinkinder unter vier Jahren sollten sich im Zehn-Kilometer-Umkreis um das AKW nicht aufhalten; im Umkreis von fünf Kilometern sollten Gartenprodukte nicht konsumiert werden. Da die Stadt Cernavodă nur knapp zwei Kilometer vom AKW entfernt liegt, lasse sich eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung unmöglich ausschließen.
Anlass für die Studie war die Umweltverträglichkeitsprüfung für die weiterhin geplanten Blöcke 3 und 4. Szenarien ohne Atomkraft mit mehr Energieeffizienz, dezentralisierter Energieerzeugung und erneuerbaren Energien würden nicht ernsthaft geprüft, kritisierte Greenpeace damals – obwohl diese Varianten billiger sein könnten als der Bau von zwei weiteren Reaktorblöcken.
Partner springen ab
Seit 2007 haben sich fünf bedeutende europäische Partner – darunter RWE – aus dem Projekt zurückgezogen. Die rumänische Regierung sucht händeringend neue. Aktuell ist der chinesische Staatskonzern und AKW-Betreiber CGN im Spiel; die Verhandlungen dauern jedoch an. Obwohl etwa im Jahresrhythmus feierlich irgendwelche Dokumente unterzeichnet werden, gibt es bisher keine richtigen Verträge, geschweige denn Geld zum Bau der Reaktoren.
Wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll wäre, den Bau der Reaktoren abzublasen und sich auf andere Energieformen zu konzentrieren. Dem stehen jedoch starke Interessen entgegen: Einerseits „wahre Atomgläubige“ in der Betreiberfirma Nuclearelectrica, im Wirtschaftsministerium, in den Technischen Universitäten von Bukarest, Constanța und Pitești sowie in der Atombehörde; sie glauben an die Bedeutung der Atomkraft als Technologie wie auch als politische Größe, denn jede große Nation verfüge über AKW. Darüber hinaus gibt es Vertreter in Parteien und in der Oligarchie, die sich kurzfristig gute Geschäfte vom Bau von Cernavodă‑3 und 4 versprechen.
Derweil steht für Cernavodă‑1 schon eine notwendige Generalüberholung für bis zu 1,5 Milliarden Euro an. Viel Geld, das für eine Energiewende in Rumänien, die auch wegen des hohen Kohleanteils im Energiemix dringend nötig ist, dann nicht mehr zur Verfügung steht.
Dieser Text ist ursprünglich erschienen im .ausgestrahlt-Magazin Nr. 39 (Mai 2018)