„Es kann passieren, dass der Reaktor-Druckbehälter kaputt geht“, so äußert sich der Atomsicherheits-Experte Wolfgang Renneberg nach einer Fachtagung zum belgischen Atomkraftwerk Tihange-2. Atomkraftgegner*innen starten eine „Strafanzeigen-Flut“.
Die wegen tausender Risse im Reaktorbehälter bekannt gewordenen Blöcke der belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel standen im Fokus einer internationalen Expert*innenkonferenz in Aachen am vergangenen Wochenende. Es trafen sich dort die internationale Vereinigung unabhängiger Nuklearexpert*innen (Inrag), der zum Beispiel der ehemalige Leiter der deutschen Atomaufsicht, Dieter Majer, und Gregory Jaczko, Ex-Chef der Atomaufsichtsbehörde der USA, angehören. Ausgewiesene Atomkraftgegner sind beide nicht.
„Nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse“ müsse der Reaktor Tihange-2 vorerst stillgelegt werden, heißt es in einer Erklärung, die das Netzwerk Inrag verabschiedete. Die Stahlbauteile hätten aufgrund ihrer Schwächen „nie eingebaut werden dürfen“. Sie verstoßen gegen internationale Sicherheitsmaßstäbe, so die Experten.
Das Schlimmstmögliche, was passieren kann
Auch Wolfgang Renneberg, ehemaliger Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, hat an der Konferenz teilgenommen. In Tihange-2 könne „bei einem kleinen Abriss einer Leitung, die normalerweise kein Problem für das Kernkraftwerk sein sollte, die Sicherheitseinrichtungen dazu führen, dass der Reaktor-Druckbehälter kaputt geht“, so Rennenberg. Wenn das geschehe, „gibt es keine Sicherheitssysteme, die das noch auffangen können“. Sehr große Freisetzungen von Radioaktivität würden stattfinden, die Katastrophenschutzmaßnahmen der Behörden wahrscheinlich zu spät kommen, „weil es einfach zu schnell geht“.
Der Betreiber Electrabel und die belgische Atomaufsicht würden die Risiken ignorieren, so Renneberg. Als Konsequenz fordert er, die Lieferung von Brennelementen aus Deutschland an das belgische AKW Tihange zu stoppen. Die Rechtsgrundlage im Atomgesetz sei angesichts zahlreicher Sicherheitsbedenken gegeben.
Strafanzeigen-Flut gegen Bröckelreaktoren
Atomkraftgegner*innen erhöhen mit einer neuen Aktion den Druck für die Stilllegung der Meiler. Die Initiative „Stop Tihange“ ruft am kommenden Samstag, 21. April, dazu auf, Anzeige gegen den belgischen Staat und den Betreiber der Pannenmeiler zu erstatten. In Belgien, Deutschland und den Niederlanden sollen vor den Polizeistationen in Namur, Tongeren und Eupen parallel Aktionen stattfinden. Gemeinsam mit anderen Initiativen und einem Juristen sei ein Anzeigentext erarbeitet worden, der „unbedenklich“ sei.
„Es kann niemandem ein Nachteil daraus entstehen, dass man die Anzeige erstattet“, so Jörg Schellenberg vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie. Ziel der Aktion sei die „sofortige Stilllegung der maroden und gefährlichen Bröckelreaktoren“.
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Quellen (Auszug): dpa, deutschlandfunk.de, aachener-nachrichten.de, wdr.de; 14./17.4.2018