Atomkraftgegner*innen um das Zwischenlager Leese in Niedersachsen haben jedes Vertrauen in die Atomaufsichtsbehörde verloren: Bisher war geheim gehalten worden, dass nicht sieben sondern fast 450 Fässer mit Atommüll „nachbehandelt“ werden müssen. Möglicherweise sind viele defekt. Auf die Region rollt eine Welle von zusätzlichen Atomtransporten zu.
Wer in Niedersachsen über Atommülllager redet, der spricht in der Regel von Gorleben, Asse oder Schacht Konrad. Doch auch im Landkreis Nienburg befindet sich ein Zwischenlager, das Probleme macht. In einer bisher unveröffentlichte Studie im Auftrag des Umweltministeriums Niedersachsen wird das Ausmaß des Atommüllskandals in Leese deutlich.
Dort lagern unter staatlicher Aufsicht tausende Gebinde mit Abfällen aus den Bereichen Medizin, Forschung und Technik. Betreiber des Lagers ist die Braunschweiger Firma Eckert & Ziegler Nuclitec GmbH. Es handelt sich u.a. um 3.400 Abfallgebinde, die sich seit 1998 im Eigentum des Landes Niedersachsen befinden und aufgrund einer Anordnung des Gewerbeaufsichtsamtes Braunschweig konditioniert und in das Lager Leese transportiert wurden. Diese Abfälle sollen nach Betreiberplänen in dem Atommmülllager Schacht Konrad eingelagert werden. Dafür müssten sie aber erneut umverpackt werden.
442 statt sieben
Anfang 2012 wurden in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Neckarwestheim verrostete Fässer mit strahlenden Abfällen entdeckt. Im Juli 2012 hatten Atomkraftgegner*innen dann auf Kontrollen auch in Leese gedrängt, was der Betreiber aber ablehnte. Die Atomaufsicht unter dem damaligen Minister Stefan Wenzel (Grüne) machte Druck und kündigte an, man wolle in Leese „die Sicherheit verbessern“.
2013 wurde dann das erste Fass bei einer Inspektion entdeckt, voller Spuren von Rost und ausgelaufener Flüssigkeit. Der Inhalt entsprach nicht der Dokumentation: Das Gebinde sollte Papier enthalten, gefunden wurden aber Flaschen mit Flüssigkeiten. In den folgenden Jahren wurden weitere Problem-Fässer gemeldet. Laut eines Berichts im Umweltausschuss des Landtags wurden bis heute insgesamt sieben Atommüll-Gebinde gefunden, die Defekte aufweisen.
In einer bisher unveröffentlichte Studie im Auftrag des Ministeriums heisst es nun, dass von 1.484 Fässer in dem betroffenen Lager 442 „intensiv nachbehandelt“ werden müssten.
„Alle 1.484 aus Steyerberg stammenden Fässer mit radioaktiven Abfällen im Zwischenlager Leese werden nachqualifiziert und nachkonditioniert“, so Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD).
Hintergrund ist die Umverpackung in „konrad-gängige“ Container. Da die Fässer in der Halle sehr eng stehen, so dass eine genaue Inspektion erst im Rahmen der Auslagerung erfolgen wird, sind weitere Funde von Defekt-Fässern nicht unwahrscheinlich. Laut NDR müssten nämlich „einige der Fässer getrocknet, bei anderen hochgiftige Stoffe neu umschlossen werden“. Niedersachsens neuer Umweltminister Olaf Lies (SPD) spricht von 13 Fässern, an deren Oberfläche sich Rost gebildet hat. Weil sich Feuchtigkeit im Inneren der Fässer gebildet habe, sei nun eine Umverpackung notwendig.
„Niedersachsen hat nicht nur ein Atommüll- sondern auch ein Glaubwürdigkeitsproblem“
Ende September 2017 erklärte die Bundesregierung auf eine Frage des Abgeordneten Zdebel (LINKE), dass man „nicht ausschließen“ könne, dass es weitere Fässer mit Auffälligkeiten gäbe. Von der notwendigen Behandlung von über 400 Fässern hat das Ministerium aber schon seit mehr als einem Jahr Kenntnis. Atomkraftgegner*innen sprechen deswegen von einem „Glaubwürdigkeitsproblem”, man habe „kein Vertrauen mehr in die Behörden“, so die Bürgerinitiative Strahlenschutz Leese.
Es gibt allerdings auch praktische Probleme. Am Standort besteht keine Möglichkeit zur Nachkonditionierung. Die Behälter stehen in der Halle so eng, dass kein ausreichender Platz vorhanden ist. Die Fässer müssen also abtransportiert, die defekten zum Strahlenschutz allerdings provisorisch in extra Behälter gelegt werden.
Eine Menge Atommülltransporte stehen an
Da Leese auch als Zwischenlager, Abklinglager und Pufferbecken für die Produktion und Konditionierung von Eckert & Ziegler in Braunschweig dient, gibt es schon heute einen regen Transportverkehr zwischen beiden Standorten.
Das Umweltministerium hat die anstehenden Arbeiten „europaweit“ ausgeschrieben. Laut Lies sei man in Hannover „zuversichtlich“, dass der Auftrag im Sommer an ein „geeignetes Unternehmen“ vergeben werden könne. Die Arbeiten sollen 2019 beginnen und acht bis zehn Jahre dauern. Die Kosten belaufen sich auf zehn bis 12 Millionen Euro und werden vom Steuerzahler getragen. Ende 2030 läuft der Nutzungsvertrag für das Gelände in Leese aus, bis dahin müssen auch alle weiteren Strahlenabfälle aus Leese verschwinden.
Es werden also noch deutlich mehr Atommüll-LKW werden, die durch Leese rollen. Die Inbetriebnahme von Schacht Konrad ist innerhalb der nächsten zehn Jahre sehr unwahrscheinlich. Daher wird der Atommüll zur nächsten Zwischenlagerung gebracht. Laut Umweltministerium könnte der Abfall in eines der Standortzwischenlager an den AKWs gebracht werden - oder auch nach Gorleben.
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Zwischenlager: Diebstahl nicht ausgeschlossen
13.04.2018 - Ein Gutachten hält es für möglich, dass jemand in das Brennelementezwischenlager Ahaus eindringen kann, einen Brennstab aus einem Castorbehälter entnehmen und damit wieder aus dem Lager entkommt. Ein apokalyptisches Szenario. Denn der Inhalt von Behältern die 2019 angeliefert werden sollen, könnte zum Bau einer Atombombe genutzt werden.
Quellen (Auszug): grohnde-kampagne.de, ndr.de, spiegel.de, umwelt.niedersachsen.de; 15./16.4.2018