Ein Gutachten hält es für möglich, dass jemand in das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus eindringen, einen Brennstab aus einem Castorbehälter entnehmen und damit wieder aus dem Lager entkommen könnte. Ein apokalyptisches Szenario. Denn der Inhalt von Behältern, die 2019 angeliefert werden sollen, könnte zum Bau einer Atombombe genutzt werden. Die Bundesregierung schließt hingegen jedes Risiko aus - und kündigt wesentlich längere Betriebszeiten der Lagerhallen an.
Atomkraftgegner*innen halten die Pläne für zeitlich völlig unrealistisch. Doch offiziell soll 2050 ein zentrales deutsches Atommüll-Lager in Betrieb gehen. Dorthin würde dann sämtlicher hochaktiver Atommüll, der zur Zeit in den Atomkraftwerken oder Zwischenlagern wartet (oder bis zur letzten Stilllegung noch produziert wird) gebracht. Die meisten Zwischenlagerhallen sind um die Jahrtausendwende in Betrieb gegangen und mit einer Betriebszeit von 40 Jahren genehmigt worden. Erste Genehmigungen laufen also bald aus. In der Kommunikation mit der Öffentlichkeit spielte dieser begrenzte Zeitraum eine wesentliche Rolle, um Akzeptanz zu schaffen.
Bisher sind die AKW-Betreiberfirmen zuständig. Ab Jahresende übernimmt die bundeseigene BGZ - Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH die Verantwortung über die künftige Müll-Verwahrung, in Ahaus und Gorleben ist sie bereits Betreiberin der Hallen. Auch aus „Sicherheitsgründen“ – was das Eingeständis inne hat, dass es bisher nicht optimal läuft. Völlig verrostete Fässer in unterirdischen Lagerkavernen unter Atomkraftwerken sind ein Beispiel für den verantwortungslosen Umgang durch die Betreiber. Das Zwischenlager Brunsbüttel verlor sogar die Genehmigung, weil kein ausreichender Terrorschutz nachgewiesen werden konnte. Vergleichbares in Jülich, wo über hundert Atommüllbehälter in einer Halle stehen, die schon seit Jahren eine Räumungsverfügung hat.
„Ich kenne keinen einzigen Fall, wo wir derzeit Unsicherheiten haben“, heißt es nun vom Chef der künftigen Atommüll-Behörde, Wolfram König. Hintergrund ist die Diskussion um eine Verlängerung der Zwischenlagerdauer sowie die Einlagerung von Behältern aus den Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) im französischen La Hague und britischen Sellafield. Betroffene Standortgemeinden und Kritiker*innen fordern eine Prüfung der vermeintlichen „Sicherheit“, besonders im Zusammenhang mit den aktuellen Genehmigungsverfahren für die WAA-Behälter. Einige Gemeinden wollen sogar eine finanzielle Entschädigung.
„Anders als die oberste Bundesbehörde sind wir der Auffassung, dass die Sicherung und Sicherheit der Castor-Lager bereits aktuell problematisch sind“, bekräftigt zum Beispiel der BUND-Atomexperte Thorben Becker.
Alles nur ein „politisches Signal“
Eine Auflösung der dezentralen Zwischenlager etwa zugunsten eines zentralen Lagers (Anmerkung: welches irgendwo ziemlich groß neu gebaut werden müsste) würde den Transport von bis zu 1.900 Castor-Behältern bedeuten - und das Ziel dieser Transporte wäre wieder nur eine Zwischenstation, zeichnet König ein Szenario. Die einstige Begrenzung der Genehmigungen für die zwölf dezentralen Zwischenlager auf nur 40 Jahre habe allerdings „keine Sicherheitsgründe gehabt, sondern sei ein politisches Signal gewesen“.
Gutachten: Diebstahl nicht ausgeschlossen
Besonders brisant ist die Situation allerdings im nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus. Dort sollen vermutlich ab Mitte 2019 Brennelemente aus dem Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München angeliefert werden. Allein im FRM-II wird in Deutschland hoch angereichertes Uran verwendet, das auch zum Bau von Atombomben taugt. Von 44 abgebrannten Brennelementen könnten nach Auskunft des Betreibers „rund die Hälfte in den nächsten Jahren“ nach Ahaus transportiert werden.
Ein aktuelles Gutachten im Auftrag des Nationalen Begleitgremiums hinterfragt diese angekündigten Castor-Transporte aus Garching. Jedes der Brennelemente enthält 8,3 Kilogramm hochangereichertes Uran. In einem Behälter befinden sich fünf Elemente. Laut des Wiener Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften, das die Stellungnahme verfasste, enthält einer der verwendeten Castor MTR-3-Behälter „genügend Material für mindestens eine Atomwaffe, nach einer anderen Berechnungsmethode sogar für fünf Atomwaffen“.
Das Institut untersuchte zudem ein wahrhaftig „apokalyptisches Szenario“: Das hoch angereicherte Uran aus dem Forschungsreaktor sei „sehr attraktiv für mögliche Proliferatoren“, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Der Diebstahl eines dieser Brennelemente oder eines ganzen Behälters aus dem Zwischenlager sei „nicht ausgeschlossen“, so das Gutachten. Während der Behälter 16 Tonnen wiegt, ist ein Brennelement nur etwa 1,1 Meter hoch, hat einen Durchmesser von rund 22 Zentimetern und ist nur 50 Kilogramm leicht. Die Diebe würden keine Rücksicht auf die Strahlung nehmen, das Lager betreten und nach nur 15 bis 30 Minuten mit der hochbrisanten Beute wieder verlassen können.
In Ahaus wird derzeit eine zehn Meter hohe Mauer rund um das Zwischenlager gebaut, um auf eine „neue Bedrohungslage“ zu reagieren. Doch warum sollte jemand mit Interesse am Bau einer Atombombe, der vermutlich schon bei der Beschaffung des Urans über Leichen geht, den beschwerlichen Weg in ein Zwischenlager nehmen? Die Castorbehälter aus Garching rollen mit konventionellen LKW über die Autobahn, ohne dicke Mauern, geschützt von ein paar Polizeiwagen drumherum.
Stoff für einen Krimi. Hoffentlich nicht mehr.
weiterlesen:
-
Die Jahrhundert-Lager
Die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls wird sehr viel länger dauern, als ursprünglich behauptet. Die bisherigen Hallen sind nicht weiter tragbar. Doch die Politik nimmt das Problem nicht ernst -
Garchinger Atommüll ist ein „Sonderfall“
09.08.2017 - Die Bundesregierung hat für den deutschen Atommüll eigentlich eine „Lösung“: Der geringer strahlende kommt in den Schacht Konrad, für den hochaktiven wird bis 2050 eine unterirdische Lagerstätte gefunden. Doch im Forschungsreaktor Garching stapelt sich Atommüll, bei dem dieses Konzept nicht greift. -
60 Jahre Atomei Garching
26.10.2017 - Vor 60 Jahren ging mit dem „Atomei“ der erste Atomreaktor der Bundesrepublik in Betrieb. Dessen Nachfolger ist der einzige Neubau eines Atomreaktors in Deutschland seit Tschernobyl - und hoch umstritten. -
„Kein HEU aus Garching!“
05.02.2015 - Die Bürgerinitiative „Kein Atommüll nach Ahaus“ wehrt sich nicht etwa gegen landwirtschaftliche Produkte aus Bayern, sondern gegen einen geplanten Transport von hoch angereichertem Uran aus dem Forschungsreaktor Garching.
Quellen (Auszug): proplanta.de, shz.de, muensterlandzeitung.de, 12./13.4.2018