Hanau: Eine Stadt kämpft um ihr Image

15.03.2018 | Jan Becker

Vor knapp 30 Jahren begann mit dem größten Skandal in der Geschichte der deutschen Atomindustrie das Ende des „Atomdorfs Hanau-Wolfgang“. Firmen wurden geschlossen, ein Plutonium-Lager geräumt. Nun fürchtet die Stadt erneut das Atom-Image.

Ca. 2006: Protestaktion in der Grimm-Stadt Hanau
Foto: antiatom-hanau.de
Ca. 2006: Protestaktion in der Grimm-Stadt Hanau

In den 1980er Jahren war das „Hanauer Atomdorf“ die größte europäische Ansammlung von Nuklearfirmen. Hier hatten Unternehmen wie die Siemens-Tochter Alkem (Alpha-Chemie und -Metallurgie), Nukem, Reaktor-Brennelement-Union (RBU), HOBEG – Hochtemperaturreaktor-Brennelementfabrik oder Transnuklear ihren Sitz. Damals verfolgte Deutschland noch das Ziel eines „geschlossenen Brennstoffkreislaufes“, gemeint waren zum Beispiel Wiederaufarbeitungsanlagen und der Einsatz des Ultragiftes Plutonium in Schnellen Brütern. In Hanau stellte Nukem Uranbrennelemente für Leichtwasserreaktoren und MOX-Brennelemente für Leichtwasserreaktoren und Brüter her. Ein Schutzzaun „Modell Wackersdorf“ war rings um die sensiblen Bereiche gezogen, Wachschutz patrollierte.

„Früher war das so eine 'No-Go-Area'. Hier durfte man nicht rein. War alles unter Verschluss, man wusste nicht, was hier passiert“, erinnerte die Hanauer Anti-Atom-Aktivistin Angelika Gunkel 2016 im Deutschlandfunk. „Weil das, was hier im Atomdorf angesiedelt war, das war das Herz der Atomindustrie. Aber höchst gefährlich und problematisch für die gesamte Bevölkerung.“

1987 - Der Anfang vom Ende

1987 erschütterte ein heftiger Skandal den Standort - und die Regierung von Hessen. Die Firma Transnuklear, zuständig für Lagerung und Transport von Atommüll, hatte Fässer falsch deklariert. Aus Belgien wurde zudem Behälter mit hoch radioaktivem Inhalt illegal nach Deutschland gebracht. Bestechungsgelder in Millionenhöhe sollen geflossen sein. Teile der Anlage wurden nach Kritik des damaligen hessischen Umweltministers Karlheinz Weimar und des Bundesumweltministers Klaus Töpfer (beide CDU) stillgelegt.

Aufgrund von Sicherheitsmängeln wurde dann der Weiterbetrieb der Nukem-Anlagen untersagt, Transnuklear verlor die Konzession. Die Verarbeitung von Plutonium wurde 1991 auf Anweisung des damaligen hessischen Umweltministers Joschka Fischer eingestellt. Nukem zog ins bayerische Alzenau und ist bis heute im weltweiten Geschäft mit radioaktiven Abfällen und Brennelementen tätig.

Zur Alkem GmbH gehörte der berüchtigte „Plutoniumbunker“, ein zwei Turnhallen großer Koloß unmittelbar neben der Anlage, wo plutoniumhaltige Brennstäbe für Atomreaktoren (MOX) hergestellt wurden. Das Lager ist geräumt, das Plutonium wurde bis Mitte 2005 nach Frankreich transportiert.

Die einzige noch in Betrieb befindliche Firma im „Atomdorf Hanau“ ist die NCS – Nuclear Cargo & Service GmbH, Nachfolger der Transnuklear, heute eine Tochterfirma der französischen Unternehmensgruppe Daher. NCS führt nicht nur mit eigenem Equipment Castor-Transporte in Deutschland durch. Die Firma ist weltweit im gesamten Nuklear-Kreislauf in der Logistik für Brennstoffhersteller, Reaktorbetreiber und Entsorger tätig.

In Hanau betreibt die NCS zwei Zwischenlagerhallen. In „Halle 6“ mit einer Kapazität von 4000 m3 befinden sich „sonstige radioaktive Stoffe“ die u.a. von Nukem, AREVA NP, GNS und RWE Biblis stammen. „Halle 12“ dient zur Aufbewahrung von radioaktiven Abfälle aus dem Rückbau der ehemaligen Siemens-Brennelementwerke, Betriebsteile Uran und MOX mit einer Lagerkapazität von ca. 9.000 m³.

Seit 12 Jahren Streit um ein drittes Zwischenlager

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Foto: antiatom-hanau.de / Diez

In einer noch in den 1980er Jahren errichteten Halle will die NCS weitere 4000 Tonnen Atommüll einlagern - etwa Schrott aus Atomkraftwerken oder verstrahlte Schutzanzüge. Um das Vorhaben wird seit 2006 gestritten. Die Stadt Hanau verweigerte damals die Baugenehmigung. Das ehemalige „Atomdorf“ soll als Standort für High-Tech-Industrien etabliert werden. Hanau will sich vom Image der Nuklearbranche befreien - und fand „Planungsmängel“ bei der NCS.

Im November 2007 wurde die Stadt allerdings vom Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main verurteilt, eine Baugenehmigung zu erteilen. Der hessische Verwaltungsgerichtshof stoppte die Pläne im Februar 2009. Eine Revision wies das Bundesverwaltungsgericht ab.

Im April 2011 beantragte NCS erneut eine Baugenehmigung zur Umnutzung der „Halle 15“ als Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Die Stadt lehnt im Mai 2013 wieder ab, weil das Vorhaben „den vorhandenen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 1102.1 Nord-Ost/Technologiepark widerspricht“. Atommüll dürfe demnach auf dem Gelände nicht gelagert werden. Die NCS erhob daraufhin im März 2014 Anklage beim Verwaltungsgericht Frankfurt.

Ende Januar 2018 konnte die NCS dann einen Erfolg verbuchen. Der Frankfurter Verwaltungsgerichtshof gab der Klage der Firma statt, die nun für die Errichtung des Zwischenlagers streiten darf. In der mündlichen Verhandlung wurde sogar angedeutet, dass die Richter ein Atommülllager trotz der Festsetzungen des Bebauungsplans für zulässig und in einem Gewerbegebiet für verträglich halten.

„Wir werden alles in unserer Macht stehende tun, um ein weiteres Zwischenlager für schwach radioaktive Abfälle zu verhindern.“ (Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky)

„Es ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar, wie man zu dem Ergebnis kommen kann, dass der Betrieb eines Zwischenlagers für radioaktive Abfälle, die aus dem gesamten Bundesgebiet stammen, in einem Gewerbegebiet zulässig ist“, kommentiert Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky das Urteil. Das dürfe nach den Bestimmungen der Baunutzungsverordnung nicht sein. Nachdem die schriftliche Begründung des Urteils nun vorliegt, hat der Magistrat den Beschluss gefasst, in Berufung zu gehen. „Im Zweifelsfall gehen wir wieder bis vor das Bundesverwaltungsgericht. Wir wollen kein Atommüll-Lager auf Hanauer Stadtgebiet“, so Kaminsky.

Auch Anti-Atom-Aktivist*innen machen mobil gegen die NCS-Pläne. Kürzlich versammelten sie sich zur 81. Fukushima-Mahnwache. Der Zwischenlager-Bau sei eine Bedrohung, kritisiert werden die Entscheidung des Gerichts ebenso wie die „Intransparenz der Atomfirmen“.

„Wir kämpfen weiter“, so Gudrun Diez, Ehefrau des im Februar 2017 verstorbene Elmar Diez. Dieser war Pionier der Anti-Atom-Bewegung in Hanau und in den 80er Jahren maßgeblich an der Aufklärung des „Transnuklear-Skandals“ beteiligt.

Quellen (Auszug): deutschlandfunkkultur.de, zeit.de, wikipedia.org, op-online.de, fr.de; 14.03.2018 / 04.02.2016 / 20.02.1987 / 03.02.18 / 12.03.2018

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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