Die internationale Atomindustrie ist weiter auf Talfahrt. Es findet ein „Ausverkauf“ statt, denn die Geschäfte laufen längst nicht mehr rentabel. Belgien prüft hingegen die Kosten für den Neubau eines AKW.
Die Idee für ein neues Atomkraftwerk stehe im Raum, schrieb die Zeitung „La Libre Belgique“ vor ein paar Tagen. Die Regierung lasse einen Neubau für 2040 prüfen. Die Meldung sorgte schnell für Unruhe unter Kritiker*innen. Es gehe darum, „den Energiepakt zu beziffern“, so Olivier Chastel, Vorsitzender der Mouvement Réformateur im Parlament. Man lasse jetzt diverse Szenarien durchrechnen, darunter auch die Möglichkeit, neue Reaktoren zu bauen. Dadurch wolle man aber nur „den definitiven Beweis“ erbringen, dass das eine unbezahlbare Option ist. Man wolle die Kosten vergleichen können und dafür müsse man alle möglichen Optionen eben einmal simulieren, bestätigt auch Energieministerin Marie-Christine Marghem.
Es kriselt in Japan & den USA
Vor mehr als 10 Jahren übernahm der japanische Industriekonzern Toshiba das ehemalige US-Atomunternehmen Westinghouse vom britischen Konzern British Nuclear Fuels (BNFL). Damals wurden 5,4 Milliarden Dollar gezahlt. Der Kauf eines weiteren amerikanisches Unternehmens zum Bau von Atomkraftwerken sorgte danach für erhebliche Probleme: Der Konzern ist am Bau von vier Meilern im Südosten der USA beteiligt, wo die Kosten stark anstiegen. Toshiba musste 6,3 Milliarden Dollar abschreiben und schickte seine AKW-Sparte im März 2017 in die Insolvenz.
Kürzlich gab das Unternehmen bekannt, es sei ein Käufer für die Tochtergesellschaft Westinghouse gefunden worden. Die Brookfield Asset Management Inc., ein börsennotiertes kanadisches Vermögensverwaltungsunternehmen mit Firmensitz in Toronto, wolle das Geschäftsfeld für 4,6 Milliarden Dollar übernehmen.
Vor einem Jahr hatten chinesische Investoren eine Übernahme angeboten. Daraufhin intervenierte die US-Regierung. „Sensible Daten und Infrastruktur“ könnten in chinesische Hände fallen, wurde befürchtet. Das wurde erfolgreich verhindert. Doch nun liegt die Verantwortung für das Unternehmen, das als einer der Marktführer in der Atombranche wesentlich mit Sicherheitsaspekten für die laufenden Atommeiler betraut ist, in den Händen von Finanzspekulatoren. Entscheidungen werden also künftig ausschließlich nach wirtschaftlichen Interessen gefällt. Hauptsache die Dividende stimmt.
Es kriselt in Frankreich
Wegen erheblicher Defizite hat der französische Atomkonzern Areva den Hauptanteil (75 Prozent) seines Reaktorgeschäft zum Jahreswechsel an den staatlichen Stromversorger EdF abgetreten. Kürzlich teilte das Unternehmen mit, dass die Nuklear-Sparte künftig unter dem Namen „Framatome“ (Franco-Américaine de Constructions Atomiques) auftreten werde. Das Geschäft rund um Bau und Instandhaltung von Atomreaktoren kehrt damit zum ursprünglichen Namen zurück, den es vor der Umbenennung in Areva im Jahr 2006 trug.
Kürzlich unterzeichnete der französische Präsident Macron in China einen Vertrag zum Bau einer Wiederaufarbeitungsanlage für Atommüll. Nachweislich verseuchen diese Fabriken die Umwelt erheblich. Ab 2020 solle AREVA an einem noch nicht benannten Standort diese Anlage bauen. Insgesamt habe der Vertrag einen Umfang von zehn Milliarden Euro. Probleme sind vorprogrammiert: Der ursprünglich geplanten Standort in der ostchinesischen Küstenstadt Lianyungang musste dank massiver Bürgerproteste aufgegeben werden.
Erfahrung mit Kostenexplosionen sammelt AREVA seit über fünfzehn Jahren unter anderem beim Bau eines Reaktors in Finnland. Zur Rettung von AREVA hat der Staat bereits 4,5 Milliarden Euro investiert.
Künftig wird es noch problematischer werden: Nach einem Urteil des EU-Gerichts muss EdF Steuern in Milliardenhöhe zurückzahlen. Die Luxemburger Richter bestätigte Anfang dieser Woche eine Entscheidung der EU-Kommission, wonach Frankreich verpflichtet ist, 1,37 Milliarden Euro von dem Stromkonzern zurückzufordern. Ursache ist eine (indirekte) Subventionierung des Atomkonzerns im Jahre 2003. Damals hatte der französische Staat auf erhebliche Steuerzahlungen verzichtet und EdF so „einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern“ ermöglicht.
EdF betreibt alle 58 Atomkraftwerke in Frankreich – die unter realen Marktbedingungen genauso defizitär laufen, wie alle anderen Anlagen auf der Welt.
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USA: Keine Rettung für die Atomindustrie
10.01.2018 – US-Präsident Donald Trump hatte der Atomindustrie versprochen, er werde sich für ihr Fortbestehen einsetzen. Ende September gab das US-Energieministerium eine gewaltige Rettungsaktion für den Nuklearsektor bekannt. Die Netzregulierungsbehörde lehnte die Pläne jetzt ab. -
„Daten der Internationalen Atomenergie-Organisation sind irreführend“
14.11.2016 – Jahr für Jahr veröffentlicht eine Expertengruppe um Mycle Schneider den „World Nuclear Industry Status Report“, ein (kritischer) Überblick über den Zustand der weltweiten Atomindustrie. Das Ergebnis ist seit einigen Ausgaben immer gleich - und erfreulich: die Atomindustrie befindet sich weiter auf dem absteigenden Ast. Die Atomlobby-Verbände behaupten das Gegenteil, doch ihre Zahlen sind irreführend.
Quellen (Auszug): zeit.de, dpa, brf.be, handelsblatt.com, faz.net; 04/2017, 4./5./9./12./15.1.2018