Bundesamt: Kein ausreichender Katastrophenschutz möglich

05.12.2017 | Jan Becker

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz warnt davor, dass es bei einem schweren Reaktorunfall zu Engpässen bei der Versorgung der Bevölkerung kommen wird. Was nach dem Eingeständnis aber fehlt, ist die richtige Konsequenz.

Atomkraft: Sicher ist nur das Risiko!

Die Nato empfiehlt für einen Katastrophenfall Betreuungsplätze für zwei Prozent der Bevölkerung. Das wären in Deutschland 1,6 Millionen. „So weit sind wir noch nicht“, bilanziert Christoph Unger, Präsident des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn. Die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima von 2011 habe gezeigt, wie drängend das Problem sei, so Unger am Rande einer Tagung seiner Behörde im rheinland-pfälzischen Bad Breisig vergangene Woche. Seine Konsequenz aus diesem Eingeständnis: Das Amt brauche mehr Geld.

Handy-App statt Sirene

Hauptbestandteil der künftigen Warnsysteme etwa bei einem GAU könnten Handy-Apps werden, stellt sich Unger vor. Seit Juni 2015 bietet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz eine Warn-App mit dem Namen NINA (kurz für „Notfall-Informations- und Nachrichten-App“) an. Immer mehr Deutsche installieren sich ein solches Programm, dass neben Unwettern auch vor einem Super-GAU warnen könnte. Zur Zeit verhandelt das Bundesamt zudem mit BetreiberInnen von digitalen Schautafeln, wie sie in vielen Städten etwa in U-Bahnen oder Bushaltestellen hängen. Dort würden die Warnungen dann auch angezeigt werden.

Das klingt alles wunderbar fortschrittlich. Es gibt nämlich ein Problem: Eigentlich sollten in den Orten rings um eine Schadensstelle die installierten Feuerwehr-Sirenen heulen, wenn es zu einem Störfall kommt. Seit 1975 weist ein einminütiger auf- und abschwellender Heulton die BürgerInnen an, „Rundfunkgerät einschalten und auf Durchsagen achten“. Doch die Sirenen werden immer weniger, es gab mal 86.000 allein in Westdeutschland. Seitdem die Kommunen verantwortlich sind, befinden sich aus Kostengründen heute bundesweit nur noch 30.000 bis 40.000 Anlagen betriebsbereit. In vielen Großstädten ist die Verfügbarkeit besonders schlecht.

Und bei Stromausfall?

Es ist vorstellbar, dass bei einem schweren Reaktorunfall auch die Stabilität des Stromnetzes betroffen sein könnte. Großflächige Ausfälle könnten je nach Ursache für den GAU die Folge ein. Dann senden Handymasten ohne Notstromversorgung keine Infos mehr an die Katastrophen-App.

Die Situation ist aber noch viel prekärer: Nicht einmal die aktuelle Zahl der verfügbaren Betreuungsplätze im deutschen Zivilschutz ist bekannt. Es bräuchte erstmal eine Bestandsaufnahme, heisst es aus dem Bundesamt. Nach der Quantität sei dann auch die Qualität zu hinterfragen.

Was fehlt ist die richtige Konsequenz

AtomkraftgegnerInnen warnen seit Jahrzehnten davor, dass ein realistischer Katastrophenschutz bei einen schweren Reaktorunfall nicht funktionieren kann. In kurzer Zeit wären großflächige Evakuierungen nötig. Dafür dringend nötig sind Informationen zum Unfall. Doch Details über eine radioaktive Gefahr würden die Menschen rund um den betroffenen Reaktor gar nicht rechtzeitig erreichen. Eine Handy-App oder Werbetafeln schaffen da auch nicht mehr Vertrauen.

Wenn es offenbar nicht einmal gelingen würde, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen, geschweige denn sie angemessen zu betreuen - dann heisst die Konsequenz dieses gescheiterten Katastrophenschutzplanes: Atomanlagen abschalten - sofort!

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  • „Ich halte die Übung für völlig unrealistisch“
    15.11.2017 - Die Behörden rund um das Atomkraftwerk Gundremmingen haben einen schweren Störfall simuliert - und sind mit dem Ablauf zufrieden. Ganz anders AtomkraftgegnerInnen: Die Szenarien seien unrealistisch und die geplanten Maßnahmen würden nicht funktionieren um die Bevölkerung zu schützen.

  • Atomunfall – sicher ist nur das Risiko
    Ob technischer Defekt oder Flugzeugabsturz, Materialermüdung oder Unwetter, Naturkatastrophe oder menschliches Versagen – in jedem Atomkraftwerk kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen. Ein Super-GAU bedroht Leben und Gesundheit von Millionen.

  • Katastrophenschutz – nach dem Atomunfall
    Die Atom-Katastrophe kann jeden Tag erneut passieren. Und sie ist bereits behördlich durchgeplant. Doch die Szenarien, die den Katastrophenschutzplänen zugrunde liegen, unterschätzen die Folgen und die Geschwindigkeit eines schweren Atomunfalls gewaltig.

Quelle (Auszug): rp-online.de, dpa, de.wikipedia.org; 1.12.2017

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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