Vor 60 Jahren ging mit dem „Atomei“ der erste Atomreaktor der Bundesrepublik in Betrieb. Dessen Nachfolger ist der einzige Neubau eines Atomreaktors in Deutschland seit Tschernobyl - und hoch umstritten.
Der Forschungsreaktor München (FRM) in Garching bei München wurde am 31. Oktober 1957 als erster Reaktor in Deutschland in Betrieb genommen. Wegen seiner 30 Meter hohen, eiförmigen Kuppel wird er auch als „Atomei“ bezeichnet und steht unter Denkmalschutz.
Er besaß eine thermische Leistung von 4 Megawatt und diente als Neutronenquelle für die Forschung. Nachdem die Entscheidung gefallen war, statt einer Leistungserhöhung einen Neubau umzusetzen, wurde der FRM am 28. Juli 2000 abgeschaltet. Der Atommüll aus dem Betrieb landete teilweise in der Asse-2 oder wurde in Wiederaufarbeitungsanlagen in Schottland und den USA gebracht. 16 Jahre nach der Antragstellung wurde der Rückbau des FRM im Mai 2014 genehmigt. Nach heutigen Informationen soll die Demontage zehn bis 15 Jahre dauern.
„Noch im Januar 1957 beim Richtfest von FRM I gab es kaum Vorbehalte gegen Kerntechnik“, so Prof. Winfried Petry, wissenschaftlicher Direktor des zweiten Forschungsreaktors in Garching. Die Anlage sei damals „im großen Einverständnis mit der Bevölkerung“ gebaut worden.
Die Lage änderte sich drei Wochen nach dessen Betriebsaufnahme: Im britischen Atomkraftwerk Windscale kam es zu einem Brand. Eine Wolke mit erheblichen Mengen radioaktiven Materials wurde frei und verteilte sich über Großbritannien und über das europäische Festland. Die Bevölkerung wurde kritischer.
Der einzige Neubau eines Atomreaktors in Deutschland seit Tschernobyl
Der zweite Forschungsreaktor am Standort Garching, München II (FRM-II), wurde für 435 Millionen Euro gebaut und im Juni 2004 in Betrieb genommen. Der mit 20 Megawatt leistungsstärkste Forschungsreaktor ist der einzige Neubau eines Atomreaktors in Deutschland seit Tschernobyl. Er dient Wissenschaft, Industrie und Medizin als Neutronenquelle.
Wegen der Verwendung von hochangereichertem Uran-235 ist er besonders in der Kritik. Atomkraftgegner*innen warnen davor, dass der Brennstoff letztlich zum Bau von Atombomben genutzt werden kann. Allein aus Kostengründen sei das internationale Abrüstungsprogramm unterlaufen worden, damit verstösst der Meiler nach Meinung von Kritiker*innen gegen das Völkerrecht. Von den 40 Kilogramm Uran, die jährlich in Garching verwendet werden, sei nur die Hälfte notwendig, um eine Atombombe des Typs Hiroshima zu bauen. Dieser radioaktive Stoff ist seit den 1980ern weltweit geächtet.
„Hier wurde das völkerrechtlich wesentlich hochwertigere Gut, die Verbreitung von atomwaffenfähigem Uran zu reduzieren, dem viel geringwertigerem Gut geopfert, billiger mit dem Kopf durch die Wand einen Forschungsreaktor zu bauen“, bilanzieren Kritiker*innen.
Der Betreiber bestreitet das. Die Genehmigung des Forschungsreaktors war in einer Vereinbarung mit der Auflage versehen worden, dass bis 2010 die Umrüstung auf 50% Uran-235 erfolgt. Erst 25%iges Uran gilt allerdings als „nicht mehr waffenfähig“. Weil aber laut des Forschungszentrums „kein alternativer Brennstoff vorliegt“ wurde die Nutzung des Atombombenstoffs um acht Jahre verlängert. Ob es 2018 eine Lösung gibt, ist offen.
Die „Bürger gegen Atomreaktor Garching“ warnen außerdem vor immer wiederkehrenden Störfällen. Der Reaktor gebe im Normalbetrieb so viel radioaktives Tritium ab wie ein mittleres Atomkraftwerk. Während die Kritiker*innen vor einer möglichen Kernschmelze und unkalkulierten Gefahren für die nahe Großstadt warnen, lobt der Betreiber die hohe Sicherheitskultur: Angeblich hält die 1,80 Meter dicke Stahlbetonhaut selbst einem Flugzeugabsturz stand. Der Münchner Flughafen ist nur 10 km entfernt.
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Quellen (Auszug): frm2.de, dpa, de.wikipedia.org, contratom.de; 25.10.2017