Es klingt absurd: Der Konzern, der eine große Mitschuld an den Reaktorkatastrophen von Fukushima trägt und die Bewältigung der Folgen nicht in den Griff bekommt, darf weiter Atomkraftwerke betreiben. Der Widerstand gegen die Pläne ist aber groß.
Sechseinhalb Jahre nach Beginn der Katastrophe von Fukushima hat der Atomkonzern erstmals wieder eine Genehmigung zum Reaktorbetrieb bekommen. Die Atomregulierungsbehörde sieht aktuell die nach Fukushima verordneten verschärften Sicherheitsauflagen für die Reaktoren 6 und 7 im weltgrößten und von TEPCO betriebenen Atomkraftwerk Kashiwazaki-Kariwa als „erfüllt“ an. Seit 2011 erlaubte die Behörde das Wiederanfahren von nur zwei anderen Meilern, alle anderen der 42 heute noch als „in Betrieb befindlichen“ AKW sind seit Jahren abgeschaltet.
Doch der Widerstand gegen die Neustartpläne ist groß: Der Gouverneur der betroffenen Provinz Niigata, der dem Wiederhochfahren zustimmen muss, ist dagegen. Bürger klagen derzeit vor Gericht gegen die erneute Inbetriebnahme der Reaktoren. Es werde deshalb noch „mindestens drei bis vier Jahre“ dauern, bis tatsächlich ein erster TEPCO-Reaktor zurück an Netz kommt. Das Interesse des Konzerns ist simpel: Es hat derzeit hohe Kosten beim Betrieb von Ersatzkraftwerken, die gesenkt werden sollen. Auch die hohen Kosten zur Bewältigung der Fukushima-Folgen machen dem Konzern zu schaffen.
Laut Greenpeace missachtet TEPCO mit der Inbetriebnahme in Kashiwazaki-Kariwa dieselben Risiken, die schon zum Gau in Fukushima geführt hatten. Unter dem Gelände von Kashiwazaki-Kariwa verlaufen 23 Verwerfungslinien. Dass die Behörde die Reaktoren trotz dieser „extremen Risiken“ als „sicher“ erklärte, offenbare die Schwäche der Atomaufsicht, so Shaun Burnie, Greenpeace-Experte für Atomenergie.
Weiter große Probleme in Fukushima
Kürzlich wurde bekannt, dass es offenbar Probleme mit der Räumung der Brennstäbe aus den havarierten Reaktoren 1, 2 und 3 gibt. Die zuständige Kommission der Regierung sprach von „technischen Fragen“ und „Sicherheitsauflagen“. Die Aufräumarbeiten würden sich um mindestens drei zusätzliche Jahre verzögern. In einer Erklärung verspricht TEPCO, man halte am Entsorgungsplan fest, der einen kompletten Rückbau binnen 30 bis 40 Jahren vorsieht – ausgehend von der Entfernung des radioaktiven Materials. Genauere Informationen liefert der Konzern aber nicht. Immer noch liegt ein Mantel des Schweigens und der Intransparenz über der GAU-Zone von Japan.
Gemäß dieses „Entsorgungsplans“ sollen ab 2021 die geschmolzenen Reaktorkerne entfernt werden. Doch heute wissen die Verantwortlichen nicht einmal, wo sich der radioaktive Brennstoff im Reaktorinnern genau befindet. Umfangreiche Lokalisierungs-Versuche schlugen fehl, zahlreiche Roboter haben wegen der hohen Strahlung nach wenigen Minuten versagt. Die aktuellen Herausforderungen für TEPCO sind groß: Im Abklingbecken von Reaktor 1 muss hochradioaktiver Schutt, bei Reaktor 2 vorerst noch das Dach entfernt werden. Amerikanische Experten raten dazu, der Sicherheit der Beschäftigten Vorrang zu geben und nicht „übereilt zu handeln“.
Verstrahlte Strände
Immer wieder fanden Experten in der Vergangenheit hohe Strahlenwerte an Stränden rund um Fukushima, wo sie nicht vermutet wurden. Die Ursache war lange unklar. Aus Messdaten, die seit 2011 gesammelt wurden, ist nun deutlich geworden, welche Verbreitung das radioaktive Material im tieferen Bereich des Bodens nimmt. Die Ergebnisse der Studie seien „überraschend“, so Forscher der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS). Niemand habe erwartet, dass die höchsten Konzentrationen von Cäsium in Ozeanwasser heute nicht im Hafen des AKW Fukushima zu finden sind, sondern in unterirdischem Wasser viele Meilen entfernt unter dem Sand der Strände. Die Werte seien mit bis zu 23.000 Becquerel pro Kubikmeter (Bq/m3) bis zu zehn Mal höher als im Hafen des Reaktors. Nur im Reaktor selbst und in dessen Wassertanks seien höhere Werte zu finden.
Vermutlich habe sich das freigesetzte radioaktive Cäsium nach dem GAU tage- und wochenlang über Wellen und Gezeiten entlang der Küsten ausgebreitet. Eine große Menge habe sich an Sandkörnern am Strand und im Brackwasserbereich darunter geheftet - „wie bei einem Schwamm“. Heute wird dieses Cäsium allmählich ausgespült. Die dadurch entstehende Belastung für das Meer ist vermutlich so hoch wie die weiterhin vom Unglücksreaktor ausströmende Radioaktivität.
Die Forscher weisen auf eine noch größere Tragweite hin: Dieser „neue, unerwartete Pfad“, Radionuklide zu speichern und wieder in den Ozean freizusetzen, müsse Konsequenzen für das „Management von Küstenstreifen“ aller am Meer gelegenen Atomkraftwerke haben. Etwa die Hälfte aller 440 Reaktoren weltweit sind davon betroffen.
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Quellen (Auszug): spiegel.de, handelsblatt.com, mensch-und-atom.org; spreadnews.de, greenpeace.de; 28.9./3./4.10.2017