Am 29. September 1957 ereignete sich in einer geheimen Atomanlage in der damaligen Sowjetunion ein schwerer Atomunfall. Er gilt nach Tschernobyl und Fukushima als drittschwerster der Geschichte der Atomenergienutzung (INES 6). Atomkraftgegner*innen erinnern an die Folgen für die örtliche Bevölkerung.
Die Kühlung eines 300-Kubikmeter großen Tanks, in dem hochradioaktiver Abfall gelagert wurde, fiel wegen Leckagen aus. In der Folge kam es zur Überhitzung und Explosion. Noch hunderte Kilometer entfernt soll ein „leuchtender Schein“ zu sehen gewesen sein. Große Mengen radioaktiver Stoffe wurden in die Umwelt geschleudert. Darunter befanden sich langlebige Isotope wie z. B. Strontium 90 (Halbwertszeit 29 Jahre), Cäsium-137 (30 Jahre) und Plutonium-239 (24.110 Jahre).
Insgesamt wurde durch den Unfall nach Angaben der Produktionsfirma Majak und der Behörden Materie mit einer Radioaktivität von 400 PetaBequerel über eine Fläche von etwa 20.000 Quadratkilometern verteilt. Der Unfall ist damit hinsichtlich der Radioaktivität vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe. Andere Quellen sprechen von deutlich höheren Mengen freigesetzter Materie. Etwa 90 % des radioaktiven Materials verblieb auf dem Betriebsgelände, 10 % wurde durch Winde bis zu 400 km in nordöstliche Richtung verteilt (siehe Karte).
Ein ca. 20.000 km² großes Gebiet mit etwa 270.000 Einwohner war vom Fallout betroffen. Mit großer Verzögerung fanden Evakuierungen statt. Insgesamt wurden etwa 10.700 Personen umgesiedelt. Weil es keine belastbaren Studien und Untersuchungen zu den Folgen des Unfalls gibt, liegen nur Schätzungen über mögliche Opferzahlen vor: Eine Vergleichsrechnung auf Basis der von den Behörden angegebenen radioaktiven Belastung schätzt etwa 1000 zusätzliche Krebsfälle.
Weil das gesamte Atomwaffenprogramm (teilweise bis heute) streng geheim gehalten wurde, die Atomanlagen auf den offiziellen Landkarten nicht einmal existierten, erklärten sowjetische Zeitungen die Explosion damals als Wetterleuchten beziehungsweise Polarlicht. Die Regierung stufte das Ereignis ebenfalls als geheim ein, erst 1976 gelangten erste Informationen über einen sowjetischen Dissidenten an die westliche Öffentlichkeit. Die sowjetische Führung gestand 1989 die Geschehnisse offiziell ein.
Bevölkerung noch heute betroffen
Seit 20 Jahren produziert Majak kein atomwaffenfähiges Material mehr. Doch auch heute noch ist Majak eines der wichtigsten Atomzentren Russlands. Dort befinden sich zwei Reaktoren zur Produktion von Isotopen in Betrieb, außerdem wird weiterhin Brennstoff aufgearbeitet. Immer wieder kommt es dabei zu Unfällen, auch mit Freisetzung von Radioaktivität. Ein See, in den jahrelang flüssiger radioaktiver Abfall eingeleitet wurde, gilt heute als der am stärksten kontaminierte Ort auf der Erde.
Anlässlich des 60. Jubiläums der Katastrophe hat Greenpeace die aktuelle Situation um Majak untersucht. Dort gebe es immer noch Bereiche mit hoher radioaktiver Belastung, heißt es in der Studie. Im angrenzenden Fluss „Techa“ haben Greenpeace-Aktivist*innen im August 2017 Wasser- und Fischproben gezogen und erhebliche Mengen Strontium festgestellt. Auch sechs Jahrzehnte nach dem Unfall wird die Umgebung vom Betreiber der Anlage, Rosatom, weiter verseucht. Tausende Menschen und dutzende Dörfer entlang der Flüsse, die das Wasser für ihre Landwirtschaft nutzen, sind von der langfristigen Radioaktivität betroffen. Während Greenpeace Intransparenz und Geheimhaltung von Details beklagt, behauptet Rosatom, alle Probleme im Griff zu haben.
Kundgebung in Hannover
In Deutschland rufen Atomkraftgegner*innen zu einer Gedenkkundgebung in Hannover auf. Am Samstag, 30. September werden verschiedene Redner*innen ab 12.00 Uhr auf dem Opernplatz u.a. über die aktuelle Situation in Majak berichten.
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- Atomunfall – sicher ist nur das Risiko
Ob technischer Defekt oder Flugzeugabsturz, Materialermüdung oder Unwetter, Naturkatastrophe oder menschliches Versagen – in jedem Atomkraftwerk kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen. Ein Super-GAU bedroht Leben und Gesundheit von Millionen.
Quellen (Auszug): greenpeace.org, atomunfall.de, bi-luechow-dannenberg.de, de.wikipedia.org; 29.10.2017